03.02.2006 | 14:35 | Fakten und Figuren | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)In den 80er und 90er Jahren kam es in den USA zu einer Reihe von Amokläufen, die eines gemeinsam hatten: bei den Tätern handelte es sich um Mitarbeiter des United States Postal Services, die die eigenen Mitarbeiter am Arbeitsplatz hinrichteten. Die Taten wurden so berüchtigt, dass sich bald eine neue Sprachwendung fand, "Going Postal" (auf die sich unter anderem auch das Videospiel "Postal" bezieht).
In Deutschland scheint das Risiko eines amoklaufenden Postbeamten eher gering zu sein, weil die Beamten ihren Dampf einfach am Kunden ablassen können. Doch in den USA wurde vor wenigen Tagen, am 30. Januar dieses Jahres, die Serie um einen weiteren Amoklauf verlängert. In Goleta, Kalifornien erschoss ein ehemaliger Postangestellter sechs seiner Ex-Kollegen, bevor er sich selbst mit einer Pistole das Leben nahm. Schaut sich man diese beiden Kundenrezensionen von Postarbeitern eines 1997 erschienen Buches an, dass das Postal-Phänomen zum Thema hat, so scheinen die Postamokläufe in den USA kein Zufall zu sein.
Diese Meinung vertritt auch Mark Ames, einer der Herausgeber und Gründer des Satiremagazins Exile, der mit seinem Buch "Going Postal" eine gründlich recherchierte Analyse der Amokläufe in amerikanischen Postämtern und Schulen geschrieben hat. Ames zieht Parallelen zwischen den Zuständen, die zu den amerikanischen Sklavenaufständen im 18. und 19. Jahrhundert führten und den Arbeitsbedingungen im heutigen Corporate America, deren Trostlosigkeit er in allen deprimierenden Details beschreibt. Schliesslich, so Ames, sollte man nicht versuchen, Profile der potentiellen Täter zu erstellen, denn: "It is the workplaces and schools that need to be profiled."
01.02.2006 | 17:15 | Supertiere | Fakten und Figuren | Sachen kaufen
 "Twins 1" von Patrica Waller (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.) Stricken war lange eine der meistunterschätzten Kulturtechniken. Was hat sich die Generation Verächtlichkeit in den 80ern beavisundbuttheadesk lustig gemacht über strickende Mütter in den Soziologie-Seminaren. Wie sehr schüttete sich die Premiumzielgruppe der 14-29-Jährigen vor Lachen aus, wenn sie in den 90ern nachts betrunken nach Hause kam und Strickmaschinen auf einem Homeshoppingkanal angeboten wurden. Erst die Nuller Jahre entdeckten so recht, dass "cool" keine Frage der Tätigkeit ist, sondern der Überzeugung dahinter. Und hier tritt Stricken auf den Plan, das, man kann es ruhig zugeben, nicht unbedingt in der natürlichen Freizeit-TopTen der Surfer zu finden ist.
Aber die Avantgarde der Nuller Jahre macht sich weniger lustig als vielmehr selbst auszuprobieren, was im Bereich Strickwerk & Häkelgut alles geht. Mit Stricknadel und Wolle hat etwa die Künstlergruppe Gelitin 2005 einen Riesenhasen produziert und auf einem Gipfel in Italien abgelegt. Einer ähnlichen Haltung entspringen der gestrickte Roboter von Jess Hutch ebenso wie der gestrickte Verdauungstrakt von Matie Trewe.
Neben den genannten hat die Seite Yumlum eine Galerie voller Strickabsurditäten zusammengetragen – mit an die Comicwelt der Happy Tree Friends erinnernden Figuren und mit dem unten abgebildeten, süssen Siamesischen Zwillingsteddy. Aber auch ein mit der Schere geschlachtetes Kind, ein lustiger Tiger mit einem abgerissenen Arm im Maul oder ein niedlicher Fahrradunfall mit Schädelbasisbruch beweisen: Stricken kann auch Spass machen!
Hinweis durch Brandy Fleming. [Nachtrag: Yumlum nennt leider keine Quelle, die Kunstwerke auf dieser Seite stammen von Patrica Waller.]
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Späte Einsicht
31.01.2006 | 13:51 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren
 Sieht so komplex aus wie es ist (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Sterne und Kinder haben eines gemeinsam: Bei der Geburt geht vieles durcheinander. Der Trifid-Nebel, Abbildung links, sieht schon mit normalen Fernrohren vollkommen chaotisch aus; noch viel schlimmer wird es, wenn man es mit Infrarotkameras probiert, z.B. mit dem Spitzer Weltraumteleskop, einem, wie schon erwähnt, Wunderding. Der Wechsel zum Infraroten bedeutet praktisch, das man die Temperatur dessen, was man sieht, herunterregelt, von einigen tausend auf einige hundert Grad; man beobachtet die kalten Staub- und Gaswolken, aus denen sich Sterne bilden, zusammen mit den frisch entstandenen Embryos und ihren schon etwas älteren Säuglingsgeschwistern, alles gleichzeitig, bunt und ineinander verschachtelt. Ein verwirrendes Gebilde.
