Riesenmaschine

01.04.2007 | 23:59 | Fakten und Figuren

Psychopugilismus

"Man kann die Projekte von Schulz und Maske nicht gleichsetzen. Schulz will noch mal ein Boxer werden. Maske will einen Kick, mit Hymne und Lasershow. Schulz will noch mal um die Weltmeisterschaft boxen. Maskes Auftritt hat keinen sportlichen Wert", erklärte Boxexperte Gerhard Pfeil am 16. Oktober 2006 in einem Vier-Seiten-Bericht des SPIEGEL, in dem man auch vom angeblichen "heimlichen Lachen" der Assistenztrainer erfuhr, wenn Henry in den Sandsack haute. Nun könnte man denken, Maskes gestriges Comeback gegen den WBA-Weltmeister Hill hätte das Nachrichtenmagazin eines besseren belehrt. Man könnte aber auch Mike Glindmeier heissen und schreiben: "Die Ringrichter sahen Maske zwar einstimmig vorn (117:110, 116:113, 117:110), doch das Anschreibverhalten der Juroren ähnelte eher drei gut geölten Nähmaschinen. Wie die Kampfrichter auf insgesamt über 227 Treffer kamen, bleibt jedenfalls ihr Geheimnis." So wie es Glindmeiers Geheimnis bleibt, was die Punktewertung des Profiboxens mit der Anzahl der Treffer zu tun haben soll.

"Es war ein Kopfkampf", sagte Maske anschliessend, was uns daran erinnert, noch einmal auf den Fall des nigerianischen Schwergewichtschampions Ike Ibeabuchi hinzuweisen, dessen letzter Auftritt auch schon acht Jahre zurückliegt. Freunde hoher Trefferquoten können sich den Kampf des wüsten Schlägers gegen den ebenfalls wüsten Schläger Tua auf youtube ansehen: Es war der Kampf mit der höchsten Trefferanzahl (1730) im Schwergewichtsboxen überhaupt (139 Schläge mehr als bei Ali-Frazier III). Ein Comeback des seit 1999 in Haft befindlichen, ungeschlagenen Nigerianers (20-0-0) ist allerdings fraglich. Für Anhänger ungewöhnlicher Biographien: Aufgewachsen in einem nigerianischen Ghetto kommt Ibeabuchi 1993 mit seiner Mutter nach Amerika. Er gewinnt 15 seiner 20 Kämpfe durch K.O., und spätestens seit der ruinösen Schlacht gegen Tua macht sich eine milde Form des Wahnsinns in ihm bemerkbar. Ibeabuchi hat Geister im Haus, die "nur für ihn und seine Mutter sichtbar" sind, prügelt schon seine Sparringspartner krankenhausreif und entführt aus unklaren Gründen den Sohn einer früheren Freundin mit einem Auto, das er direkt gegen einen Betonpfeiler setzt. Der Junge bleibt dauerhaft geschädigt. Ibeabuchi ist nach kurzer Zeit wieder raus aus dem Knast und nimmt noch drei weitere Schwergewichte auseinander, darunter den damals ungeschlagenen Chris Byrd. Wenig später vergewaltigt er eine Striptease-Tänzerin in einem Schrank, wird von der Polizei mit Pfefferspray aus dem Hotelbadezimmer gejagt und sitzt seitdem in Lovelock, Nev., in Haft. Eine vorzeitige Entlassung wurde 2004 bereits einmal abgelehnt, Ibeabuchis nächster Haftprüfungstermin ist im Dezember 2007. Er ist dann 34 Jahre alt und in, wie man seiner Homepage entnehmen kann, guter Form: "I believe what the fans really want to know, is whether I am in shape. The answer is yes. I’m in shape to fight right now. My boxing program includes shadow boxing and the study of 'Psycho-pugilism'." Ob die seit Jahren eher mau besetzte Weltspitze im Schwergewichtsboxen auf jemanden wie Ibeabuchi noch gewartet hat, ist nicht ganz sicher. Aber die Riesenmaschine tut es.


