Riesenmaschine

17.09.2006 | 13:28 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Chemnitzer Elegie


Chemnitz, Linie 56 (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Allenthalben vergeht die Industrie zugunsten des Dienstleistungsgewerbes und gänzlich rätselhafter Berufszweige wie der Bloggerei. Wo sind sie hin, die grossen Gebäude mit den vielen Rohren dran, die es noch vor gar nicht langer Zeit überall gab? Manche verfügten, so hört man, sogar über rauchende Schlote, und wenn an einem Gebäude "Backfabrik" oder "Schlachthof" dranstand, so war Industrie darinnen und kein Club. Wo ist nun das eiserne Ross? Wo sein Reiter? Wo ist die Hand an der Esse, wo das lodernde Feuer? Wer wird den Rauch der verbrannten Braunkohle sammeln gehen? Dahin ist der Lärm der Bürger, die uralten Werke der Riesen stehen leer. Wie die Zeit vergangen ist, ins Dunkel der Nacht, als sei sie nie gewesen.


14.09.2006 | 03:31 | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Sechs Jahre Noah

Das Werden und Vergehen einer menschlichen Person über einen längeren Zeitraum hin zu beobachten und zu protokollieren ist natürlich nichts Neues. Die Wissenschaft tut es, die Kunst tut es, zum beliebigen Beispiel in der Dokumentarserie, die 1964 mit 7 Up! als Beobachtung Siebenjähriger startete, und dann im Siebenjahresrhythmus, zum bislang letzten Mal letztes Jahr in 49 Up! nachsah, wie es den Überlebenden geht. Die Idee also ist keinesfalls neu, aber allein für die stulle Disziplin, sich volle sechs Jahre lang jeden Tag selbst zu fotografieren, bekommt Noah Kalina ein Fleisssternchen von uns. Und der fünfminutenlange Film, den Kalina daraus zusammengebaut hat, begleitet von, was sonst, besinnlicher Klaviermusik, schickt den Betrachter nach der ersten Minute – in der man sich noch fragt, was das Ganze nun eigentlich soll – in eine angenehm entrückte Zone der Zeitlosigkeit. Während nämlich im Film sechs Jahre im Zeitraffer um Kalina wabern und flackern, geschieht im eigenen Leben wunderbarerweise rein gar nichts, und je länger der Film läuft, desto mehr schrumpft das Gehirn des Betrachters in sein Auge zurück. Bis dann am Ende... ach, nö. Selber gucken.


12.09.2006 | 00:56 | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Tag des Auditors


Alles Gute zum Ehrentag!
(Lizenz / Fotonachweis)
Nachweislich findet der elfte September eher Beachtung als der zwölfte. Das lässt vermuten, dass es mit dem Einfluss der Scientology Church womöglich doch nicht allzu weit her ist. Schliesslich ist bei Scientologens der zwölfte September ein offizieller Feiertag, nämlich der "Tag des Auditors".

Heute also wird dem Auditor endlich einmal die viele Müh' und Plage gedankt, die er das ganze lange Jahr über hat: Tagein, tagaus sitzt er an seinem E-Meter (einer Apparatur, die der hier eingesetzten frappant ähnelt) und erhebt einen jeden aus einem Zustand geistiger Blindheit zur strahlenden Freude geistigen Daseins – eine Leistung, für die man durchaus mal ein bisschen was springen lassen sollte. Immerhin befreit man damit seinen Thetan von allen traumatischen Erlebnissen der letzten 350 Milliarden Jahre, einschliesslich der Unannehmlichkeiten mit dem abgefeimten Erzschlawiner Xenu, der seinerzeit, vor 75 Millionen Jahren, rund zwei Billionen tiefgefrorene Menschen mittels Wasserstoffbomben pulverisierte. Unschön, aber je nun, passiert ist passiert. Nehmen wir's mit Humor.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Unmotiviertes Feiertagen

Klaus Cäsar Zehrer | Dauerhafter Link


05.09.2006 | 02:26 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Japanisches Sachengerede 物語

