Riesenmaschine

05.05.2007 | 15:11 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Graffitiordnung


Die Graffitiordnung im Einsatz

Von den Fenstern abgesehen: alles 2D! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während in Berlin die Neue Höflichkeit gerade im Scheitern begriffen ist, ist Zürich bereits einen Schritt weiter. Der Schritt äussert sich in einem mobilen orangen Einsatzkommando mit der Aufschrift 'Graffitiordnung'. Die Graffitiordnung verfolgt die Strategie, an falschen Orten angebrachte Beschriftungen und Bilder schnellstmöglich zu übermalen, so dass ihre pubertierende Urheberschaft keine Zeit findet, sich vor ihren pickeligen Freunden zu brüsten.
Interessanterweise haben die drei Zürcher Graffitiordner bereits ihrerseits unterschiedliche Malstile entwickelt – einer zum Beispiel übermalt immer nur in Rechtecken und nimmt jedesmal einen leicht anderen Farbton, so dass mit der Zeit pastellfarbige Mondriane die Zürcher Unterführungen schmücken. Ein anderer übermalt knapp und in organischen Formen, wieder ein anderer in wild gezackten Figuren. Allen gemein ist, dass sie nie ganz den Farbton der darunterliegenden Hauswand treffen.
Diesen Umstand macht sich ein aufmüpfiger, wenn auch diskreter Tagger zunutze. Er verwandelt die Übermalungen der Graffitiordnung mit einem einzigen Strich seines fetten Edding in eine perfekte optische Täuschung, indem er ihnen einen Schatten hinzumalt. So feinfühlig kann also Auflehnung gegen Kapitalismus, Staat, Elternhaus, schlimme Kindheit und die Abwesenheit von Geschlechtsverkehr sein.


30.04.2007 | 21:25 | Sachen kaufen | Zeichen und Wunder

Schlüsselerlebnisse


Warum fragen eigentlich immer alle bei Produkten nach dem Sinn? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der grosse Schliess- und Schlüsselkongress in Las Vegas war sowohl dem Marketingmanager als auch dem Leiter der Forschungs- und Entwicklungsabteilung noch in lebhafter Erinnerung, als sie eines Freitags abends vom Vorstand gebeten wurden, für Montag früh eine Präsentation vorzubereiten. Ein Grossinvestor wolle "die ganze Hütte kaufen", Bedingung sei jedoch, so der Aktienoptionen besitzende Vorstand, dass man "ordentlich Innovationen am Start" habe und besonders die "schliessaffine Zukunftszielgruppe 14 bis 29 Jahre" bedienen könne. Und so dachten die beiden eine Viertelstunde intensiv herum, und als immer noch nichts herausgekommen war, malten sie einen bunt bedruckten Schlüssel in ihr Powerpoint, flanschten die selben Finanzierungsfolien wie beim (leider gescheiterten) Projekt "magnetischer Siliziumschlüssel" hinten an die Präsentation und gingen zur Weinprobe.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein schöner Tag in der Firma


30.04.2007 | 03:03 | Berlin | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Der traurigste Geldautomat der Welt


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Banken sind over. Als man sich in den 1970er Jahren noch kritisch mit dem Kapital auseinandersetzte, bemühte der aufgeklärte, aber nostalgische Studienrat einen Vergleich: "Früher waren die Kirchen die höchsten Gebäude der Stadt, um Glanz und Macht zu zeigen – inzwischen sind es die Türme der Banken." Heute gibt es andere Herrscher der Finanzwelt, "Masters of the Universe" nennen sich Fondsmanager selbst und nehmen ihr Selbstbewusstsein daher, dass sie in ihrer lebenslangen 29-Jährigkeit 400 Jahre alten Banken sagen, wo es langgeht. Gleichzeitig beginnen P2P-Banken wie Zopa oder das deutsche Smava von unten an den Banken zu kratzen (auch wenn auf Smava Kreditnachfragen über 5.000 Euro für 1.000 "hocheffiziente Holzsparkocher" in Nigeria von einem anonymen Mitglied einer "Nicht-Regierungs-Organisation" nur begrenzt vertrauenserweckend scheinen).

Insgesamt litt und leidet das Image der Banken von allen Seiten. Oft genug gelten sie irgendwie als heuschreckoid, aber sind gleichzeitig deren Opfer. Sie entlassen in Scharen, schliessen Filialen, man ist entweder sauer auf sie oder sie sind einem egal und die meisten Menschen beschäftigen sich mit Banken nur noch, wenn sie ihre Spammails löschen.

