Riesenmaschine

30.01.2009 | 19:03 | Anderswo | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Brunschweilers letzter Erfolg


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Brunschweiler zog auf der Prokuristentoilette noch einmal seinen schütteren Scheitel nach. So schlecht sah er gar nicht aus, fand er. Immerhin wusste er noch, wie man einen ordentlichen Krawattenknoten band und wie man auch mit wenig Haar effektvoll Macht demonstrieren konnte. Er wusste, dass Staudacher, seine ehrgeizige junge Gegenspielerin, über seine sorgfältig drapierten Haare heimlich spottete. Er wusste aber auch, dass sie, diese Zicke, mit ihrem aufgesexten Casual Look an wichtigen Sitzungen zuverlässig einen leisen Ärger in Knellwolfs Augen darstellte, während ihm Brunschweilers durchschimmernde Glatze ein Gefühl von Jugend vermittelte. Und Knellwolf war nun mal der entscheidende Mann in der Sparte Portionsdosen Kaffeesahne.

Er wusste, es würde ein hartes Meeting werden, ein entscheidendes. Es ging um nichts weniger als sein Lebenswerk, und er war bereit zu kämpfen. Er war gut vorbereitet und sein Enkel hatte ihm, unwissentlich, mit einem dieser brutalen Computerspiele den entscheidenden Hinweis gegeben. Diesen überraschenden Vorschlag, da war sich Brunschweiler sicher, würde von ihm niemand erwarten. Die Staudacher würde höchstens mit dem Vorschlag kommen, die bewährten, tiefgezogenen Portionsbecher durch ökologischer produzierte Kartonbehälter zu ersetzen, damit würde sie bei Knellwolf sowas von abblitzen; schliesslich kannte er nach fast vierzig Jahren in der milchverarbeitenden Industrie die Vorliebe Knellwolfs für die damals revolutionäre Tiefziehtechnik.

Er zog seinen Bauch ein und betrachtete sich von der Seite. Während er den Gurt doch noch ein Loch enger schnallte, erinnerte er sich an seine grössten Erfolge: Wie er sich in den frühen 70er Jahren damit durchgesetzt hatte, die bewährten Kantonswappen auf den Kaffeerahmdeckeli durch wechselnde Tiersujets zu deckeln. Wie sich, wie erwartet, bald schon erste Sammler angesprochen fühlten. Wie Käppeli 1990 den ersten Kaffeerahmdeckelikatalog für 45,- Sfr. auf den Markt geworfen hatte. Dann die ganzen Berichte in der Fachpresse und schliesslich die Einladung als Ehrengast bei der Gründerversammlung des Sammlerclub "Kaffee Halbrahm" in der Mehrzweckhalle Niederaffoltern. Wie er danach in immer schnellerer Folge die Motive auswechselte; die Distelserie, die verbotene "Blick-Serie" (damals wegen "artfremder Werbung" vernichtet, bis heute gesuchte Sammlerexemplare; er würde sein Exemplar dem Firmenmuseum testamentarisch zusichern). Dann die ganzen neumodischen Sportarten und als Höhepunkt die "Playgirls"-Serie 1994, schöne Vintage-Meiteli waren das, dazu stand er bis heute, trotz des Skandals in der Szene. Wie er dann Ende der 90er mit künstlicher Verknappung und gezielten Fehldrucken eine wahre Hysterie ausgelöst hatte, das sollte die Staudacher erstmal bringen, die ahnungslose Kuh mit ihren ökologischen Papierbechern. Überhaupt, die hatte doch ein Problem mit Männern, 36 und noch immer nicht verheiratet. Er schritt ins Sitzungszimmer.

Zu seiner Überraschung eröffnete Staudacher nicht mit einem Angriff auf die tiefgezogenen Kunststoffbecher. Er würde mit Hunziker von der Informatik, seinem Informanten, reden müssen, die Kiste Roten konnte der sich aber sonstwohin stecken. Stattdessen kam sie mit der Forderung, neue Sammlerschichten anzusprechen, die Szene sei überaltert, man müsse die Kinder gewinnen. In zwei Worten zusammengefasst war der lahme Vorschlag von Staudacher: Kindergerechte Motive. Spielzeuge, Plüschtiere, sowas. Ob sie, Staudacher, überhaupt eine Ahnung habe von der heutigen Jugend, konterte er süffisant, sie habe ja selber keine Kinder, wenn er richtig informiert sei, oder? Und dann liess er die Bombe genüsslich platzen, jede Nervosität war jetzt weg, er war wieder der Fuchs seiner jungen Tage, er hatte Knellwolf in der Tasche. Die Zielgruppe nämlich, und er spreche da aus Erfahrung, habe selbst Enkel, die würden den ganzen Tag nur Ballerspiele spielen, Blut, Tote und Zombies überall und dann erst im Internet all diese ekelhaften Bilder, er sage nur rohtendotkom, Sperriges sei die Zukunft, auch im Kaffeerahmdeckeligeschäft. Kurz, der einzig mögliche Weg, um die sinkenden Absätze aufzufangen und um wieder mehr Präsenz in der Presse zu erhalten, führe über die Serie "Ekel, Abscheu und Widerwärtiges".

