Riesenmaschine

24.08.2008 | 20:46 | Anderswo | Was fehlt | Listen

Nehme jedes Wortspiel an


Kleingeld, an das wir glauben (Foto, Lizenz)
Zwischen Bettlern und Bloggern lassen sich viele vollkommen konstruierte Parallelen entdecken: Beide Randgruppen suchen nach Aufmerksamkeit, befinden sich im Kampf gegen die Festanstellung und gehen meist betrunken zur Arbeit. Auch das ermüdend oft konstatierte Relevanzgefälle zwischen Amerika und Deutschland scheinen sie sich so brüderlich zu teilen wie die letzte Zigarette.

Während deutsche Bettler vollkommen unreflektiert vor sich hinleiden, macht in Amerika Not noch erfinderisch. Dort hauchen die Bittsteller beim Schildermalen dem verstaubten Genre des One-Liners neues, nach Fusel stinkendes Leben ein. So berichtet ein deutscher Blogger aus New York von der Rangliste seiner Lieblingsbettelschilder: Während Platz drei noch eher dem T-Shirt-Spruch-Humor der Firma EMP zuzuordnen ist, zeugt Platz zwei bereits von angelsächsischem Understatement. Platz eins jedoch ist eine klassische Wortspielperle, wie sie sich nur unter Bettlern und Bloggern jenseits des Atlantiks finden lässt: "I'm like Obama. I want change."


12.08.2008 | 20:29 | Fakten und Figuren | Listen | Papierrascheln

Markwort – Allein zu Haus


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gut, Sommerloch, klar. Der Riesenmaschine ist die Problematik temporären Themen- und Autorenmangels zwar fremd, Verständnis hierfür bringen wir aber natürlich dennoch auf. Also so prinzipiell. Für den Focus zum Beispiel: "Schnell! Schick! Sparsam!", so diese Woche die dreifaltige Fakten-Fakten-Fakten-Alliteration, die das nächste grosse Ding in Sachen Benzinkostenvermeidung propagiert. Das Nachrichtenmagazin bringt einen völlig neuen Aspekt in die Diskussion um die begrenzten Ressourcen der lieben Mutter Erde ein, indem es den ungläubigen Funkspothörer an seiner knallhart recherchierten Zauberformel teilhaben lässt: "Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren".

"Hey! Aber ja doch!", denkt sich da selbst das Supatopcheckerbunny, "da hätte ich aber auch selbst und auch früher auch schon mal darauf kommen können!" und kauft sich voller Neugier das bunte Heft mit dem Titel: "Spar Sprit – Fahr Rad!" Und der dicke Mann beim Focus, der zur Urlaubszeit etwas verloren wirkt – so ganz alleine am riesigen Redaktionstisch – wirft sich weiter selbst die Bälle zu. Die Themen der nächsten Wochen hat er bereits alle im Kasten:

Die neue Gang-Art: Schlendern – entschleunigt, entspannt, entertaining! Toll: Ihr Körper bringt schon alles mit, was sie dazu brauchen!

Lesen – Draufschauen. Dekodieren. Denken. Optische Informationsaufnahme neu entdeckt. Die 20 beliebtesten Buchstaben im praktischen Merkheft im Hosentaschenformat.

Kaffeetassen – klobig, knallig oder klein? Welche Modelle gibt es, was muss ich beim Kauf beachten?

Möbeldilemma: Tisch oder Stuhl? Sitzen, Seufzen, Sorgenmachen. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Eine Übersichtstabelle auf 13 Sonderseiten hilft bei der Entscheidungsfindung.

Mit Freunden treffen -- unterhaltsam, ulkig, unbeschwert oder zickig-zermürbende Zeitverschwendung? Grosser Service-Teil mit Brettspiel zum Heraustrennen.

Der einsame Mann im Spiegelhochhaus hingegen tut sich schwer: Ob man nächste Woche mal "Macht Masturbation blind?" titeln sollte? Oder es vielleicht auch einfach mal ganz lässt, einfach mal eine Woche aussetzt? Das muss doch auch mal möglich sein!


13.05.2008 | 22:42 | Sachen kaufen | Listen

Gegenwart und Zukunft des Angebens in den verschiedenen sozialen Schichten anhand des konkreten Beispiels einer ungenannt bleiben wollenden Schicht unterhalb der Oberschicht


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Angeben ist kein einfaches Geschäft. Ständig tänzelt man am Rande der Lächerlichkeit entlang, man muss mit einer Vielzahl verschiedener Zielgruppen und ihren komplizierten Ansprüchen zurechtkommen und die Halbwertzeit angabeorientierter Konsumgüter verringert sich ständig. Ausgedachte Untersuchungen wichtiger Institute geben wieder, dass sich das Durchschnittsbudget des Angebers seit den 1990er Jahren beinahe verzwölffacht hat (nach eigenen Angaben). In der gebildeten Oberschicht ist die scheinbare Abkehr vom konsumorientierten Angeben einer der grossen Angeber-Trends des 21. Jahrhunderts. Tatsächlich wird dort das Angebertum in eine Wolke aus fein zerstäubtem Understatement gehüllt – das Porsche-Cabrio wird in farblich zurückhaltendem, umweltfreundlichem Lack bestellt, versehen mit dem Aufkleber "Mein Zweitwagen hat einen Hybridmotor".