Als Sichtbeleuchter 観光 in Japan hat man es schön. Man kann mit dem Selbstrollfahrzeug 自転車 oder dem unterirdischen Eisen 地下鉄 zum Einpflanzsachengarten 植物園 oder zum Bewegtsachengarten 動物園 fahren und dort Weissvögel 白鳥 und Berghunde 山犬 sehen, von denen man Wirklichkeitskopien 写真 anfertigt. Vielleicht gibt es sogar ein Wasserfamiliengebäude 水族館. Hinterher geht man Glückwunschverwaltung 寿司 mit Grosswurzel 大根 essen. Auch in der Kriegsführung haben die Japaner mit Fischdonner 魚雷 und Gottwind 神風 zumindest sprachlich Vorbildliches geleistet, und es war nicht nett von den Amerikanern, ihnen dafür das erste Elementarkinderausbruchsgeschoss 原子爆弾 auf den Kopf zu werfen.

Aber schliesslich ist unser Heimatland, das für Japaner übrigens so ähnlich wie Hundefloh 独 heisst, auch nicht schlecht mit hübschen Worten bestückt. Wir haben die Eisenbahn, den Tatzelwurm und den Bürgersteig, ja, sogar das Hurenkind, den Schusterjungen und den Schweizerdegen, weshalb die Japaner auch sehr gern mal zu uns kommen, um dort die Sichten zu beleuchten.


04.09.2006 | 11:35 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Präzision und Alltag


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wer liebt Österreich nicht? Wer ist nicht beglückt, wieder und wieder, wenn er den Wiener Akzent hören darf; entwickelte nicht sogar ein morscher Baumstumpf subkutane Sexyness, spräche er nur in diesem wunderschönen Singsang, bei der das leicht Jammernde mit dem Charmant-Grossspurigen ein Amalgam der Verbalerotik bildet? Und ist es nicht so, dass in Berlin in Szenelokalen die Antwort der Kellnerin auf eine dümmlich anmutende Frage lautet "Hä?", in Hamburg "Bitte?" mit einem hinten hochgezogenen "-te" der gespielten Arroganz, man in München gar vollkommen ignoriert wird, während in Wien sich die Kellnerin zum Fragenden hinabbeugt, die Frage auf Wienerisch und leicht abgewandelt in einer Weise wiederholt, dass einem schlagartig die Antwort klar wird und man im internationalen Vergleich der Situation praktisch ungedemütigt entkommen ist? Vielleicht.

Ganz gewiss aber ist im geschäftlichen Alltag in Österreich eine Grundpräzision vorhanden, die vorbildlich ist. Schliesslich erleichtert die Genauigkeit bis ins allerletzte Detail das tägliche Leben und Streben. Aus diesem Grund gibt es in Österreich eine ausgesprochene Fülle von über 160 verschiedenen Ehrenzeichen und Medaillen, vom Verdienstkreuz für besondere Leistungen oder hervorragende Verdienste auf dem Gebiete des Feuerwehr- und Rettungswesens in Gold des Landes Steiermark über den Radetzky-Orden der Militärklasse Grossstern bis zum Bundesheerdienstzeichen 1., 2. und 3. Klasse. Man huldigt der präzisen Benennung, hervorragende Verdienste im Feuerwehrwesen der Steiermark wollen eben exakt so sprachlich gewürdigt werden. Der Triumph der Eindeutigkeit findet im nebenstehenden Verkehrsschild nicht nur seinen Eingang ins werktätige Volk, sondern auch einen Höhepunkt. Das Schild ist ungeheuer präzise und wird es wohl auch immer bleiben, denn es ist selbstaktualisierend, weil es trickreich auf die Ferienreiseverordnung verweist. Soviel Genauigkeit beeindruckt den Österreichreisenden und hilft, dass das Land nicht in Chaos und Anarchie versinkt. Es macht eben einen grossen, dringend festzuhaltenden Unterschied, ob ein über 3,5 Tonnen schwerer Ziel- und Quellverkehr aus Gutenbrunn kommt oder aus Krems. Ausser es ist ein Milchtransport.


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