Riesenmaschine

07.06.2006 | 15:26 | Anderswo | Papierrascheln

Viswanoglu


Plagiarismus ist nicht nur ein Problem des Literaturbetriebs (Foto: dweekly / Lizenz)
Plagiarismus ist eine eher langweilige und auch nicht besonders überraschende Sache, vor allem, wenn es um Romanautoren geht, die sich angeblich bei wissenschaftlichen Texten bedient haben. Der englische Richter, der den Plagiatsprozess gegen Dan Brown leitete, langweilte sich dabei sogar so sehr, dass er in den Urteilstext seinen eigenen Code einbaute. (Für unsere kleinen Knobelfreunde und für zwangsneurotische Dan-Brown-Fanatiker hier das komplette Urteil samt Code als PDF.) Was bei den Plagiatsvorwürfen nicht überrascht, ist die Tatsache, dass sich Fiktion bei Wissenschaft bedient, bewegen sich die beiden doch zumeist in recht säuberlich getrennten Parallelwelten, und wenn man dann beispielsweise abends nach Meerestieren forscht, findet man im Internet nach dem vierten Glas Rotwein eben ein paar wissenschaftliche Artikel und schwupps werden diese Artikel literarisch verarbeitet und verkaufen sich wie warme Semmeln.

"Parallelwelten?" wird sich der aufmerksame Leser denken, "da war doch was"? Knapp daneben, in Deutschland heisst das nicht Parallelwelt, sondern Parallelgesellschaft, und das Wort verweist auf die Integrationsprobleme von Menschen mit Migrationshintergrund. Feridun Zaimoglu, dem ehemaligen Bart- und Preis-der-Jury-Träger des Bachmannwettlesens 2003, wird vorgeworfen, Teile seines Romans "Leyla" bei Emine Sevgi Özdamars Roman mit sehr langem Titel abgeschrieben zu haben. Die in der Presse aufgeführten "Plagiatsbeispiele" überzeugen freilich noch nicht, sondern lassen einen eher zur überraschenden Erkenntnis kommen, dass junge türkische Frauen ähnliche Erfahrungen machen.

Sehr viel sexier ist da schon der letzte grosse Plagiatsfall aus den USA, der in Deutschland fast nicht erwähnt wurde. Hier die Kurzfassung: 17-jähriges reiches gut aussehendes Mädchen indischer Herkunft will unbedingt nach Harvard, heuert dafür eine Coachingfirma an, deren Betreuerin die "autobiografischen" Geschichten des Mädchens an einen Buchverlag vermittelt, der dem Mädchen 500.000 Dollar Vorschuss für zwei Romane gibt. Das erste Buch erscheint, die Autorin ist mittlerweile 19 Jahre alt und studiert in Harvard, als im harvardeigenen Blatt Vorwürfe auftauchen, das Buch sei eine schlecht getarnte Kopie eines anderen Frauenromans von Megan McCafferty. Und in diesem Fall sind die Übereinstimmungen so auffällig, dass man auch beim allerbesten Willen nicht der Entschuldigung Kaavya Viswanathans (so der Name des Mädchens, hier der Wikipedia-Eintrag mit vielen Plagiatsbeispielen) folgen kann, sie habe den anderen Roman zwar gelesen, aber nicht kopiert, sondern "verinnerlicht". Der Verlag hat am 4. Mai das Buch vom Markt genommen, bei amazon können Interessierte noch überteuerte Restexemplare kaufen, und auf youtube gibt es schon den ersten hilflosen Ehrenrettungsversuch, der jedoch nur ein "Saturday Night Live"-Video mit Natalie Portman plagiiert.