01.04.2007 | 13:33 | Anderswo | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles

Deutsch China

Das ist das Etikett der weltberühmten deutschen Biermarke Blue Girl. Alles ist deutsch darauf: Die Bezeichnung "Pilsener Lager Bier", die Aufschrift "Schutzmarke", die lächelnde Germania, die eine dieser neumodischen elektrischen Lampen mit der Aufschrift "Excelsior" in der rechten Hand hält. Aber halt, "Blue Girl" ist doch gar kein deutscher Name? In Hongkong schon, wo dieses Bier das bekannteste und am meisten verbreitete "deutsche" Bier überhaupt ist. Ein typischer chinesischer Fake also, so wie Bayerische Gesundheitsideologie?

Keineswegs, auch wenn Blue Girl tatsächlich einer Hongkonger Firma gehört, die wiederum dänische Besitzer hat: Jebsen & Co. Die Vorfahren dieser Besitzer aber waren einst Deutsche, die Jacob Jebsen und Heinrich Jessen hiessen. Sie gründeten 1895 eine Handelsfirma in Hongkong, die 1906 dann Blue Girl erwarb; ein Bier, das angeblich bereits seit dem 18. Jahrhundert in Bremen gebraut wurde und an dem sich die deutschen Kolonialtruppen im chinesischen Qingdao gerne labten. Erst 1909 eröffnete Jebsen & Co. auch eine Niederlassung in Hamburg. Die Kaufleute selbst aber stammten ursprünglich aus dem nordschleswigschen Apenrade, und das war letztlich ihr Glück. Als im ersten Weltkrieg sämtliche deutsche Auslandsvermögen beschlagnahmt wurden, deren die Mitglieder der Entente habhaft werden konnten, betraf das natürlich auch Jebsen & Co. Nach dem Krieg aber waren die beiden Eigentümer plötzlich Dänen, und zwar weil 1921 Nordschleswig nach einer Volksabstimmung an Dänemark fiel. Auch ihre Firma war über Nacht dänisch geworden, so dass Jessen und Jebsen, anders als die deutschen Unternehmen im britischen Hongkong, unbehelligt weiter wirtschaften konnten.

Das Bier aber blieb deutsch. Das Etikett der Flasche jedenfalls sieht heute immer noch so aus, wie Etiketten im deutschen Kaiserreich aussehen mussten. Wie allerdings der Originalmarkenname gelautet hat, ist nirgends in Erfahrung zu bringen. Wirklich "Blaues Mädchen"? Wenn ja, könnte nicht einer diesen schönen Biernamen aus Hongkong reimportieren? Besser als Beck's Gold, Beck's Chilled Orange, Beck's Level 42 oder, ächz, würg, Beck's Fünftagebart ist er allemal.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Bayerische Gesundheitsideologie

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (12)


27.03.2007 | 11:32 | Supertiere | Fakten und Figuren

Sokratten


Sollte man so mit metakognitiven Sophonten umspringen? Wohl kaum. (Foto: mupwangle) (Lizenz)
In der Antike wusste man so manches nicht. Man wusste nicht, wie man aus Mais Chips macht, man wusste nicht, dass man Blei nicht trinken darf, aber immerhin ahnte man, dass man nichts wusste. Dieses Wissen um den eigenen unerfreulichen Geisteszustand nennt man bekanntlich Metakognition, und unser Wissen um die Metakognitionsfähigkeiten der Antike entsprechend Kilometakognition. Als Megakognition hingegen bezeichnet man die allerneueste Erkenntnis, dass sogar Wanderratten, von denen Sokrates nichts wusste, weil sie damals noch in China wohnten, die Metakognition beherrschen, und in der Lage sind, sich nur dann eine Frage stellen zu lassen, wenn sie auch die Antwort wissen. Nagetiere, eben.


