Riesenmaschine

23.11.2006 | 04:23 | Fakten und Figuren

2 sollten sich nicht zusammentun

Wenn sich zwei der allerunangenehmsten Bands der Welt zusammentun, also U2 und Green Day, und gemeinsam einen heilsbringenden Song aufnehmen, also wie es scheint, um Geld zu lukrieren für Opfer einer schon etwas länger zurückliegenden, medial perfekt organisierten und betreuten Katastrophe, mit dem leicht nachvollziehbaren Kalkül von bekannten Oberflächenreizen und Popularitätszuwachs, und gleichzeitig der Zusammenschluss der zwei grössten Banken Amerikas mit der nicht komisch gemeinten, aber sensationell harschen Interpretation eines gruseligen Songs einer dieser heilsbringenden Bands One Bank zelebriert wird, dann merkt man, dass man an irgendeiner Stelle den Faden verloren hat. Aber wenn jetzt auch noch jemand diese mammonglorifizierende Uminterpretation beginnt ironisch neuzuinterpretieren, und das ist dann auch noch ein ehrenwertes, wiewohl abgehalftertes Mitglied der "Guten", also Johnny Marr, dann, ja dann fragt man sich, wann die ostdeutsche Clownscombo Rammstein endlich gemeinsam mit der slowenischen, von ihnen haarsträubend und höchst unangenehm fehlinterpretierten Band Laibach einen Song fürs Müttergenesungsheim aufnehmen wird. Die deutsche und unerträgliche und schmierige, "gute" Band Tomte ("Schrei nicht den Namen meiner Mutter, wenn du meine Oma fickst") kann das ja noch immer irgendwann mal persiflieren, sie ist heiss drauf, man kann wetten.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


17.11.2006 | 01:35 | Fakten und Figuren

Der Blogg


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In Zeiten grassierenden Illettrismusses, also des Defekts, Buchstaben zwar erkennen und lesen zu können, aber häufig den Kontext eines Wortes nicht zu begreifen, taucht hin und wieder ein noch nicht von Pschyrembel oder Wikipedia erfasstes Phänomen auf, das des so genannten Wunschverlesens. Auf dem Zettelchen, das man in der Klasse zugeschoben bekommt, auf dem "Du bist doof" steht, liest man z.B. statt doof lieb.
Illettristische Internetverdorbene lesen vielleicht in der gestern erschienen Opazeitung DIE ZEIT im grossen Hans-Haacke-Interview von Hanno Rautenberg: "Ich war fürchterlich naiv, ich habe ein Werk an Flickr verkauft. Er ist ein Nazikriegsgewinnler der dritten Generation". Wenn man noch einen Restverstand hat, wundert man sich kurz, was die Fotomüllhalde mit dem Terrorregime zu tun haben soll, und dieser Moment, wo sich das Missverständnis in zwei eigenständige Bilder teilt, kann ebenso Endorphine freisetzen, als ob man an einem Gummiseil eine Brücke runterspringt, oder im Dschungel ein komisch geformtes, unbekanntes Tier entdeckt hat. Im selben Interview fragt Rautenberg Haacke: "Aber der Bild-Blogg, der die Fehler der Zeitung auflistet, könnte doch eine Hans-Haacke-Arbeit sein." Hatte man sich da eben schon wieder verlesen? Nein, so steht es da. Aber was ist Der Blogg? Im Internet wird man fündig: Der Blogg ist eine Figur des Kinderbuchautors Dr Theodor Seuss (aus "The shape of me and other stuff"). Und auch wenn man die Zusammenhänge so ganz klar nicht sieht, wird schon wieder eine Handvoll Endorphine ausgeschüttet.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


14.11.2006 | 12:35 | Essen und Essenzielles

Vintage cooking


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Nun ist es also amtlich, dass die schauerlichen Kreationen des alchemistisch angehauchten spanischen Kochs Ferran Adrià, nächstes Jahr sogar durch die documenta geadelt werden. "Er wird einen Workshop machen, aber ich behandele ihn wie einen Tänzer, einen Performer, wie ein Ereignis", sagt documenta-Chef Roger-Martin Buergel. Vielleicht fordert er zu Tortenschlachten auf oder tanzt den Besuchern einen Salat, zumindest hebt er das eherne Gesetz auf, dass man mit Essen nicht spielt, und garantiert so jetzt schon absehbare Zuschauerrekorde.