02.05.2006 | 10:36 | Anderswo | Alles wird besser | Was fehlt

Wahrheitlichkeit


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der Titel dieses Beitrags ist eine ungefähre Übersetzung des amerikanischen Wortes des Jahres 2005, "Truthiness". Dieser Titel wird in den USA von der American Dialect Society vergeben, und wenn man sehen will, warum man in Deutschland komödien- und humortechnisch gearscht ist, muss man sich nur anschauen, was die Gesellschaft für deutsche Sprache e.V. 2005 zum Wort des Jahres gewählt hat: Bundeskanzlerin (auch noch im Rennen waren: Gammelfleisch oder Jamaika-Koalition). "Truthiness" ist ein Wort, das vom amerikanischen Satiriker Stephen Colbert populär gemacht wurde und steht für die Qualität, Wahrheit zu fühlen, ohne sich dabei von Fakten beirren zu lassen. Stephen Colbert: "I don't trust books. They're all facts and no heart."

Colbert, der in seiner Show auf unglaublich schnelle und treffende Weise die rechten Talkshowhosts wie z.B. Bill O'Reilly oder Rush Limbaugh karikiert, ist mittlerweile so beliebt, dass er dieses Jahr eingeladen wurde, die Rede beim jährlichen "White House Correspondents' Association Dinner" zu halten, die man hier nachlesen und sich hier ansehen kann. Und sich durchlesen und ansehen sollte, denn die Rede ist mit Sicherheit die schneidendste Abrechnung mit der Regierung Bush, die öffentlich in Anwesenheit des Präsidenten gehalten wurde. In der amerikanischen Bloglandschaft wird Colbert als "Mann mit Eiern aus Titan" gefeiert. Zu Recht:

The greatest thing about this man is he's steady. You know where he stands. He believes the same thing Wednesday, that he believed on Monday, no matter what happened Tuesday. Events can change, this man's beliefs never will.
...
Everybody asks for personnel changes. So the White House has personnel changes. Then you write they're just rearranging the deck chairs on the Titanic. First of all, that is a terrible metaphor. This administration is not sinking. This administration is soaring. If anything, they are rearranging the deck chairs on the Hindenburg.
(Ausschnitt).


12.04.2006 | 10:17 | Anderswo | Alles wird schlechter

Mozart's balls


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Es gab die Schweine in Cincinnati, die Buddy Bears in Berlin, Sydney und auch Hongkong. Es gab die Kühe in Chicago, New York und noch mehr Städten, als selbst der grösste Kulturpessimist hätte voraussagen wollen, wie man bei cowparade.com oder auch hier in der Riesenmaschine nachlesen kann, wenn man absolut nichts anderes zu tun hat. Auch Salzburg hatte eine Kunstkuhaktion, die jedoch so sehr unterging, dass sie nicht einmal auf der Kuhparadenseite erwähnt wird. Also versuchen die Salzburger es dieses Jahr aufs Neue.

Nun sollte man nicht über öffentliche Kunst meckern, so wie man bei den Paralympics nicht die Sportler ausbuhen soll, aber angesichts der neuen, dem Mozartjahr 2006 gewidmeten Salzburger Aktion, vergeht einem das Schweigen. Die Mozartkugeln sind von so sensationeller Einfältigkeit und gestalterischer Unbedarftheit, dass sie fast schon wieder rührend wären, wären sie nicht so hässlich. Die Liste der Kugel-Künstler mag einen dann jedoch wieder beruhigen, wenn nicht sogar beglücken; in schöner Eintracht findet man dort "Designer", "urban artists", Künstlergruppen, die Universität für angewandte Kunst Wien direkt neben dem "Kreativprogramm der Psychiatrie I" oder auch der "Kreativklasse 4b der HS".

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Rapp aus Österreich


03.02.2006 | 14:35 | Fakten und Figuren | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Postialische Zustände


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In den 80er und 90er Jahren kam es in den USA zu einer Reihe von Amokläufen, die eines gemeinsam hatten: bei den Tätern handelte es sich um Mitarbeiter des United States Postal Services, die die eigenen Mitarbeiter am Arbeitsplatz hinrichteten. Die Taten wurden so berüchtigt, dass sich bald eine neue Sprachwendung fand, "Going Postal" (auf die sich unter anderem auch das Videospiel "Postal" bezieht).