24.03.2007 | 19:42 | Anderswo | Fakten und Figuren

Vita secunda


U-Bahn-Station in Rom. Sie können hier zwar nicht einsteigen, aber dafür Ausgrabungen bewundern.
Jeder Versuch, die sagenhaften zwei U-Bahnlinien in Rom auszubauen, scheitert an der Übersättigung des Stadtuntergrundes mit archäologisch wertvollem Gemäuer. In Deutschland hat man es da besser, die alten Römer haben uns weitestgehend mit ihrem historischen Humus verschont, mit Ausnahme mancher steinerner Städte hinter der Grenze zu den Holzhüttengermanen. So beginnen bald in Köln umfangreiche Ausgrabungen im Zentrum, die bis hinab zu den antiken Fundamenten gehen sollen. Noch ein Weiteres haben die Kölner von den Römern übernommen: Im Museo della Civiltà Romana steht eine riesige Modellrekonstruktion des antiken Roms, eine gigantische Spielzeugstadt, die des Römerfans Fantasie sondergleichen beflügelt. Köln macht nun dasselbe mit Colonia Claudia Ara Agrippinensium, wie die Römer Köln mit ihrem feinen Gespür für lässige Namen nannten – und zwar als virtuelle 3D-Rekonstruktion. Endlich mal durch die antiken Latrinen surfen! Vielleicht auch bald vor altertümlicher Kulisse eine Wiedergeburt des vergangenen Lebens, ein Second Life für den Römerfan?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Schnaftitudo novissima

Ruben Schneider | Dauerhafter Link


23.03.2007 | 12:02 | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles

Die kleinen und die grünen Eier


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Als Christoph Schlingensief, der grosse, ideenarme Absorbator, letztes Jahr seinen Animatograph genannten grossen Müllhaufen für die Subventionstheater entwickelte, mit dem er seitdem, mit üppig Staatsknete ausgestattet, um den Globus eiert (in einem Monat, Werner Herzog lässt grüssen, in Manaus), hat er sich ja nicht nur fröhlich bei Dieter Roth, Paul McCarthy, Ilya Kabakov, Matthew Barney, Hermann Nitsch und Joseph Beuys bedient, sondern auch das Ei entdeckt. Denn nicht aus Asche kommen und zu Asche werden wir, sondern aus einem Ei, das immer am Kochen gehalten werden muss. Schlingensiefs Ei ist ein Dauerei ("Das ist das Hauptrezept, das ist die Forschungsanlage der Zukunft, das 24-Stunden-Ei. Das müssen wir irgendwo plazieren, vielleicht auch an mehreren Orten"), und auch das kommt selbstverständlich von woanders her gekullert.

Als 1982 zur Documenta 7 Georg Jiri Dokoupil das gewaltige Gemälde "Gott, zeig mir deine Eier" schuf, war das neben der Persiflage auf die martialischen Julian-Schnabel-Bilder, auch eine kleiner Seitenhieb gegen Beuys´ schamanistische, damals leicht ranzige Aufforderung "Zeig mir deine Wunden". Und in Martin Kippenbergers letzten Jahren im burgenländischen Jennersdorf fuhr dieser, laut AC/DC spielend, mit einem riesigen Gipsei auf der Ladefläche eines Motordreirads über die Dörfer und plante für das Dorf ein Hubschrauberlandeplatz in Form eines Spiegeleis, während Schlingensief nochmal 10 Jahre später die wenig originelle Parole ausgab: "Gott, zeig mit Deine Bremsspur".

Der grössere Oologe momentan ist aber Toni, ein österreichischer Eierentrepreneur, der nicht nur seine Hühner mit Essig, Oregano und kleinen Steinen füttert, sondern auch grüne Eier produzieren lässt, von einem uralten südamerikanischen Hühnervolk namens Babette. Und neuerdings im Rahmen der Bewegung "Neue Bescheidenheit" verkauft er auch "kleine Eier" (Bild). Schlingensief mit seinen dicken Eiern frisst vermutlich der Neid.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Löffelei

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


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