Die akkurate Interpretation dieses Bildes dauerte daher auch etwas länger, aber jetzt hat sich die enthusiastische Pressemitteilung vom Januar 2005 in einen erwachsenen Aufsatz verwandelt, auch eine Art Geburtsvorgang. Der sehr helle Stern im Zentrum der unteren runden Struktur sorgt nicht nur für die ansprechende Beleuchtung des Nebels, nein, er bläst mit seinem heissen, nicht mal so übelriechenden Atem alles in seiner Umgebung hinfort, erzeugt damit dieses rote höhlenartige Etwas und presst gleichzeitig das umliegende Zeug zusammen (wie beim Schneeschieben), so dass sich daraus grosse Klumpen bilden. Diese Klumpen wiederum, bisher hielt man sie für dunkel und düster, enthalten einen oder mehrere sanft glühende Sternembryos, kaum mehr als ein paar Tausend Jahre alt, und in diesem Bild erstmals richtig zum Ansehen. Ein wahrhaftiges, echtes Wunder, und alles direkt, naja, nicht so ganz, vor unseren Augen.
Ausserdem sieht es viel besser aus als diese Ultraschallbabies oder gar das anschliessende Gemetzel im Kreisssaal. Sterne haben, was Farben und Formen angeht, wahrscheinlich einfach mehr Ahnung.
31.01.2006 | 04:51 | Fakten und Figuren | Sachen kaufen
 Eulen-Romanze (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Mut – diese tolldreiste Eigenschaft gefestigter Persönlichkeiten, diese Premiumsverhaltensweise mit Seltenheitswert, diese One-Step-Anleitung ins Heldentum – was ist Mut wirklich? Die sonst allwissende Firma Google gibt hier viele unbefriedigende Antworten: Mut sei eine Initiative für eine "Mensch und Umwelt schonende DB-Trasse", der Verein "Mensch – Umwelt – Tier e.V." oder sei ganz abwegig eine Abkürzung für Medizin und Technik.
Wikipedia, die ehrenamtliche Lehrerspielwiese für arbeitslose freizeitintensive Akademiker, bietet eine bessere Definition für Mut an: "ein wagendes Vertrauen in die eigene Kraft". Sachlich korrekt, trifft das aber noch nicht so ganz den Kern der Eigenschaft, die wie kaum eine andere durch Handeln und nicht durch Haben definiert wird. Um die leidige Definitionsfrage zu klären, schlagen wir fortan vor, Mut haben als "etwas Justinmullinsiges tun" festzulegen. Denn Herr Justin Mullins stellt unter dem Namen "Mathematical Photography" mathematische Formeln ins Netz, die er gerahmt als Kunstfotografien verkauft, zum Beispiel als Symbol für Schönheit (ausgedrückt durch die Eulersche Formel) oder das obenstehende Bild, das für "Romance" steht.
Als reichte das allein noch nicht, wird schon vor dem zweiten Hinsehen klar, dass noch keine der "Fotografien" existiert, sondern die Bilder samt Rahmen billigst am Rechner zusammengeschraubt wurden und vermutlich erst bei Bestellung irgendwie zurechtfotografiert werden. Wenn das keine amtliche Definition für "Mut" ist.
29.01.2006 | 16:09 | Fakten und Figuren
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Nachdem vergangenen Freitag mit seinem Geburtstag der entsetzliche Höhepunkt des Mozartjahrs erreicht worden ist, könnte man doch für jeden, vor allem für all jene, die noch bei klarem Verstand und gutem Gehör sind, erstens "Eine kleine Nachtmusik" ein für allemal verbieten und es zweitens das Restjahr mit WAM gut sein lassen. Und sich bei Bedarf an Götzenanbetung dem anderen Jubilar zuwenden, dem hundert Jahre jüngeren Sigmund Freud.
In Frankreich, neben Argentinien die letzte nationale Bastion des Freudianismus, ist die Analyse ein bis in die höchsten Kreise hinein verbreitetes Spielzeug, und erst kürzlich war zu erfahren, dass Präsident Mitterand einst zu spät zu seiner Sitzung kam, weil er zuvor noch Margaret Thatcher davon abbringen musste, eine Atombombe auf Argentinien zu werfen. Und weil dort jeder, vom verkrachten Künstler bis zum abgesprungenen Priester, Analytiker werden kann – es reicht das Abitur, die Lektüre von ein paar Freud-Werken und das Wissen, dass man jede lästige Frage mit der Gegenfrage "Warum fragen sie mich das gerade jetzt?" abschütteln kann – ist die Angriffsfläche bei dieser Branche naturgemäss, auch wegen der scharfen Konkurrenzverhältnisse, recht breit.
Momentan wird dort unter dem Motto "Besser leben, besser denken, sich besser fühlen ohne Freud" eine Grossattacke auf die orthodoxen Freudianer geritten, was nicht schwer ist, ist doch die klassische Analyse mittlerweile zu einer staubigen Kette von Riten, Zeremonien, Dogmen, zu einer Religion mit Begriffsattrappen erstarrt. Auf die Zweifel an der therapeutischen Wirksamkeit der Psychoanalyse hatte schon Jacques Lacan eine Antwort parat: "Wie ein gewisser Karl Popper sehr richtig festgestellt hat, ist die Psychoanalyse keine Theorie, die man widerlegen könnte. Sie ist eine Praxis – eine Praxis, die so lange dauert, wie sie eben dauert. Sie ist eine Praxis des Schwätzens (une pratique du bavardage)."
... 60 61 62 63 64 [65] 66 67 68 69 70 ...
|
IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Fritz Kuhn abgrätschen
- Pa-leng
- Parallelogramm-Prinzip
- Wirklichkeit als Wirkstoff
SO NICHT:
- Erbrochenes inhalieren
- Röchelrufe
- Menschen mit sechs Flügeln (zwei genügen)
- Blendwerk
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Pawn Shop Chronicles", Wayne Kramer (2013)
Plus: 19, 22, 23, 32, 48, 104, 144, 151 Minus: 27 Gesamt: 7 Punkte
KATEGORIEN
ARCHIV
|
|