In Deutschland scheint das Risiko eines amoklaufenden Postbeamten eher gering zu sein, weil die Beamten ihren Dampf einfach am Kunden ablassen können. Doch in den USA wurde vor wenigen Tagen, am 30. Januar dieses Jahres, die Serie um einen weiteren Amoklauf verlängert. In Goleta, Kalifornien erschoss ein ehemaliger Postangestellter sechs seiner Ex-Kollegen, bevor er sich selbst mit einer Pistole das Leben nahm. Schaut sich man diese beiden Kundenrezensionen von Postarbeitern eines 1997 erschienen Buches an, dass das Postal-Phänomen zum Thema hat, so scheinen die Postamokläufe in den USA kein Zufall zu sein.

Diese Meinung vertritt auch Mark Ames, einer der Herausgeber und Gründer des Satiremagazins Exile, der mit seinem Buch "Going Postal" eine gründlich recherchierte Analyse der Amokläufe in amerikanischen Postämtern und Schulen geschrieben hat. Ames zieht Parallelen zwischen den Zuständen, die zu den amerikanischen Sklavenaufständen im 18. und 19. Jahrhundert führten und den Arbeitsbedingungen im heutigen Corporate America, deren Trostlosigkeit er in allen deprimierenden Details beschreibt. Schliesslich, so Ames, sollte man nicht versuchen, Profile der potentiellen Täter zu erstellen, denn: "It is the workplaces and schools that need to be profiled."


11.11.2005 | 14:32 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Sexframe


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wahrscheinlich gibt es irgendwo irreführende Statistiken, die auf der Basis verschämter Antworten zu vollkommen verzerrten Ergebnissen kommen und suggerieren wollen, dass es Leute gibt, die das Internet zu etwas anderem nutzen als zum Pornosurfen. Zum Glück gibt es diese wunderschöne Anleitung aus einem Hotel in Xi'an, in der einem mittels einer "Internet Operationing Instruction" erklärt wird, wie man seinen Computer mit dem hotelzimmereigenen Anschluss verbinden kann, um so ins Internet zu gelangen, das hier zu einem "sexframe" gehört.
In dieser Anleitung wird nicht lange um den heissen Brei geredet. Als erstes soll man seinen on-line neighbor "entern", vorher geht gar nichts. Dabei soll man, verwirrenderweise, entscheiden, zu welchem "sex", Geschlecht, man gehören will. Ist das nicht schon klar, nachdem man geentert hat? Das Herzstück des Ganzen ist allerdings die Forderung, sich zum Sexframe zu bekennen. Man soll nämlich die Vereinbarung des INTERNETS (in Grossbuchstaben, es gibt nur eines, man soll kein anderes neben ihm haben) doppelklicken, die besagt, dass das INTERNET zum "sexframe" gehört. sexframe wiederum in Kleinbuchstaben, wahre Macht muss nicht protzen.

Wenn man alle Schritte befolgt hat, darf man guten Endes "formally" ins Sexframe, nein, Internet gehen. Wobei man in China den Vorteil hat, dass zum Beispiel viele Bloggerseiten gesperrt sind und man so nicht aus Versehen unvorbereitet mit den Befindlichkeiten fremder Menschen konfrontiert werden kann.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vietnam II: Broken English


1 2 3

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Keramik aus Bunzlau

- Cunningham-Diskurs am Morgen (fresh!)

- Fischlogger

- Weltherrschaft

*  SO NICHT:

- aufblasbare Möbelstücke

- altdeutsche Sammelgebiete

- Wildschweinkot-Zärtling

- Hörspielbeschallung auf Kneipentoiletten


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"Thirst", Chan-Wook Park (2009)

Plus: 3, 8, 11, 48, 74, 83
Minus: 165
Gesamt: 5 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV