Riesenmaschine

30.09.2008 | 12:06 | Anderswo | Was fehlt | Sachen anziehen

Anarchie in China


Anarchistenfiliale in der Pekinger apm-Mall
Seit Mikhail Bakunins und Karl Marxens Zeiten streiten sich Anarchisten und Kommunisten in der Weltarbeiterbewegung um die ideologische Vorherrschaft. Aufgrund der stärkeren Bataillone ging dieser Kampf in den letzten 150 Jahren eigentlich immer zugunsten der Kommunisten aus. Mit einer raffinierten Langzeitstrategie beginnen die Anarchisten jetzt allerdings die Kommunisten auszutricksen. Dafür bedienen sie sich zum Beispiel eines Mannes wie dem Ex-Punk, Designer (und heimlichen Anarchisten?) Phil de Mesquita, der das Logo der Anarchisten, das A im Kreis bzw. Anarcho-A, 1993 auf seinen "Acupuncture"-Sneakern platzierte. Schnell wurde das A an den Füssen populär, und Ende der Neunziger sollen Robbie Williams, Kylie Minogue, Johnny Rotten und Bands wie Blur oder The Prodigy nur noch "Acupuncture" getragen haben. Als allerdings selbst das Anti-Trendmagazin Der Spiegel über die "heftige Marke" (Spiegelsprech) berichtete, war sie auch ziemlich schnell wieder weg. "Acupuncture" schien ein Opfer der "Anarchie des Marktes" (Marx) geworden zu sein.

Tatsächlich aber tauchte "Acupuncture" in Hongkong erst ab und dann wieder auf; zumindest ist weltweit nur eine Hongkonger "Acupuncture"-Webseite aktiv und auch die Firma ist in Hongkong Kowloon gemeldet. In Hongkong selbst wimmelt es inzwischen von "Acupuncture"-Läden, und von Jahr zu Jahr meldet die Marke hohe Zuwachsraten bei den Verkaufszahlen. Mittlerweile gibt es aber auch mindestens drei "Acupuncture"-Filialen in Peking, wo man jetzt also mitten im Hammer und Sichel-Land mit dem Anarcho-Logo Werbung macht. Ohne dass die chinesischen Kommunisten etwas merken, werden so die hiesigen Jugendliche heimlich und offen zugleich auf die Ideologie der alten Rivalen vorbereitet. Doch das ist anscheinend nur der erste Schritt zur Weltnichtherrschaft. Auf der diesjährigen "Bread & Butter"-Messe in Barcelona meldete sich "Acupuncture" mit der Behauptung zurück, das 1994 in Soho, London, gegründete Unternehmen sei 2008 in Soho, London, "wiedergeboren" worden. Die einst so ehrpusseligen Anarchisten scheinen also in den letzten Jahren auch das Schummeln gelernt zu haben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Corporate Communist Design

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


03.07.2008 | 20:18 | Anderswo | Sachen anziehen

Traurige Tropen

Die Pubertät ist ein Elend, und auch das junge Erwachsenendasein kein Vergnügen, selbst wenn sich beides auf einer, zumindest in Reiseprospekten als solche apostrophierten Trauminsel wie Bali abspielt. Das muss jedenfalls aus der Mode geschlossen werden, die ein nicht unerhebliches Segment der balinesischen Jugend bevorzugt trägt. Diese Jugend schmückt sich gerne mit Klamotten, die Skulls, Bones und Knarren zieren und mit denen man sich irgendwo zwischen Gruft, Hass, Rockabilly und Punk positioniert. Verkauft werden die Jugendtrachten in Boutiquen, die sich seltsamerweise "Bistro" nennen, obwohl es hier noch nicht einmal ein trockenes Baguette zu essen gibt. Diese Läden heissen "Traffic", "URock" oder "BlackID" und sind schon von weitem an ihren in der Manier von Achtziger-Jahre-Fanzines gestalteten Firmenschildern und markigen Claims wie "Created For Your Extreme Lifestyle" oder "Everyday is hell" zu erkennen. Tatsächlich: Jeden Tag Sonne, Strand und Nightlife – gibt es Schlimmeres?

