Riesenmaschine

07.03.2007 | 01:46 | Nachtleuchtendes | Supertiere | Fakten und Figuren

WBR! WBR! WBR!


Running with Text-Bild-Schere (Foto: chikawatanabe) (Lizenz)
"Mensch" bzw. "human" klingt doch eigentlich ganz gut. Man kann sich über den Vielfrass beugen und ihn belächeln, im Englischen sind nach ihm Death-Metal-Platten und Superhelden benannt, im Deutschen kichert es auf dem Schulhof, wenn sein Name fällt.

Aber welcher Witzbold hat eigentlich die dosenhaften Meeresbewohner Botrylloides leachi im Deutschen "Seescheide" und im Englischen "sea squirt" getauft? Für die ertragene Malaise und die Aussicht, wegen des Namens nicht einmal in "Searchmashing Nemo" (deutscher Verleihtitel "Findet Nemo 6 – Im Ozean hört dich niemand schreien") zu erscheinen, kann es doch keine Entschädigung geben. Ausser vielleicht dem Schicksal, sich aus seinen Kleinteilen regenerieren zu können, wie in gerade in Plos Biology zu lesen steht. Whole Body Regeneration, bald in der Headerzeile Ihrer Spammail.

Natürlich kann sich keiner der Berichterstatter verkneifen, die phylogenetische Nähe zwischen dem Wabbel aus der See und dem edlen Menschen hervorzukehren. Schliesslich sind beide Chordaten, die Seescheide also praktisch ein Mensch; bestimmt kann sie Augustiner von Oettinger unterscheiden. Im Menschen wird fortan die Hoffnung genährt, auch aus jedem Teil des Körpers, der Blutgefässe enthält, in eigenen Kopien wiederaufzuerstehen. Falls es doch gelingt, der Seescheide ihr Geheimnis zu entreissen, sollte sich die Menschheit zum Ausgleich wenigstens in "Blödsack" und "Scumbag" umbennen.


05.03.2007 | 15:28 | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

La Terra Trema


Trema in Neon-Pink (Foto: Maya McKechneay)
Es soll ja Leute geben, die haben es noch nie bewusst zur Kenntnis genommen. Die deutsche Rechtschreibreform behauptet sogar, dass sie es nicht mehr kennt.
Die Rede ist vom Trema, jenen zwei Pünktchen über einem Vokal, die signalisieren, dass dieser Individualist ist, und sich mit seinem Nachbarn nicht – nein, sicher nicht! – zum Diphthong verbünden mag. Gar nicht neiv eben, sondern naïv.

Der italienische Regisseur Luchino Visconti hat dem Sonderzeichen vor 60 Jahren seinen Tribut gezollt: La Terra Trema ("Die Welt, ein Trema", 1948, in Deutschland auch unter dem missverständlichen Titel: "Die Erde bebt" in Umlauf) erzählt von Abgrenzung, Lücken und Kluften, vor allem aber davon, dass harte Arbeit Erfolg alles andere als bedingt.

Nach jahrhundertelangem Dienst soll also das Trema ausgedient haben und findet Zuflucht allein im Fremdwort, Citroën oder – Aïda. Bei letzterer handelt es sich im österreichischen Sprachgebrauch um eine Kaffeehauskette, deren Internationalisierung seit Jahrzehnten auf sich warten lässt, während ihr Design nach ebenso langer Renovierungsträgheit dieser Tage wieder topschick ist. 1912 von einer gewissen Frau Rosa gegründet, präsentieren sich die zwei Dutzend Wiener Filialen auch heute in dieser Farbe. Und mit dem schönsten Pink-Trema, das man online findet, seit kurzem auch im Netz.


04.03.2007 | 13:31 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Magnetisch fabriziert


Foto: Nick Russill, Lizenz
Was wäre die Welt ohne Magnetfelder. Es gäbe keine Sterne, weil man magnetische Kräfte beim Zusammenknüllen von Gas dringend benötigt, schlimmer noch, es gäbe auch keine Flecken und keine Protuberanzen und damit nichts anzusehen auf der Sonne. Es gäbe keinen elektrischen Motor und damit auch keine Brotschneidemaschine, es gäbe keinen Maxwell, keine Magnetohydrodynamik, Aale und Zugvögel fänden nicht nach Hause, und schliesslich, und das täte jetzt endgültig allen leid, es gäbe keine Polarlichter. Die nämlich entstehen, wenn schnelle Teilchen aus dem an schnellen Teilchen nicht armen Kosmos, abgeschickt übrigens vom Magnetfeld der Sonne, vom Magnetfeld der Erde in die Atmosphäre getrieben werden, dort mit allem möglichen herumkollidieren und in der Folge Funken schlagen. Wie das genau allerdings abläuft, war bis dato rätselhaft, und ist es auch immer noch, wenn man auch der wie üblich erschreckend unordentlichen Wahrheit näher zu kommen scheint: Mit ganzen Feldern aus Satelliten kreuzen wir inzwischen durch die Polarlichter dieser Welt, um das Magnetfeld der Erde, das dazugehörige elektrische Feld und die sämtlichen Feldern hilflos ausgelieferten geladenen Teilchen nicht unbeobachtet ihrem konfusen Treiben nachgehen zu lassen. Denn: You can observe a lot just by watching. (Yogi Berra) Und wenn wir uns das Polarlicht lange genug von oben angesehen haben, werden wir als Nächstes bestimmt auch grossangelegte Schritte unternehmen, um endlich die ganzen anderen magnetischen Rätsel der Welt zu lösen, die Sache mit den magnetischen Monopolen zum Beispiel, von denen die ganzen Felder ausgehen, und die man bestimmt nur deshalb noch nicht gefunden hat, weil sich im Inneren des Magnetfeldes ein Loch verbirgt, eine Fehlstelle im der elektromagnetisch beherrschten Welt, und damit die einzige Stelle, an der es nie Internet geben wird. Nagut, im Pansen von Kühen gibt es auch keines.


