Riesenmaschine

18.03.2008 | 01:25 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Eine Uhr, sie zu einen


Screenshot: Ironic Sans
Im ersten Vorwort seines letzten grösseren Werks "Zeitverschwendung" bezeichnete der famose Wissenschaftsphilosoph Paul Feyerabend die Sonnenuhr als Sinnbild für "die wechselhafte, perspektivabhängige Natur der wissenschaftlichen Messung". Ein scheinbar harmloser Nebensatz – in Wirklichkeit ein spätes, eher unfeines Nachtreten gegen seinen Lehrer Karl Popper. Dieser hatte in verschiedenen Aufsätzen und Briefen das Bild der Sonnenuhr benutzt, um zu veranschaulichen, wie einfach und unmittelbar eine nachzuvollziehende Messung an der Natur selbst stattfinden kann. In Vorlesungen in Berkeley verspottete Feyerabend Popper als "Sonnenuhrwissenschaftler", der bei wolkenverhangenem Himmel seine Arbeit einstellen müsse, weil seine Methoden offensichtlich nicht funktionierten. Popper, in der Sache oft aggressiv, stänkerte indirekt zurück, indem er dem Schüler eine Sonnenuhr zustellen liess mit der Bemerkung, er möge sie ruhig "nachts mit einer Stehlampe benutzen", seine Einstellung zur Wissenschaft lasse das sicherlich zu.

Jetzt, vierzehn Jahre nach dem Tod beider, ist ein Ende des Streits in Sicht: eine Sonnenuhr, die auch nachts funktioniert und sich von der schlichten Naturbeobachtung und -messung erkennbar gelöst hat. Im Blog "Ironic Sans" mit dem schönen, wissenschaftsaffinen Untertitel "It seemed like a good idea on paper" wurde die abgebildetet Idee vorgestellt: drei rotierende Lampen werfen jeweils den stunden-, minuten- und sekundenanzeigenden Schatten. Wie schön, dass ausgerechnet das erste bekannte wissenschaftliche Messinstrument in seiner neuzeitlich-künstlichen Verbrämung – die noch dazu nur im Halbdunkel funktioniert – Popper und Feyerabend versöhnt.


16.03.2008 | 08:41 | Berlin | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Schmutzige Marketing-Methoden


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Nun ist unter Werbern die Idee, es den Sgraffiti-Künstlern gleich zu tun und die ganze Stadt mit der eigenen fragwürdigen Botschaft zu pflastern, dabei jedoch die legale Restriktion zu erfüllen, indem man subtraktiv – und nicht wie die kühnen Vorbilder der semiotischen Stadtguerilla: additiv – verfährt, ja insgesamt so neu nicht. Trotzdem muss man der jüngsten viralen Marketing-Aktion von VW im Autotunnel unter dem Berliner Alexanderplatz Kredit einräumen und Respekt bezollen. Nicht weil sie so originell wäre oder mit so viel Fleiss umgesetzt, sprich: die Motive mit erheblicher Akuratesse in den Russ-Feinstaub-Film der Tunnelwand hineingeschrubbt wurden, sondern weil das nicht, wie beim Adidas-Vorläufer, arbiträr geschah. Vielmehr wurde das Thema – es geht um BlueMotion, wie das branchenübliche Greenwashing in der Sprache von VW heisst – sinnfällig als doppelter Saulus-Paulus-Flip-Flop in Szene gesetzt und vorgeführt. Die zuständigen Wettbewerbsjurys für Ambient-Marketing und subliminale Manipulation werden es lieben. Dem Berliner wäre mehr geholfen gewesen, wenn VW den Tunnel insgesamt mal ordentlich gekärchert, oder insgesamt besser noch: Streikbrecher-Trams mit Bluemotion-Technologie zum Einsatz gebracht hätte.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Im Zeitalter der Putzguerilla


14.01.2008 | 23:58 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Gekaufte bezahlte Anzeige