Aus blossem Geldmangel gibt die Mittelschicht eher mit sich selbst und ihren Fähigkeiten an als mit hochwertigen Konsumgütern. Der Trend dort geht eindeutig zur Bildung als Statussymbol. Auf jedem normalen Klassentreffen zählt man heute 15 verschiedene Titel aus 10 Ländern, auf Alumnitreffen der Wirtschaftswissenschaften wirkt man ohne MBA, Doktor und profunde Kenntnisse von sieben aussereuropäischen Sprachen eher wie ein Aussenseiter als ohne Hose.

Und die Unterschicht? Dort gibt man sich gewitzt und nicht geschlagen, schon allein, weil in der Unterschicht Angeben als offensiver Teil der Balzstrategie unmittelbar zum Überleben der eigenen Gene beiträgt. So kauft man sich, wann immer möglich, brandneue Teile für sein – wie man noch Anfang dieses Jahrtausends sagte – aufgepimptes Automobil. Ein Nachteil für den Unterschichts-Angeber von Unterwelt war bisher, dass auch der teuerste, vergoldetste Zylinderkopf von aussen ebenso wenig sichtbar ist wie der 5.000-Watt-Verstärker im Kofferraum. Dieses Problem löst man bei Unterschichts inzwischen, indem man die Logos aller eingebauten Produkte an der Seite des Autos aufklebt. Das Verfahren ist nicht ganz zu Ende gedacht, weil noch das jeweilige Modell und vor allem der Preis (am besten relativ zum Monatsgehalt) fehlen – aber es ist der Anfang einer Weltrevolution, nämlich des Virtuellen Angebens. Denn um ein Logo auf die Autotür zu kleben, braucht man natürlich kein eingebautes Produkt.

Und so sehen wir die Zukunft der Angeberei in allen Schichten vor uns: die Menschen werden herumspazieren und Bluetooth-Botschaften mit angeblichen Statussymbolen aussenden. Holographische Projektionen werden über dem Kopf des Angebers schweben und ihn, seinen ausgedachten Bildungsweg, seine tolldreist gelogenen Erlebnisse im Dschungel von Tibet und seine vorgeblich erworbenen Edelkonsumgüter in schillernden Bewegtbildern preisen. Schliesslich wird die Angebe-Holographie auch noch mit einer eigenen künstlichen Angeber-Intelligenz ausgerüstet werden und endlich wird so ein alter Menschheitstraum wahr geworden sein: die Existenz des Über-Über-Ich.


29.01.2008 | 02:29 | Supertiere | Listen

Beitrag des Jahres


Ammoniten: Kennst du einen, kennst du alle.
(Foto: bertrand_man) (Lizenz)
Schlimmer als die inflationäre Seuche der Jahre des Irgendwas ist nur die seuchenhafte Inflation der Irgendwasse des Jahres. Harmlos ging das los, 1971, als es erstmals einen Vogel des Jahres gab (2008: Kuckuck). In den kommenden Jahrzehnten kamen dann Dinge wie der Fisch, das Tier, die Blume, der Pilz, der Baum oder die Landschaft des Jahres hinzu, bevor die Anzahl der Ehrungen seit der Jahrtausendwende explodierte: Arzneipflanzen, Biotope, Böden, Einzeller, Flechten, Flusslandschaften, Gemüse, Giftpflanzen, Heilpflanzen, Haustiere, Insekten, Mooose, Nutzpflanzen, Orchideen, Reptile/Lurche, Weichtiere, Schmetterlinge, Spinnen, Stauden, Streuobstsorten, Wasserpflanzen und Wirbellose Tiere stellen sich Jahr für Jahr einem erbarmungslosen Wettbewerb.

Seit 2008 gibt es nun auch das Fossil des Jahres, und der erste Gewinner ist der Riesenammonit aus Westfalen, der vermutlich in guter Tradition der Auszeichung nur deshalb ausgesucht wurde, weil er ein besonders vom Aussterben bedrohtes Fossil darstellt. Redaktionsintern wird derweil diskutiert, ob wir nächstes Jahr selbst ein Ding des Jahres küren wollen (z.B. Katzenblog des Jahres, Hitlerwitz des Jahres, auf lästige Weise immerzu klemmender Gegenstand des Jahres, überflüssig gewordenes Speichermedium des Jahres oder Berg in den Karpaten mit acht Buchstaben des Jahres) – oder ob wir durch weiteres Runterschrauben der Beitragszahlen einfach die Wahl zum Fossil des Jahres 2009 selbst gewinnen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Year of the Year


02.01.2008 | 21:43 | Anderswo | Fakten und Figuren | Listen

Year of the Year


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Auch 2008 steht wieder eine Flut an Gedenkjahren ins Haus, hier eine Übersicht der wichtigsten Termine: Beim Marktführer UNO geht das Internationale Jahr des Planeten Erde ins zweite von drei Jahren, das von der Tochterorganisation UNEP ausgerichtete Jahr des Delfins wurde wegen des grossen Erfolgs ebenfalls noch bis 2008 verlängert. Ausserdem ist exklusiv Internationales Jahr der Sprachen, der Kartoffel und der sanitären Versorgung. Ein bisher unbesetztes Themenfeld hat hingegen die EU-Verteidigungsagentur entdeckt und feiert das Jahr der Rüstung, während das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Jahr der Mathematik begeht. Ferner finden das Internationale Jahr des Riffes, das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs, das Jahr des Frosches und angeblich das Jahr des Open Content statt. Und schliesslich noch der spezielle Reiseservice für Nordwestengland (Riesenmaschine-Partnerregion 2008): Cheshire feiert das Year of the Garden, in Lancashire findet das Year of Food statt, in Manchester ist Year of Sport und Cumbria das Year of Adventure.


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