Ende des Jahres ging der grösste Bonus überraschend an Rüthemann und sein Team. Knellwolf fand es äusserst bemerkenswert, wie es der Grafik gelungen war, beiden Seiten das Gefühl zu geben, sie wären als Sieger aus dieser Sitzung herausgegangen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein wundervoller Tag im Institut für Theoretische Physik


25.08.2008 | 23:36 | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Eichhörnchenrésistance


Balinesisches Hörnchen auf dem Kriegspfad
Ein beachtenswerter Akt zivilen Ungehorsams ereignete sich gestern in Zürich. Als sich die halbe Schweiz die verabscheungswürdige Olympiakitschschlussfeier anschauen musste, war plötzlich Bild und Ton weg. Ein Aufatmen ging durch das Land und man fragte sich, welcher Held diese so nötige Mission vollbracht hatte. Jetzt kam heraus: Ein einzelnes Eichhörnchen, im Alleingang, das sich todesmutig in eine Trafostation geworfen hat und dafür mit seinem tapferen, kleinen Leben bezahlt hat. So sieht es also aus, wenn sich die Eichhörnchen endlich aktiv ins Weltgeschehen einmischen. Dass davon auch ein paar aufrechte, unschuldige Formel-1-Zuschauer betroffen waren und 6000 Haushalte in Zürich komplett auf Strom verzichten mussten – das muss in diesem Krieg einfach akzeptiert werden. Aber man darf hoffen, dass der Widerstand nun endgültig erwacht, dass sich die Nagetiere aktiv ins Weltgeschehn einmischen und der nötige Wandel bis London 2012 vollzogen sein wird – die Weltherrschaft wird in vernünftigen Händen liegen und Milliarden von Menschen müssen sich keine albern verkleideten Männer auf albern leuchtenden Einrädern von 2008 Millimeter Durchmesser mehr anschauen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Viele Hasen sind des Hundes Tod


03.04.2008 | 17:30 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Wird Kleenex das neue Rolex?


Auf dem Nachtischchen noch besser als Allgäuer Rindsleder: Riesenmaschinekleenex (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Die Reissäcke von heute (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gerade erreicht uns der Newsletter von trendwatching.com und teilt uns mit, dass die Statussymbolforschung eindeutig aufzeige, wie die Entwicklung im Statussymbolgeschäft weg vom klassischen, über den Preis gesteuerten Statussymbol hin zu etwas gehe, was mit "Status Stories" beschrieben wird. Kurz: nicht mehr die Geschichte, die ein Massenprodukt kraft seiner Erscheinung und seines Marketing zu erzählen vermag ("Geld"), sondern eine möglichst individuelle Geschichte hinter dem Produkt (und das Wissen darum) soll dieses mit Bedeutung und Exklusivität aufladen. Das klingt erst mal glaubhaft und erinnert entfernt auch an den Manufactumkatalog. Dort wird die Wertigkeit der Produkte ja auch mit kleinen Geschichten unterstrichen und dem Käufer so ein Instrument in die Hand gegeben, mit diskret eingestreuten Bemerkungen einen zusätzlichen Distinkionsgewinnn zu erzielen ("Ach, dieses Allgäuer Grubenleder, das mit traditionellen Methoden von Hand und mit viel Zeit gegerbt wird, braucht schon etwas mehr Pflege als die heutigen Industrieleder").

Trendwatching.com beweist seine These allerdings anhand folgender Produkte: Mykleenextissue bietet für bescheidene 4.99$ (ca.1€) individuell gestaltete Kleenexboxen "to celebrate a special occasion". Im Netgranny Sockenshop ("Wähle Deine Granny") können in Schweizer Altersheimen individuell angefertigte Wollsocken bestellt werden. In Japan wiederum können Reissäcke mit dem Bild eines Neugeborenen bedruckt und mit dem exakten Kindsgewicht in Reis gefüllt werden, sodass man beim Umfallen rätseln kann: War das jetzt Kind oder Sack? Und wir wollen diesem Reigen noch die Seite Youbars beisteuern, die nach Mass gefertigte Schokoriegel anbietet.