Besonders zugespitzt repräsentiert die kleine Kleiderbistro-Kette Suicide Glam diesen Hang der balinesischen Jugend zum Morbiden. Der erste Laden wurde vor sieben Jahren von zwei Jungs in einer Garage in Balis Hauptstadt Denpasar gegründet. Heute produzieren 25 Mitarbeiter Kleidung für das lebensmüde, aber lustig auftretende Label ("Dressed like no tomorrow" / "To hell with your metrosexual crap"). Inzwischen wird der Selbstmordglanz auch in die ganze Welt exportiert; ausserdem gibt es neben einer Handansichanlegen-Filiale im nahe gelegenen Australien schon längere Zeit einen deutschen Laden. Der steht in einer Stadt, in der es ähnlich trostlos und suizidal zugeht wie am Strand von Bali: Würzburg nämlich. Seltsam: Wir hätten auf Göttingen getippt, die Kokosnuss unter den deutschen Städten.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


15.05.2008 | 12:48 | Sachen kaufen | Sachen anziehen

Eine Denkblase voll heisser Luft


Auf einem Klapprad sieht es gleich nochmal so doof aus.
Man hat es nicht leicht, wenn man auf moderne Weise doof aussehen will. Klassische Modezeitschriften helfen zwar, es fehlt ihnen aber in der Regel der letzte Tick Verfeinerung, die originelle Designvolte, die aus aus einem bloss missglückten Produkt einen echten Weggucker macht. Abhilfe verspricht der Nubrella ("The Ultimate Weather Protector"), den man sich trotz des Namens nicht aufs Brot schmieren, sondern auf die Schultern schrauben soll, und mit dem man definitiv bescheuerter aussieht als vor seiner Erfindung möglich. Leider ist der Nubrella aber möglicherweise auch zu was gut, was die ganze schöne Beklopptheitsdistinktion wieder zuschanden ritte, hätten die Erfinder nicht auch ein Modell mit undurchsichtiger Rückseite gemacht. Das kann man sich einfach falsch rum aufsetzen, und sieht dann trotz praktischen Regenschutzes komplett kopferweicht aus. Spätestens wenn man mangels Sicht in einen Tango reinrömert.


14.04.2008 | 03:10 | Sachen kaufen | Sachen anziehen | Papierrascheln

Die Werbung lügt – jetzt noch dreister!


Typisch Clooney (Werbung): Macht, was er (sie) will. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Dass Werbung mitunter ein entspanntes Verhältnis zur Wahrheit pflegt und im Zweifel die faktische Empirie eher zugunsten des anzupreisenden Produktes oder der Marke auslegt, liegt gewissermassen in der Natur der Sache und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Dass sie aber so dreist und unverfroren die Unwahrheit behauptet, dass es ihr selbst und "der Sache" Schaden zufügt, ist neu und allemal erklärungsbedürftig. Warum behauptet diese Anzeige des Uhrenherstellers Omega, bei dem gross im Packshot zu sehenden Chronographen handele es sich um "George Clooney's Choice", wo doch für jedermann weithin sichtbar und erkennbar ist, dass George Clooney auf dem Foto eine Uhr mit Lederarmband, vielleicht von derselben Marke, aber ganz gewiss nicht die vorn abgebildete trägt? Geht es darum, die Aufmerksamkeit des Lesers zu prüfen? Geht es um die schiere Irritation um der Irritation willen? Oder geht es gar um die – im kleinen Wort "Choice" ja durchaus angelegte – Feier des freien Willens, selbst angesichts hochdotierter Werbeverträge als Testimonial, sich nicht vorschreiben zu lassen, welche Uhr man zum Shooting zu tragen hat. Das wäre allerdings eine raffinierte höhere Pointe, die man dieser unscheinbaren Kampagne auf Anhieb gar nicht zugetraut hätte.


11.03.2008 | 21:02 | Alles wird besser | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Auf Rollen tollen

Trendsportgeräte mit Rollen sind die Nager unter den Sportgeräten. Sobald das Frühjahr dräut, kriechen beide aus irgendwelchen Höhlen und verzücken harmlose Passanten. Unbedarftes Drauftreten führt sodann in jedem Fall zu Unannehmlichkeiten.

In der trendsportfreien Winterzeit hat der naturverachtende Mensch allerdings abstruse Mutationen und Kreuzungen fabriziert, die dem Tier netterweise erspart bleiben, solange es sich von einschlägig "kreativen" Künstlern fernhält. Was den Trendsport betrifft geht es in diesem Jahr mit dem Orbitwheel indes richtig "rund". Zum Wermutstropfen wird da jedoch die krebsig-reaktionäre Seitwärtsbewegung, die aber eine grosse Erkenntnis nicht verschleiern kann: Der Trend-Evergreen namens Reduktion lässt den Menschen immer mehr zum integralen Bestandteil des Gerätes werden. Für die Zukunft bedeutet dies: Rad schlagen bis zum Umfallen.

(via Gizmodo)

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wahn mit starrer Achse

Jan-Christoph Deinert | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


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