Schuld sind letztlich Filippo Brunelleschi, Leon Battista Alberti und ihre Kollegen. Erst führten sie die Fluchtpunktperspektive in Malerei und Architektur ein und dann dauerte es nur noch ein paar Minuten Jahrhunderte bis zum wohl grössten Missverständnis der jüngeren Menschheitsgeschichte: 3D-Videospielen.
Nur mühsam kann sich die Welt nun wieder aus der dreidimensionalen Umklammerung befreien. Kleine versprengte Retrogaming-Widerstandszellen sorgten immerhin dafür, dass die Reine Lehre nie in Vergessenheit geriet, und vertrieben sich ansonsten die Zeit auf bizarren Conventions und mit dem VirtualNES. Und ihre Mühen wurden belohnt: Mit dem im Sommer für die Wii veröffentlichten und technisch exakt auf dem Stand der frühen 90er angesiedelten Jump'n'Run Mega Man 9 und weiteren geplanten Neuerscheinungen wie etwa The Great Giana Sisters fürs Nintendo DS.
Aber nicht nur das. Zusätzlich etablierte sich in den vergangenen Jahren eine neue Generation von 2D-Spielen, die mit weitestgehender Reduktion in Form und Inhalt glänzen konnten. Titel wie Loco Roco, World of Goo, Crayon Physics, Sketch Fighter 4000 oder auch Line Rider zeigten, dass nicht in alle Ewigkeit auf die immer gleiche 8-Bit-Pixeloptik referiert werden muss. Und dass es munter so weitergeht, beweisen die Nominierungen bei der Wahl zu den Spielen des Jahres beim diesjährigen Independent Games Festival (23. bis 27. März, San Francisco, via offworld.com): Feist (oben), Night Game und Blueberry Garden (Mitte) gehören zu den Finalisten und erinnern nicht nur optisch an sehr gute, handgezeichnete Magazinillustrationen, sondern hören sich auch so an, quasi.
Auffällig ist dabei die Häufung von schwedischen Entwicklern, auch das nominierte You Have To Burn The Rope – für Anfänger hier ein umfassender Walkthrough – und das ebenfalls vielversprechend aussehende Walkie Tonky (Riesenkampfroboter! – unten) kommen aus dem wurstförmigen Land im Norden. Einem Land, in dem Dimensionen noch höher besteuert sind als Schnaps und sich nur hochdotierte Tapetendesigner drei auf einmal leisten können. Einem schönen Land.
Individuelles Bier im SepareeDie Mediennutzung hat sich in den letzten 10 Jahren radikal verändert. Man ist nicht mehr gezwungen, zu hören und zu sehen, was gerade in Radio oder Fernsehen kommt, sondern kann sich dank Festplattenrecordern, last.fm und dem ganzen Kram individuell selbst versorgen. Dieser Wandel schlägt sich nun auch aufs Clubbing nieder: Niemand hat mehr Lust, dem Musikgeschmack eines DJ-Nazis ausgeliefert zu sein, stattdessen feiert man lieber im kleinen Kreis zur eigenen Playlist im Separee. Entsprechend sind die kommenden Hot Spots des Nachtlebens auch nicht länger ehemalige Fabrik- und Eisenbahnhallen, sondern leerstehende Arbeitsämter, Schulen, Solarien oder Gefängnisse.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Vor nicht mal 15 Jahren sagte ein eher untalentierter Trendforscher: "Ich glaube, es gibt einen weltweiten Bedarf an vielleicht fünf Packstationen." Mittlerweile gibt es allein in Berlin 77, bundesweit sogar 1500 Packstationen, Tendenz steil steigend. Doch noch füllen sie ganze Räume und sind so gross wie Schränke, also nicht direkt für den Hausgebrauch geeignet. Noch im nächsten Jahr erwarten wir die nächste Revolution: Die Home Packstation, die bequem auf den Schreibtisch passt. Dass irgendwann in jedes Handy eine Packstation integriert sein könnte, ist hingegen utopische Zukunftsmusik von morgen.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Das Leben ist zu kurz für umständliche Ankündigungen. Und erst recht zu kurz für einstündige Radiosendungen. Deswegen laufen, zum Abschluss des glorreichen 2008er-ZIA-Radio-Hexaptychons, auf Deutschlandradio Kultur in der Nacht von heute auf Sonntag um 0.05 Uhr die Folgen 137, 138, 139 und 140 von Fipp Fapp Fertig!, dem Magazin für Eilige. Im Programm: 100 Jahre Weltgeschichte in 100 Sekunden, der Pop-Up-Trend Speed-Speed-Dating, Stereo-Hörbücher, die beliebten Zeitspartipps und 1000 weitere Themen – wie immer flockig, rasant und oberflächlich präsentiert von Philipp Albers, dem Speedy Gonzales unter den deutschen Radiomoderatoren.
Johannes B. Kerne (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Mark Twain sah nicht nur aus wie eine Mischung der beiden antipodischen Deutschen Kaiser Wilhelm II. und Albert Einstein, sondern hatte auch eine intensive Beziehung zur deutschen Sprache. In einem seiner Werke schreibt er von zwei ihm zentral erscheinenden Worten im Deutschen, nämlich Zug und Schlag. Alles scheint ihm in den verschiedensten Kontexten und Komposita verzugt und verschlagt zu sein, mit Begeisterung beschreibt er (heute teilweise unverständliche) Gesellschaftsvorgänge rund um diese Worte; Niederschlag, Abzug, Nachschlag, Einzug, Abschlag, Aufzug, Aufschlag im Zug. Ziehen und schlagen sind eindeutig Vokabeln des letzten Jahrtausends – aber ein neues Grosswort zieht herauf: Der Kern.
Begonnen hatte es wie so vieles in einem Pudel; die erste Kernoffensive kam in Kriegszeiten mit dem Schlachtruf der Daheimgebliebenen im Ersten Weltkrieg: "Sammelt Obstkerne!". In den 1930er Jahren gelang Otto Hahn die Kernspaltung, städtebaulich wurde später die Entkernung vorangetrieben. Der Erfolg des unsympathischen Designers Otto Kern gab dem Kern ebenso Schub wie der Versuch der Atomlobby, Atomkraft in Kernenergie umzubenennen, weil sich das weniger bedrohlich anhört. Als sich im neuen Jahrtausend flächendeckend die Biosupermärkte der bourgeoisen Bohème ausbreiteten, wurde mit ihnen der Pinienkern zum bevorzugten Küchenkern.
Doch seitdem wurden kaum noch neue, verheissungsvolle Kerne eingeführt (vielleicht mit der Ausnahme eines zweiten Prozessorkerns). Um aber den Glanz des neuen Grossworts Kern zu erhalten, ist es erforderlich, einen nagelneuen Kern ins Bewusstsein der Bevölkerung zu hämmern. Die dringende Empfehlung der Riesenmaschine ist hier die Zedernuss als Nachfolger des momentanen Küchenkerns, des Pinienkerns, zu etablieren und sie bei ihrem gleissend schönen Zweitnamen zu nennen: Zirbelkern. Deutschland, mögen Deine Zirbelkerne uns den Weg in eine neue Kernära weisen! Andernfalls dürfte sich Österreich mit dem weltenergiepolitisch clever benamten Kernöl an die Spitze der Kernbewegung setzen. Oder gar die Schweiz!