04.03.2007 | 02:27 | Nachtleuchtendes | Alles wird schlechter

Gleichschaltung


Vorbild: Nordkorea (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wie kommt es eigentlich, dass unsere Städte dieser Tage so eintönig und bleiern gleichförmig wirken wie in Mehltau gebadet, wie Kleinkönigreiche unterm Bannfluch eines bösen Zauberers gefangen? Liegt es am insgesamt komplett vergurkten sogenannten Winter? Liegt es daran, dass wir uns in einer Zeitschleife befinden, wie neulich ein Autor der FAS vermutete, und andauernd wieder das Jahr 1981 durchlaufen müssen? Die Antwort steht an fast jeder Haus-, Plakat- und Bushaltestellenwand und ist doch so gut verborgen wie Edgar Allen Poes Brief oder die mittels PAL-Feldern getarnten Raumschiffe bei Douglas Adams: Es gibt nur noch eine einzige Werbung von einer einzigen Marke. In Berlin, Hamburg und anderen deutschen Grossstädten ist buchstäblich jede verfügbare Werbefläche mit der Kampagne für den neuen Toyota Auris zugepflastert.

Die konzeptuell eher dünnen Motive ("Augen auf ...") für den Kleinwagen (der einem vom Designstandpunkt her auch nicht gerade den Stecker rauszieht) gewinnen allein durch ihre alles vertilgende Impertinenz ihre Wirkung, vulgo "Impact", um nicht zu sagen: Penetranz, die sich ins Gehirn frisst. Ein teurer Metascherz des Konzerns bzw. der Agentur bzw. der Mediaplanung, der allerdings die Frage aufwirft, mit wieviel Vorlauf und vor allem Geld man so etwas hinbekommt. Gleichzeitig ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie sich Werbung anfühlen wird, wenn dermaleinst die kapitalistische Konkurrenz im STAMOKAP gemündet ist, und es nur noch einen einzigen militärisch-industriell- staatlichen Grosskonzernkomplex gibt. Der Schritt zum Kommunismus ist dann auch nur noch ein ganz kleiner. Und wir können schon heute aus unmittelbarer Anschauung heraus sagen, dass wir beides ablehnen. Und zwar aus ästhetischen Gründen.


01.03.2007 | 20:56 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

AK mobile Freundschaft


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Im August 2004 beschrieben wir anderswo hoffnungsfroh, was die Zukunft für neue Tools zur mobilen Vernetzung von allen mit allen bereithielt. Spätestens im September 2004 gedachten wir uns in Handysoftware zu wälzen, die uns den Aufenthaltsort von Freunden, Nachbarn und Wildfremden sichtbar machen sollte. Der Leser ahnt, wie die Geschichte ausging: Natürlich passierte erst mal gar nichts, und dann nicht viel. Die im Text genannten Dienste sind entweder nie oder wenn, dann nur in San Francisco gestartet, die Details kann jeder selbst recherchieren, wir sind ja hier nicht der Heise-Newsticker.

Aber weil es nicht zu unseren Gewohnheiten gehört, aus Fehlern zu lernen, sei hiermit angekündigt, dass es doch noch klappen wird mit dem mobilen Social Networking, und zwar ab praktisch sofort und in Form der Java-Handysoftware aka-aki. Um ganz sicher zu gehen, haben wir die Technik diesmal von Riesenmaschine-Autor Gabriel Yoran erfinden lassen. Das Ding mit dem wie von Thor Heyerdahl erdachten Namen sucht im zugegeben bescheidenen Umkreis von 20 Metern per Bluetooth nach anderen Nutzern, die je nach Geschmacklosigkeit der dahinterstehenden Firma vermutlich "Aka-Akivisten" oder so heissen werden, und lädt dann deren Profile aus dem Web. Für Menschen, die keine Gesichter wiedererkennen oder sich keine Namen merken können, kann dieser Service schon beim engeren Freundeskreis nützlich sein (vorausgesetzt, man hat sie alle vorher in den Aka-Aki-Akundenkreis hineingekobert). Alle anderen bekommen erklärt, über welche sieben Ecken sie die eigentlich unbekannten Menschen um sie herum wenigstens indirekt kennen, und wie es immer so ist, werden den Teilnehmern vermutlich noch ganz andere Nutzungsmöglichkeiten einfallen. Geld kostet nur der Traffic, und zum Preis einer SMS kann man ungefähr 500 aka-aki-Nachrichten verschicken. Wen stört bei dieser Fülle an Wi-Wa-Wunderfeatures der alberne Name? Die Alphaversion läuft, die öffentliche Beta startet Anfang April, und dann wird der Löwe endlich das Lamm erkennen, und wir werden uns mit aller Welt in den Armen liegen. Bis der Aka-Aki-Akku alle ist.


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