Allesamt sind das schöne Produkte, die fehlten und die zu loben sind. Wenn wir uns Wollsocke, Kleenex, Reissack und Schokoriegel aber konkret im Einsatz als Statussymbole vorzustellen versuchen, denken wir, dass sich die Firma Rolex nicht allzu warm wird anziehen müssen.


21.03.2008 | 15:01 | Anderswo

Zürich-Spezial III: Lärmschutzpilze


In den 80ern für lärmschutzsuchende Kinder entwickelt, heute als Fahrradständer zweckentfremdet: Lärmschutzpilze von Bühler-Schmott (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viele Hörer der Radiosendung Folge 137 haben nach dem Reisetipp "Molpe" bedauert, dass die für die Kleinstadt Molpe entwickelten und von Colanischüler Enrique Bühler-Schmott designten Lärmschutzpilze (Molpe liegt in einem Nato-Tieffluggebiet) nicht ein grösserer kommerzieller Erfolg waren, immerhin sorgten sie 1982 auf der Hannovermesse für einiges Aufsehen. Wer sich fragte, wo denn dieser einzigartige Klassiker des Lärmschutzdesigns ausser auf dem Spielplatz der Waldorf-Kita in Molpe noch eingesetzt wurde und ob heute überhaupt noch Exemplare ausserhalb der einschlägigen Designmuseen zu besichtigen wären, der findet auf dem Campusgelände der ETH Zürich auf dem Hönggerberg einige gut erhaltene, wenn auch vom Staub der Jahre etwas schmutzig gewordene Exemplare.


Reiseinfos: Anreise mit Bus Nr.69 bis Endstation, ganztags geöffnet, kein Eintritt.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Zürich-Spezial II: hässlichstes Gemüse der Welt


21.03.2008 | 12:39 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Zürich-Spezial I: Stadtstalagmiten


Stadtstalaktiten (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Gegenstück auf dem Bürgersteig. Obwohl täglich von Fussgängern begangen, wächst er schneller als jeder seiner Verwandten vom Land (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit einigen Jahren befindet sich eines der zähesten Vorurteile gegenüber der Grossstadt in Revision: der scheinbare Antagonismus von Stadt (als Brutstätte der Kultur) und Land (als Gastgeber der Natur) wird von Autoren wie Cord Riechelmann zunehmend unterspült. Längst weist die scheinbar lebensfeindliche Stadt eine grössere Artenvielfalt auf als das industriell bewirtschaftete Land. So leben alleine in der Stadt Zürich 1200 verschiedene Pflanzenarten – "viel mehr als ausserhalb der Stadt". Und da sind die 9000 verschiedene Arten sukkulenter Pflanzen der Sukkulentensammlung noch nicht einmal eingerechnet. Die Stadt ist also nicht nur kein Gegensatz zur Natur, sie ist auch das bessere Land. Einzig im Bereich der Tropfsteinhöhlen können Städte noch nicht mithalten, weshalb man bis heute weite Reisen in abgelegene und rückständige Gegenden auf sich nehmen muss, um Tropfsteine zu besichtigen.

Abhilfe schafft jetzt Zürich. An einem unscheinbaren Balkon eines Wohnhauses aus den 70er Jahren wachsen zur Zeit die ersten städtischen Tropfsteine. Begünstigt durch die mangelhafte Qualität der vorfabrizierten Betonteile tun sie dies sogar in einem für Tropfsteine atemberaubenden Tempo. Schaffen die Stalaktiten der Sophienhöhle gerade einmal zwei Zentimeter in hundert Jahren, sind die rund 30-jährigen Stadtstalaktiten bereits jetzt gut 10 cm lang und damit mit der mehr als fünfzehnfachen Geschwindigkeit unterwegs. Ein deutlicher Sieg des Urbanen – damit sind die Befürworter der teuren Subventionierung strukturschwacher ländlicher Gebiete um ein Argument ärmer – und die Stadt Zürich um eine Touristen-Attraktion reicher.

Reiseinformationen: Sihlfeldstrasse 138, mit Tram Nr.2 oder 3 bis Lochergut, rund um die Uhr geöffnet, kein Eintritt


1 [2] 3 4 5 6 7 8 9 10 ...

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Gartenschlauch, wenn kein Klistier im Haus

- Hunde in Tierkostümen

- Klappstulle

- Hasenkartei

*  SO NICHT:

- Emonkelz

- billo-Reissverschlüsse

- Literaturpreisnachlass

- Klappstühle


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"The Hidden Face", Andrés Baiz (2011)

Plus: 3, 5, 42, 69, 101
Minus: 2, 10, 35, 38, 52, 132, 179, 205, 208, 209
Gesamt: -5 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV