Riesenmaschine

28.09.2006 | 19:39 | Was fehlt | Essen und Essenzielles

Die Rosinenlobby


Bier mit Obst, aber noch ohne Rosinen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Eine moderne Plage der Menschheit sind Lebensmittelzusätze. Nicht nur die kleinen pulvrigen oder unsichtbaren, die die Herstellung erleichtern sollen oder die Haltbarkeit verlängern, sondern auch die dicken, klebrigen, süssen. Rosinen zum Beispiel. Warum werden Rosinen in grossen Mengen in ursprünglich geniessbare Lebensmittel gegeben? Warum kann man eigentlich kaum ein Müsli ohne Rosinen kaufen? 80 Prozent aller im Handel erhältlichen Müsli-Mischungen sind aufgefüllt mit ca. 40 Prozent Rosinen. Warum? Gibt es wirklich Menschen, die Rosinen mögen?

Früher, in dunklen Zeiten, als Menschen ohne Perücken weder Salz, noch Kaffee, noch Zucker besassen, waren Rosinen neben Karotten vielleicht das einzig Süsse, was diese Menschen jemals zwischen die Zähne bekommen haben. Dass die ausgehungerten, ausgebombten und blockierten Berliner sich über Rosinen-Bomber freuten, versteht man auch noch. Aber der moderne Mensch, der pro Tag sowieso schon 3 Kilo Zucker oder Zuckerersatzstoffe zu sich nimmt, kann der sich noch über Rosinen, über ausgetrocknete Trauben ernsthaft freuen?

Der haferverarbeitende Betrieb Kölln aus Elmshorn scheint die Marktlücke eines Fertigmüslis ohne Rosinen erkannt zu haben, als er unlängst ein "Heidelbeer Müsli mit Milchcreme-Chips" auf den Markt brachte. Korrekterweise hätte es "Heidelbeerfruchtgranulat-Müsli mit weissen, süssen Stückchen aus teilweise gehärtetem Fett mit Magermilchpulver" heissen müssen, aber einem Unternehmen, das sich traut, Müsli ohne Rosinen auf den Markt zu bringen, sollte man alles verzeihen, notfalls auch die Verwendung von Genhafer, Generika oder auch den sausackblöden Werbespruch "Eine beerige Verführung am Morgen".


28.09.2006 | 12:35 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Papierrascheln

Invertierte Staubwesen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das staubige Tier ist ein Morgenbuch. Den neuen Wienführer von Tex Rubinowitz kann man nur lesen, wenn die Gehirngänge noch nicht verklebt sind und danach lechzen, sich mit Informationen über Plüschtausendfüssler, Surplus-Listen, Halbeiersuppe und Neidhart-Fresken vollstopfen zu lassen. Denn aus solchen Informationen, und ausschliesslich aus solchen, besteht Das staubige Tier. Es ist ein Buch ohne eine einzige gewöhnliche Information und in dieser konsequenten Vermeidung des Gewöhnlichen wahrscheinlich die weltbeste und lange erhoffte Antithese zu, sagen wir, dem Kursbuch der österreichischen Zugbahn. Der Autor jedoch bereitet beim Lesen des Buches Sorge, fragt man sich doch, wie man überleben kann in vollständiger Ausblendung der Normalität, inmitten all der Keas, Fingerboards und tausendjährigen Eier (Eier sind ein wichtiges Thema, generell). Aber dann fällt es einem wie die riesigen Schuppen des Stegosaurus von den Augen, wie geschickt es Tex Rubinowitz fertigbringt, das Bizarre selbst zum Normalen zu erklären und alles andere für pervers zu halten. Er gehört offenbar zu den seltenen invertierten Normalwesen, und nur die sollten überhaupt Reiseführer schreiben dürfen. Nur vielleicht wenn man einen Elch sieht, kann man mehr Begeisterung entwickeln als beim Lesen des staubigen Tieres. Es sei denn, man liest es abends, dann platzt einem laut und spektakulär der Kopf.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


28.09.2006 | 05:57 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Gewaltmonopoly


