Darf auch mitspielen (Foto: alistairmcmillian / Lizenz)Vieles an Amerika ist deswegen so bewundernswert, weil man es seit frühester Kindheit im Kino ansehen konnte. Polizeisirenen sind ein gutes Beispiel. Nirgendwo gilt dieses Prinzip so wie in Los Angeles. Thom Anderson führt das in seiner hervorragenden dreistündigen Filmschnipselsammlung Los Angeles plays itself vor, die Stadt ist eine einzige Zitatesammlung. Selbst der Stau auf der 405 ist erhebend, weil Michael Douglas deswegen Amok lief. Die einzige Gefahr dabei ist Abstumpfung: Man hat alles schon tausendmal gesehen, meist in besserer Auflösung, ohne Smog und mit Popcorn. Um die überzogenen Erwartungen nicht ständig zu enttäuschen, hat sich die Stadt eine Technik ausgedacht, die ein wenig an Jack Nicholson erinnert: Das Vorzeigen zeitloser Features, die noch nie jemanden gelangweilt haben. Und darum legte sich Los Angeles reichlich Meer zu, baute ringsum Berge, riss Pflanzen aus (es gibt viel zu wenig Städte mit Wüste), warf attraktive Felsen dazwischen, schaffte als Bonus den Winter ab, und fertig. Ausserdem läuft im Radio immer noch Mötley Crüe. Natürlich handeln trotzdem dutzende Filme oder wenigstens ein Bestsellerroman von jedem beliebigen Felsencanyon, aber er sieht immer noch gut aus. Gut aussehen, das ist es nämlich, was man von Gegenden verlangt, Ruhm und Glamour kommen dann schon.
Man könnte natürlich fragen, warum wir das fünfte Machinima Festival nicht sinnvollerweise rechtzeitig vorher ankündigen, sondern erst, wenn alles vorbei ist. Nun, würden wir dann antworten, weil so viele Leser dann auch nicht in der Nähe von Astoria (New York) wohnen, da also vermutlich eh keiner hingefahren wäre, und es dann doch viel mehr Sinn macht, das Ergebnis abzuwarten, und die Gewinner zu verlinken. Und genau das tun wir jetzt auch. Die laut Jury in einer oder mehreren Kategorien besten Machinimas des Jahres sind: Edge of Remorse (oben links), The Adventures of Bill & John: Danger Attacks the Dawn, Tra5h Ta1k, Male Restroom Etiquette, Silver Bells and Golden Spurs und The Fixer, ausserdem die nicht verlinkten Company of Heroes, Deviation (Trailer) und Stolen Life. In Second Life gibt es übrigens eine ironische Variante, The Ed Wood Machinima Festival!, das immer an Halloween stattfindet. War also auch schon. Egal.
Das Neue Das AlteIn VivoCity, der gerade eröffneten grössten Shopping-Mall Singapurs, findet sich im zweiten Stock mit "Food Republic" der teuerste Foodcourt der Insel. Fünf bis sieben Millionen Singapur-Dollar (2,5 – 3,5 Millionen Euro) hat nach Angaben der Betreiber die Ausstattung der versammelten Garküchenstände und kleinen Restaurants mit echten Antiquitäten – Balken, Kacheln, Pferdewagen aus der Qing-Dynastie – gekostet, welche u.a. aus historischen Häusern stammen, die momentan in China beinahe flächendeckend abgerissen werden. So will man, wie Food Republic's Brand-Managerin Patsy Loo erklärt, Einheimischen und Touristen helfen "zu verstehen, wie es in Asien vor dem Krieg aussah, als es noch viele mobile Garküchen auf den Strassen gab." Das geht in Singapur tatsächlich nicht anders, denn mobile Strassengarküchen sind hier verboten, angeblich aus hygienischen, wahrscheinlich aber auch aus anderen Gründen. So kann, wer will, die Einrichtung der Food Republic auch als einen indirekten oppositionellen Akt in bester Tradition der Aufklärung lesen.
Unten im Basement 2 der Vivo-Mall hat sich dagegen das Ancien Régime eingenistet. Der Zuckerzeugsupermarkt Candy Empire ist zwar mit 1.000 qm gegen 8.000 qm viel kleiner als die Schlemmerrepublik, dafür aber auch reaktionärer. In der neu eröffneten Filiale hing bis vor kurzem ein Schild, das Rollstuhlfahrern das Einrollen untersagte. Nach heftigen Protesten ist das mittlerweile entfernt worden und die Royalisten haben sich entschuldigt, doch weitere Konfrontationen zwischen Reaktion und Fortschritt liegen in der Luft. In Singapur kursieren immer noch Aufrufe, das Zuckerimperium zu boykottieren. Damit nehmen die Brandmeldungen aus VivoCity noch kein Ende. Auf die Food Republic ist es bereits zu handfesten Übergriffen gekommen. In den ersten zwei Wochen nach ihrer Konstituierung wurden hier ausgerechnet ein sog. "Love Letter-Maker" und ein historisches Schild gestohlen. Ungeklärt ist bisher, von wem, aber die Zeichen verdichten sich, dass der auf Harmonie bedachten Waldorf-Mall ein revolutionärer Sturm bevorsteht. Naja, vielleicht auch nicht.