Energie sparen mit der Riesenmaschine

Zwar ist das Haus der Frohen Zukunft, in dem grosse Teile der Riesenmaschine-
Inhalte fabriziert werden, seit letztem Jahr auf sauberen Öko-Strom umgestiegen, die Riesenmaschine selbst läuft aber mit schmutzigem Atomstrom aus Kirgisien, für dessen Erzeugung Kinder in unterirdischen Säureminen den Uranmergel mit der Schippe abbauen. Nun wirkt sich das auch nicht negativ auf den CO2-Fussabdruck der Riesenmaschine aus, aber es macht sich halt nicht so gut in der Karmabilanz. Deshalb hat die Riesenmaschine beschlossen, jetzt auch, nachdem es schon alle anderen tun, etwas für den Klimawandel bzw. dagegen zu tun, und zwar gemäss dem ehernen Grundsatz "Technische Lösungen für ökologische Probleme". Als strategischen Partner haben wir uns dafür Günther Faltins Projektwerkstatt ausgesucht, die das Thema in bewährter Manier der Teekampagne (Mittelsmänner ausschalten, Grosspackungen anbieten) angegangen ist. Herausgekommen ist die CO2-Kampagne, ein Angebot wie für unsereins gemacht, weil sie dort ansetzt, wo sich Faulpelz und Schweinehund guten Tag sagen. Man bestellt mit wenigen Mausklicks eine 10er-Packung der Energiesparlampe "Petit Economy" zum unschlagbar günstigen Grosspackungspreis. Wartet einen Tag, bis sie geliefert wird. Tauscht alle Glühbirnen in der Wohnung aus. Kann fortan Tag und Nacht das Licht brennen lassen und spart dabei Strom, Geld und CO2. Über diesen Link oder das nebenstehende Widget geht es noch einfacher, und die Riesenmaschine verdient auch etwas daran, wenn man die "Petit Economy" (Was für ein Supername!) darüber bezieht. Aber darum geht es hier natürlich nicht, sondern um die im Zähler erscheinenden gesparten CO2-Kubikkilometer. Die Zahl tragen wir am Jahresende einfach in unsere Karma-Gewinn-und-Verlustrechnung ein und schicken sie an das Karmakatasteramt mit Hauptsitz Kirgisien. So ist allen geholfen.


14.01.2008 | 12:36 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Aktion Bock zum Gärtner


Unter der Laterne ist es bekanntlich am dunkelsten. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Mit der Corporate Social Responsibility (CSR) ist das so eine Sache. Einige, wie der Economist, halten sie für rundheraus verzichtbar. Auf jeden Fall wird es immer schwieriger, den zum eigenen Geschäftsgebaren passenden, zudem noch unverbrauchten Aktionsradius zu finden. Wie leicht hatte es da doch der CSR-Pionier Krombacher, der sich mit seiner Saufen für den Regenwald-Kampagne einfach arbiträr auf das nächstbeste und publikumsträchtigste Charity-Thema werfen konnte. Heute sind die Claims abgesteckt, und die kritische Öffentlichkeit will eine Verbindung sehen. Da hilft im Einzelfall nur die Flucht nach vorn und ab durch die Mitte. Nach diesem Schema konnte sich etwa der Erdölkonzern BP als klimaschützende NGO neu erfinden. Danach ist es kaum noch irritierend, wenn nun auch der CEO von McDonald's UK öffentlich Videospiele als Dickmacher der Jugend geisselt. Und von daher wäre auch der deutsche Mobilfunkanbieter Debitel durchaus zu seinem im vergangenen Jahr gestarteten, neuerdings mit riesigen Aussenplakaten beworbenen Engagement gegen Kinderarmut zu beglückwünschen. Mal sehen, ob sie damit davon kommen, oder dieses eine Mal vielleicht doch zu sehr auf die Ablenkungswirkung des blinding flash of the obvious vertraut und spekuliert haben.


15.12.2007 | 19:11 | Nachtleuchtendes | Supertiere

Niedlichkeit verpflichtet

Nicht alle Tierschützer haben sich auf plumpe Aufmerksamkeitsstrategien wie alberne Kostüme, Holocaust-Vergleiche und Leicheneinsatz an öffentlichen Plätzen festgelegt. Nehmen wir Dr. Baillie, der sich mit seinem Team vom EDGE-Hauptquartier in London in die Wüste Gobi aufmachte, um dort nach wilden Riesenohr-Springmäusen zu jagen – natürlich nur mit Kamera und Lebendfallen. So gelangten die ersten Bilder des niedlichen Nagers aus der weiten Wüste in die wüste Weite des Internets. Dabei dient Dr. Baillie, wie er auch in seinem Blog erläutert, die allgemeine Zurschaustellung des Knuffigen und Postkarten-geeigneten nur als Vorwand – um nämlich den Schutz der ganzen Region mit vielen weiteren Arten sicherzustellen. Die Ausbeutung des Niedlichen für eine bessere Welt, warum eigentlich nicht? Fordern wir also Tierpatenschaften: Jedes Streifenhörnchen, jeder Igel, jeder Panda, jeder Seeotter sollte sich selbst neun weitere Arten aussuchen, die es nicht auf Cute Overload geschafft haben, und Nachhilfe im Schläfrig- oder Überrascht-Gucken geben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Erneuerbare Niedlichkeiten


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