Da passt es gut, wenn in einem Supermarkt in Berlin ein Geldautomat den denkbar grössten Kontrast zu der marmornen Eingangshalle einer altehrwürdigen Grossbank mit Zedernholztresen darstellt: Zwischen dem handgeschriebenen Brötchenangebot des Frischebäckers, Plastiknachbildungen von Terrakotta-Blumenkübeln und einem Sortiment Blumensamen im Papp-Display, nur zwei Meter von der stinkenden Pfandflaschen-Rückgabe entfernt, steht ein weinender, verschmutzter Geldautomat, achtlos dort von seiner Bank hingerotzt und trauert der Zeit nach, als er noch regelmässig vom Klassenfeind mit Steinen beschmissen wurde, weil er ein stolzes Zeichen des herrschenden Bankenkapitalismus war.


29.04.2007 | 19:45 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Heil, Haus!


Vergangenheit, auch nicht mehr das, was es mal war (Foto: Effervescing Elephant, Lizenz)
Häuser gehen oft einfach kaputt. Man sieht es anfangs meist nicht, aber kaum wartet man mal ein paar hundert Jahre, kommt ein Krieg oder ein Tsunami und schon ist die schöne Immobilie dahin. Genaugenommen sind Häuser sogar deutlich zerbrechlicher als die meisten andere Dinge, Sterne z.B. halten klar länger und sogar die katholische Kirche ist älter als die allermeisten noch stehenden Häuser. Sehr besorgt über diese Sachlage ist man auch am NanoManufacturing Institute (NMI) in Leeds. "So kann es nicht weitergehen, wirklich nicht", haderte man dort täglich mehrere Stunden lang. Und fand die Lösung: Die Häuser sollen das Problem gefälligst selbst lösen. Ein erstes solches selbstheilendes Haus entsteht derzeit in Griechenland, einem Land voll mit leidgeprüften Ruinen. Hier die Grundidee: Zunächst stopft man das Haus voll mit Sensoren, Netzwerk und RFID-Küken, und bringt ihm bei, Selbstgespräche zu führen. "Riss, da, Ecke hinten rechts."- "Wie, Riss?" – "Weiss doch auch nicht, Erdbeben, Krieg, Schwertransporter, jedenfalls Riss." – "Ok, Riss." Hat sich das Haus auf eine Diagnose geeinigt, jammert es nicht gross rum, sondern sagt zunächst seinen Bewohnern Bescheid und füllt dann flüssige Riesenmoleküle in den klaffenden Riss, die, dort angekommen, erstarren, und die Wunde somit fachgerecht verschliessen. Anschliessend klopft sich das Haus selbstzufrieden auf den Giebel.


27.04.2007 | 07:10 | Anderswo | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Wofür?

Warum gibt es Plattentektonik nur auf der Erde? Wieso haben Joghurt-Gums ohne Fett trotzdem so viele Kalorien? Weshalb sind alle Führhunde kastriert? Das sind alles Fragewörter, die andere benutzen mögen. Wir fragen stattdessen: Wofür? Wofür steht zum Beispiel dieser Easy Cheque Deposit-Automat unter der Pacific Plaza in Hongkong, wo doch der Scheck dabei ist auszusterben? Nun, letzteres trifft zwar für Europa zu, aber nicht für Südostasien (inkl. Hongkong und Macao). Die haptisch orientierten Menschen hier misstrauen der abstrakten Überweisung, weshalb man in der Region Scheck -Deponierautomaten allenthalben findet. Bleiben noch: Was, Wozu, Wieso. Was also ist mit dem am Automaten aufgeklebten Taschenrechner? Gewiss, es ist ein stolzer Casio HS -8VE Two Way Power, der für den Preis von 3,99 USD vertrieben wird, aber wozu soll man ihn benutzen? Ausrechnen, um welchen Betrag man vom Scheck-Aussteller über den Tisch gezogen wurde? Mutters Telefonnummer eingeben? Nachschauen, wie spät es ist? Und wieso ist in den Rechner die Zahl 4.000 – schwer zu erkennen, aber wahr – bereits eingegeben? Wir wissen's nicht, aber wahrscheinlich ... Sie!

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (8)


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