Thinking of Japan (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Es soll auf dieser Welt eine Insel geben, deren Bewohner täglich bis zu 19 Stunden arbeiten, dabei immer so gerade noch dem Karoshi von der Schippe springen, anschliessend zum Pachinko gehen oder sich mit ein paar druckfrischen Hentai in ein Capsule-Hotel legen und dabei ein paar Jussipussi und Big Nuts mit Fart herunterspülen. Wenn Menschen mit einem solch extremen, über Jahre hinweg praktizierten Lebensstil plötzlich auf ihrer Insel nicht mehr sicher sind, weil z.B. irgendwelche Platten an ihr ruckeln, dann kann das natürlich auch nur besonders extrem über die Bühne gehen. Etwa so wie in Shinji Higuchis neuem Film "Sinking of Japan", dem Remake eines Films von 1973, der gerade (am 26.10.) in Singapur angelaufen ist und in dem sich Erdbeben, Vulkanausbrüche und Tsunamis ein Stelldichein geben, um Shinkansen, Tempel, Fernsehtürme und eben auch oben erwähnte Bewohner durch die Gegend zu wirbeln, dass es nur so kracht. So verrät es bereits das Filmplakat, und viel mehr, als darauf zu sehen ist, passiert dann auch im ganzen Film nicht, zumindest fast nicht – die Regierung versucht nämlich noch, ihre Bewohner von der Insel aufs sichere Festland zu retten aber dann ist auch schon Schluss und die eigentlich schlimmste Katastrophe wird ausgespart: Die Bewohner müssen sich in der neuen Heimat einen neuen Lebensstil zulegen.
Eine Ausstrahlung in Deutschlands Kinos lässt übrigens auf sich warten. Man arbeitet wohl noch an der Übersetzung des Titels.
Von vorne Auf dem Dach DrinnenWie man vielleicht weiss, ist der kleine, bizarre Inselstaat Singapur ein Land der Shopping Malls. Auf 4,4 Millionen Einwohner kommen mehr als 150 grosse Einkaufszentren, also auf ca. 30.000 Bewohner eines. Seit dem 7. Oktober kann der Singapurer in einer weiteren Mall Sachen kaufen. VivoCity ist mit gut 335.000 qm Verkaufsfläche momentan das grösste Einkaufsding der Insel, und jetzt schon das erfolgreichste. Nach einer Woche wurden knapp eine Millionen Besucher gezählt, inzwischen dürfte sich also jeder Singapurer das Trumm einmal angekuckt haben.
Gebaut hat die "Lifestyle Mall" der japanische Architekt Toyo Ito, der sein Bauen auch irgendwie auf Gilles Deleuze bezieht. Aber VivoCity – der Name soll sich von vivacity = Lebhaftigkeit oder Lebendigkeit herleiten – erinnert doch wohl eher an anthroposophische bzw. organische Architektur im Geiste Rudi Steiners, was recht lustig ist, weil eine Shopping Mall wohl so unanthroposophisch ist wie höchstens noch Heroin spritzen. Aber Herr Ito vermeidet (oder kaschiert) brav rechte Winkel, aussen und innen dominieren ovale, geschwungene Linien und Formen. Auf dem Dach steht Wasser in flachen, natürlich geformten Teichen, daneben gibt es ein Amphitheater; ein Open-Air-Kinderspielplatz findet sich im zweiten Stock. Zur organischen Inszenierung passen auch die gewählten Signature-Farben – ein Lindgrün und ein Hellblau wie aus dem Weleda-Katalog – und programmatische Sätze auf der VivoCity Homepage: "The VivoCity identity is inspired by a sense of natural energy and flow. Its organic and dynamic nature expresses the stimulating experience, reflects the energy in the name and complements the architectural vision."
Interessant an der neuen Waldorf-Mall ist gewiss auch, dass ihr Bauherr und Betreiber die Mapletree Investments Pte. Ltd. ist. Diese ist nun eine hundertprozentige Tochter von Temasek Holdings, welche wiederum dem Singapurer Finanzministerium gehört. Das heisst, VivoCity ist, wie viele andere Firmen in Singapur, ein Staatsbetrieb. Kann es also sein, dass die Waldorf-Mall ein Zeichen dafür ist, dass das kleine Land, dessen Regierung seit der Unabhängigkeit irgendwie zwischen Hardcore-Kapitalismus und Softcore-Sozialismus lavierte, jetzt anthroposophisch wird? Wird es demnächst auf Singapore Airlines-Flügen statt der gewohnten Sicherheitsturnübungen Eurythmiekurse geben? Und werden Singapurs Manager, Investmentbanker und Immobilienmakler zukünftig jeden Morgen gemeinsam auf dem Raffles Place singen, nasenflöten, malen und plastizieren? Möglich wär's. Auf jeden Fall in Singapur.