Der Sicherheitsexperte hat die Nachbarskatze fest im Visier (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aus der Rechtsphilosophie kennt man die Behauptung des Anspruchs aller Menschen auf Rechtsordnung, der notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden müsse. Dass die Gewalt selbst in rechten Bahnen verläuft, dafür hat der Staat zu sorgen, und der hat darauf ein Monopol. Doch Gewaltausübung kostet nicht nur körperliche Mühen, sondern auch Geld. Wirtschaft und Monopol sind jedoch seit jeher eine kritische Mischung – einer soll nicht alles und einer kann auch nicht immer alles. Die innere Spannung dieses Problems entlässt aus sich ein pikantes Phänomen: Private Streitkräfte. Früher mag es zur Wahrung von Law and Order grösstenteils genügt haben, dass der Viehdieb die Schrotflinte des Farmers in der Fresse hatte, aber heute benötigt man angesichts der globalen Herausforderungen natürlich viel wagemutigere Abenteurer, etwa private Spezialsoldaten, die mit Schnellfeuerwaffen umgehen können und sowohl zu Wasser als auch in der Luft einsetzbar sind. Nachdem zu den Kunden dieser Militärdienstleister a.k.a. Private Military Companies solch bekannte und geschätzte Persönlichkeiten wie Donald Rumsfeld gehören, hat die kräftige Nachfrage das Bestellungsangebot erheblich erweitert, bis zum Hindukusch und ins Zweistromland. Dieselbe Aufmerksamkeit wie das US-Verteidigungsministerium schenken diesen seriösen Sicherheitsmännern aber zunehmend auch wieder die auf ihr eigenes Monopol pochenden Juristen, die aus Gründen der Strafverfolgung von illegalen Machenschaften, wie unlängst in Somalia, oder gar von Kriegsverbrechen und Folter emsig dabei sind, den völkerrechtlichen Status dieser Kombattantenfirmen zu klären. Momentan sind die Privatmilitärs nämlich von Fall zu Fall sowohl Soldaten als auch Zivilisten und somit für Kriegsgerichte oder Den Haag rechtlich schwer zu greifen. Wenn Sie also noch schnell und stressfrei einen Bandenkrieg klären wollen, dann hurtig zum Telefon gegriffen und einmal Delivery in die Vorstadt bitte.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


27.09.2006 | 21:36 | Essen und Essenzielles

Haarweibchen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Panzerbeeren sind sie alle. Also Gurken, Melonen und Kürbisse, eine Familie. Und wenn man sie immer kleiner und kompakter züchtet, gleichen sich auch ihre Geschmäcker immer mehr an und werden ununterscheidbar, so als ob das Konzentrat alle diversifizierenden Geschmäcker auslagert, um sich auf die genetischen Wurzeln, das Wesentliche zu konzentrieren.
Die jetzt verstärkt überall (ausser in Berlin) auf den Märkten auftauchende Melothria, auch Haarweibchen genannt, hat die Grösse einer Erbse, sieht aus wie eine Melone, schmeckt aber wie eine Gurke. Und wenn man sich ganz besonders anstrengt oder eine Sumpfmeise bzw. Sandbiene ist, kann man sogar den Geschmack des Abtreibungsmittels Zaunrübe erkennen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wer hat Angst vor der schwarzen Möhre?

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


27.09.2006 | 16:16 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Figarau, Figarau, Figarau

Im Weltbrandingskrieg zwischen China und dem Rest der Welt kämpft das chinesische Modehaus La Vico mit besonders raffinierten Waffen: Es bedient sich nämlich auch des erst kürzlich hier entdeckten Louis-Brandings, allerdings ganz ohne Louis. Dafür ist sein Logo so dicht an dem Original-Vuitton-LV dran wie kein anderes. Ob das nun Fälschen, ohne abzukupfern ist oder eher Abkupfern, ohne zu fälschen, müssten eigentlich Experten entscheiden. Doch angesichts der chinesischen Guerilla-Markenflut sind die längst stiften gegangen.

So kann sich neben "Fashion La Vico" auch Yves Figarau anschicken, die Welt zu erobern. Die diversen Anziehsachen der Firma mit dem erfreulich schwulen Namen werden zwar in Shenzhen bei Hongkong zusammengeschneidert. Trotzdem steht "Paris" unter dem Firmennamen und Chefdesigner Zhong Wei erklärt: "Wir sind eine europäische Marke." Wer so entschieden die Realität uminterpretiert, der wird sich auf Dauer mit Halbheiten nicht zufrieden geben. Hat China erst mal den Weltbrandingskrieg gewonnen, dann wird auf Druck der Figarau-Bosse auch im Westen alles (eine Mozartoper beispielsweise, eine führende französische Zeitung oder ein Bernhard Brink-Song) richtig geschrieben werden. Es soll eben nicht nur hinten stimmen, sondern auch vorne. Paris aber heisst zu diesem Zeitpunkt längst Shenzhen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Der Untergang von St. Louis

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


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