Riesenmaschine

11.09.2006 | 19:36 | Anderswo

Gute Nacht, Ümlaut


Genau!
Es ist soweit: Die amerikanische Begeisterung an Umlauten in Kneipennamen hat gestern Abend endgültig ihren Höhepunkt überschritten. Es fing vor gefühlten zwei Wochen an, als die ersten deutschen Wörter auftauchten; Bars hiessen plötzlich "Überfall" und "Blüte", eine relativ harmlose Angelegenheit. Dann aber fand man Gefallen an der exotischen Fremdheit der herumfliegenden Punkte und fing an zu spinnen. Zunächst schwenkte man in einer nur wenige Stunden andauernden Übergangsphase auf handelsübliche Fremdwörter (Pangäa) um, nur um dann in der nächsten Umdrehung einfach jedes ausländische Wort zum Fremdwort zu erklären und mit artfremden Umlauten zu versehen (Paäez). Anschliessend erkannte man nach langem Überlegen, dass auch englische Wörter ganz schön fremd aussehen, wenn man sie mit Umlauten bewirft (Blür). Wie eine Kaninchenplage fiel der Umlaut auf jedem Kontinent ein, rottete einheimische Buchstaben aus und verwüstete die Sprachlandschaft. Das war vorgestern. Seit gestern jedoch, seit es im Bloor West Village in Toronto ein Restaurant gibt, das "Blüme" heisst, ist der weitgereiste Umlaut zurück in der Heimat angekommen. Unbeholfen und verwirrt sitzt der arme Kerl in der Füssgängerzone herum, bettelt um Älmosen und versteht seine eigene Sprache nicht mehr.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ünd mörgen die gänze Welt


11.09.2006 | 12:41 | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Cloudspotting


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Man muss, ja, sollte nicht alles wissen, aber: "Wenigstens einen zulänglichen Begriff muss man von allem haben." (Thomas Bernhard sein Grossvater) Es genügt also nicht, sich beim Anblick von Wolken zu denken, sie seien heute ja mal wieder ungeheuer oben. Und weil es Verschwendung ist, sich Sinnesreizen auszusetzen, die man nicht versteht, sollte eigentlich niemand mehr das Haus verlassen, bevor er nicht The Cloudspotter's Guide: The Science, History and Culture of Clouds erworben und gelesen hat. Hervorgegangen ist das Buch aus der Arbeit der Cloud Appreciation Society, deren Manifest sich gegen "blue-sky thinking" wendet und erklärt, dass Wolken die gerechteste aller Naturerscheinungen sind, weil sie sich von jedermann bequem betrachten lassen. Nebenbei erfährt man auch, wie es so ist, wenn man in 50.000 Fuss Höhe aus seinem Flugzeug aussteigen muss und mitten durch eine Gewitterwolke zu Boden fällt (nämlich höchst unschön und langwierig, aber überlebbar). Bis zur abgeschlossenen Lektüre also bitte nur noch im Dunkeln nach draussen gehen. Die Natur stellt diese ganzen Naturerscheinungen schliesslich nicht nur so zum Spass her.


11.09.2006 | 02:43 | Alles wird schlechter | Sachen kaufen

Neue Erfindungssensation


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schon lange wartet man auf den neuen, leuchtenden Stern am Innovationshimmel (und auf eine noch abgegriffenere Metapher). Und kaum wartet man ein paar Jahrzehnte, die Erfindung des Kugelschreibers liegt ja schon fast 70 Jahre zurück, da erbarmt sich Frau Rene Armstrong, nicht verwandt oder verschwägert mit irgendeinem anderen Armstrong, und entwickelt in nur fünf Jahren harter Arbeit "Abnostrain" (Ab-No-Strain), ein komplexes Gerät, das es ermöglicht, ohne Nutzung der Bauchmuskulatur aus dem Bett aufzustehen. Es dauert eine Weile, bis man das Prinzip versteht, und weder die Abbildung noch die vorbildlich enigmatische Website (nicht registrieren, bringt gar nichts) sind dabei eine grosse Hilfe. Eine Halskette aus Altbatterien? Widerstände in Reihenschaltung? So was Ähnliches wie Anal beads, nur in Zylinderform? Aber dann erfährt man, dass die NASA bei der Produktentwicklung beteiligt war, und plötzlich ist alles klar: Es ist eine Schnur! Mit Griffen! Warum kommen nur Amerikaner auf solche Ideen? Und warum verschenken sie ihre Technologie praktisch für nur 90 Dollar? Dies ist der erste Bericht im deutschen Internet über Abnostrain, und er wird eine Welle der Begeisterung lostreten. (Disclaimer: Abnostrain-Schnüre nie ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt einsetzen.)