Buergel weiss nicht, dass es im Internet etliche Gruppen und Einzelpersonen gibt, die ähnlich kreativ wie Adrià kochen, seien es die mit den frisierten Riesenriegeln, oder jene, die antike Rezepte nachkochen, z.B. Mary mit ihrer Wurstkrone. Gekocht wird, was in erster Linie gut aussieht, der Hunger kann warten. Vorgestern hat nun jemand im wunderbaren Swapatorium ein Rezept für ein Aspikaquarium vorgestellt, das ebenfalls mühelos documentakompatibel wäre, schliesst es doch sichtbar den Kreis von Damien Hirst zu Ferran Adrià. Aufmerksam gilt es jetzt Adrià zu beobachten, denn schlimmer, als mit Essen zu spielen, ist, es zu plagiieren. Denn dann freut sich sein ewiger Widersacher, der Mann mit einem Namen wie ein Philosophieprofessor und einem Gesicht wie eine Faust: Heston Blumenthal.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Pearoefoam

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


13.11.2006 | 13:06 | Papierrascheln

Komm gut nach Hause, mein Kind


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Dass die Kirche immer mehr an Glaubwürdigkeit und Autorität einbüsst, liegt natürlich daran, dass all die guten Werte wie Drohen und Strafen, Schwulst, Augenwischerei und Flitter verschwunden sind, zugunsten eines Vatikanclowns, um den sie alle lachend tanzen wie bei einer Technoveranstaltung. Dennoch bleibt eine Bastion uneinnehmbar, Weihnachten, eine Veranstaltung, die der Autor Max Goldt zu Recht als etwas definiert, dessen Zauber sich erst dann entfaltet, wenn man an ihm seitlich vorbeigeht.

Die grossen Städte leeren sich plötzlich, fliessen aus, wo unsere Helden ein Dasein "jenseits der Festanstellung" fristen, sie fahren in Karawanen zurück nach Deggendorf und Herne-Wanne, Orte, an denen sie sich wieder in Kinder verwandeln. Im Buch Driving Home erzählen 18 Autoren von entfremdeten Orten, beengten, bedrückenden Stätten der Verpflichtungen und Missverständnisse. Dafür, dass die Bachmannpreisteilnehmerdichte ganz besonders hoch ist, ist die Qualität doch relativ schwach, das kann an dem trüben Thema liegen, aus dem fast alle Autoren herauszukommen versuchen, indem sie als einen der wenigen Lichtblicke kuriose Festmahlabfolgen schildern. Wegen vier Texten lohnt sich dennoch die Lektüre. In einem spielt eine geschenkte Hand eine düstere Rolle, in der anderen wird lakonisch das Verschwinden eines Fliegenpilzes beklagt. Ulrike Sterblich (kennt man auch als das Supatopcheckerbunny) schildert ihren Spaziergang heim durchs entvölkerte Berlin, sie schaut durchs Fenster einer Kneipe, in dem ein paar geisterhafte Gestalten über ihren Getränken brüten, und fühlt sich wie ein Krippenesel. Simone Will beschreibt ein David-Sedaris-artiges Chaos, in dessen Verlauf ihr geistig behinderter Bruder sämtliche Türklinken des Hauses abschraubt, um sie zu verstecken, und sie selbst sich in der Erinnerung ihre Brille "mit der Haut eines knusprigen Hühnchens putzt". Lässt sich gut im Zug heim nach Lüdenscheid lesen.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


08.11.2006 | 17:59 | Fakten und Figuren

Der Punkschalthebel


Sag mir, wo die schmutzigen Gesichter sind (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Volten, Metaebenen oder Trends in der Musik nachvollziehen zu können, ist immer ein guter Gradmesser, an dem sich feststellen lässt, wie weit man vergreist ist. Momentan machen es einem aber gerade zwei aktuelle Lieder sehr schwer, noch irgendetwas zu erkennen, in welche Richtung z.B. gefahren wird.
Das eine ist "Ridin" von einem Rapper namens Chamillionaire, es ist weniger der Song, ein flotter, gehetzter Ohrwurm, als der Name des Interpreten (1,79 cm gross laut Wikipedia). Was ist ein Chamillionaire? Ein Kofferwort für einen Hochstapler? Einer, der sich wie ein Chamäleon anpassen kann und so tut, als sei er reich? Oder ist das Präfix Cha ein Akronym für die Certified Horsemanship Association, oder doch nur das japanische Wort für Tee? Teemillionär? Sah man schon mal einen Afroamerikaner auf einem Pferd sitzen, Tee trinkend gar?

Das andere verstörende Lied ist von einer schottischen Schreckschraube namens Sandi Thom (Bild), musikalisch ein sparsam instrumentierter A-capella-Song, in dem sie jodelt I wish I was a Punk rocker, die nächsten Zeilen aber lauten "...with flowers in my hair, in 77 and 69 revolution was in the air", es wird eine krude Vergangenheitsglorifizierung entworfen, die darin gipfelt, dass "footballers still had long hair and dirt across their face". Die 69er Revolution? Wo? Gegen was? Verkrustete Kopulationsgewohnheiten? Oder ist die gleichnamige Tanzkapelle aus Vaterstetten gemeint? Aber dass das Lied nicht der Logik von Dada folgt, offenbart sich erst in der deutschen Übersetzung eines Internetübersetzungsdienstes: Ich wünsche, dass ich ein Punk-Schalthebel war. Tja, wer will das nicht, Schätzchen, die Zeit einfach qua Schalthebel umlegen?


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