10.09.2006 | 21:04 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Nicht aufgemerkt nun also


Vorbildlich: Augen zu, Wahrnehmung geschärft. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Verflixt, diese Überschrift klingt doch bekannt, woher ist das nochmal, fragt sich der Leser jetzt vielleicht. Die unbeantwortete Frage zieht wertvolle Ressourcen aus dem Lesehirn ins Rätselhirn und ganze gelesene Sätze bleiben unverstanden. Dieser hier zum Beispiel, los, nochmal lesen. Na bitte, geht doch.

Aufmerksamkeit ist ein wichtiges Tierchen in der modernen Wahrnehmungsforschung, ganze Karrieren, Institute und Konferenzen speisen sich aus der Aufmerksamkeit, die der Aufmerksamkeit zuteil wird. Die simple Wahrheit, die die Spatzen von den Dächern pfiffen, wenn sie sich nur lange genug konzentrieren könnten, lautet dabei, dass, was mit Aufmerksamkeit bedacht wird, leichter gesehen, gehört, gerochen, oder ganz allgemein aus dem Sinneswirbel gefischt wird. Der Lehrkörper mahnt gerne zur Aufmerksamkeit, bevor er den Schülern Wichtiges einzupauken sich anschickt, und "Aufgemerkt nun also" ist deshalb wiederkehrender Kehrreim in Heinrich Manns Professor Unrat (Aha! Genau!).

Ob der Leser an dieser Stelle hinreichend durch unwesentliches Füllmaterial abgelenkt ist? Wollens hoffen, denn wie nächste Woche in Nature Neuroscience zu lesen sein wird, gehen die Vorteile gesteigerter Aufmerksamkeit wieder flöten, wenn man zu lange aufmerkt. Ganz langes Aufpassen kann sogar dazu führen, dass man weniger gut wahrnimmt, als wenn man von Anfang an Papierflugzeuge geworfen oder Schiffe versenken gespielt hätte. Den Effekt kann man natürlich auch im Selbstversuch beobachten, wenn man, immer mal wieder, sorgfältig nicht drauf achtet.


10.09.2006 | 02:57 | Berlin | Anderswo | Nachtleuchtendes

Bubble Buildings


Das Küchenmonument von Raumlabor im Rahmen der 29. Duisburger Akzente, Foto: Rainer Schlautmann

Hier bitte dieses Bild vom Londoner Serpentine Pavillon hindenken.

Und hier bitte dieses Bild vom Entwurf der Berliner Kunsthalle.
Bislang fristete die pneumatische Architektur eine wenig prestigeträchtige Randexistenz, kam fast ausschliesslich im infantilen Segment der Hüpfburgen zum Einsatz, allenfalls noch bei den deprimierenden Traglufthallen fürs winterliche Tennisspielen. Spätestens seit Rem Koolhaas und Cecil Balmond diesen Sommer ihren Pavillon für die Londoner Serpentine Gallery als grosse Denkblase anlegten, in der rund um die Uhr Interviews geführt und ausgestrahlt wurden, ist das Aufblasgebäude nicht nur salonfähig, sondern regelrecht en vogue. Für die von der Zeitschrift Monopol angeregte Zwischennutzung des Berliner Schlossplatzes zum Zwecke einer temporären Kunsthalle schlagen etwa die Architekten von Graft eine Wolke vor, die als Seilnetz- und Tragluftkonstruktion auf einem Wald aus Stelzen ruhen soll. Und das Berliner Raumlabor steht mit seinem mobil einsetz- und aufblasbaren Küchenmonument gar für einen "Guerilla Urbanismus" der die Stadt als Ganzes und als solches retten könnte. Die unberechenbare Membran sei "ein Prototyp dafür, wie die unter zunehmender sozialer Segregation leidende Stadt als Zivilisationsmodell wiederbelebt werden kann." Wenn das so einfach ist, sollten wir darüber nachdenken, einfach alle Autos durch Zorbs zu ersetzen. Ab heute wird das Küchenmonument bis zum 19. November auf der Architekturbiennale in Venedig zu besichtigen sein.


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