Riesenmaschine

26.05.2006 | 17:26 | Anderswo | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Ziviler Ungehorsam in allen Bereichen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Menschen, die mit extremer Akribie einem grossen Ideal folgen, sind selten Durchschnitt, sondern entweder geistesgestört (Stichwort Tennisrasen) oder bewundernswert. "Ninjalicious" aus Toronto, verstorben im August 2005, gehörte eindeutig zur zweiten Kategorie. Er nennt sich "Urban Explorer", und ist in dieser Funktion Weltexperte für die Erkundung von verbotenen Bereichen aller Art: Verlassene Fabrikgebäude, U-Bahn-Tunnel, Baustellen, geheime Industrieanlagen, Abwässerkanäle. In seinem Magazin "Infiltration", auf seiner Website und seit letztem Jahr auch in seinem Kompendium Access All Areas legt er in übermächtiger, schonungsloser Detailversessenheit und Offenheit sein Expertenwissen dar. Das Buch enthält extrem nützliche Anleitungen zum Umgang mit Frachtaufzügen, Bewegungsmeldern, Stacheldraht, Polizisten, Taschenlampen, Obdachlosen, Giftmüll, Alarmanlagen, sogar ein ganzes Kapitel zum Thema "Lächeln" (im Umgang mit Sicherheitspersonal). Und er ist sich nichtmal zu schade, das Offensichtliche festzustellen, was man so oft vergisst ("External doors are probably the most common method of ingress."). Mehr muss kein Mensch im Stadtleben wissen.

Und abgesehen davon liefert "Access All Areas" in subtiler, beinahe subluminaler, ja, gar subkutaner Art und Weise eine Subsidiaritätsphilosophie für den Alltag, die irgendwann in der Lage sein dürfte, alle wichtigen Probleme zu lösen: Gesetze, schreibt euch das hinter die Ohren, sind nur für die zuständig, die sie dringend brauchen, und nicht für andere, die ihr Tun und Lassen selbst im Griff haben. (Der Staat kann das natürlich öffentlich nicht zugeben, merkt ja sonst jeder den Betrug, aber wer die richtigen Bücher liest, sollte oft daran erinnert werden.)


23.05.2006 | 18:42 | Anderswo | Sachen kaufen | Papierrascheln

Folgen Sie dem unsichtbaren Pfeil


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
"Ein Freund erzählte mir kürzlich, er habe anhand eines Londoner Stadtplans, dessen Anweisungen er blindlings gefolgt sei, den Harz in Deutschland durchquert", so der Situationist Guy Debord 1955 in "Einführung in eine Kritik der städtischen Geographie". Der Lonely Planet Guide to Experimental Travel versammelt 40 Vorschläge für experimentelle Reisen im Geiste des Situationismus und geht im Vorwort ausführlicher auf die schöne Wissenschaft der Psychogeographie ein. Unter den Reisevorschlägen, die man in Kurzform auch hier einsehen kann, sind ausgezeichnete Pläne wie die "Expedition zum K2" (in jeder Stadt wird das Planquadrat K2 erforscht) oder "Backpacking at Home" (vom Flughafen der eigenen Stadt in ein beliebiges Hostel, dort Abhängen mit australischen Rucksacktouristen, zurück zum Flughafen und nach Hause). Hässliche Gegenden verlieren ihren Schrecken, denn "when it comes to Experimental Travel, one place is as worthy as any other". Was wahrscheinlich beweist, dass es keine öden Orte, sondern nur öde Touristen gibt.


04.05.2006 | 15:40 | Papierrascheln

Arme Schlucker


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Bis in die siebziger Jahre glaubte man noch, die Ursachen für Alkoholismus lägen in erster Linie an der prägenden Umgebung oder an dem Umstand, dass z.B. jemand zu Hause auf jemand anderen wartet und sich deshalb einen Cocktail aus Sehnsucht und Langeweile mixen muss, wie in diesem Propaganda-Comicstrip der Anonymen Alkoholiker, der eingestellt werden musste, weil es zu wütenden Protesten irritierter Leser kam.
Alkoholismus wird in der Literatur meistens glorifiziert, oder zumindest so kaschiert, dass sich die wirklichen Abgründe nur erahnen lassen können, sei es bei Hemingway, Bukowski, Jerofejew oder im Säufermagazin.
Simon Borowiak hat nun auch ein Buch geschrieben, das Alkohol zum Thema hat, Alk heisst es, und ist zweifellos das Beste, was zu diesem Thema zu sagen ist. Mit einem amateurwissenschaftlichen Ansatz beschreibt der Autor aus eigener Erfahrung, wie kompliziert die Ursachen für eine Suchtkrankheit sind, wie schwer es ist, Alkoholiker zur Einsicht zu bringen, dass sie krank sind und wie höllisch Entzüge sein können. Er beschreibt das alles in einem so lakonischen Erzähl- und Erklärton, dass sich der empathische Schauer aber immer wieder mit grosser Heiterkeit abwechselt.
Irriterend ist einzig, dass auf Borowiaks Cover, genauso wie auf dem von Eichborn-Kollege Sven Regners Trinkerroman "Herr Lehmann", Bierverschlüsse abgebildet sind. Nur bei Regener ist der Beck's-Schriftzug eliminiert worden, bei Borowiak aber noch gut erkennbar. Kann die Brauerei also mit Borowiaks Buch eher leben?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wenn das der Wührer wüsste

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


22.04.2006 | 19:16 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Darwins holistische Detektei


Alles hängt... (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

... mit allem zusammen. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Was viele nicht wissen: Charles Darwin hat nicht nur die Evolution der Organismen erfunden, sondern auch die holistische Forschung, ein wichtiges Grundelement zeitgenössischer Investigation. In Robert Frenays neuem Buch Pulse, das seit einigen Tagen abgesehen von der Printversion auch als Blog erscheint (Fertigstellung bis Ende des Jahres), kann man eine von Darwin überlieferte Episode nachlesen, die das Grundprinzip schön illustriert: a) Hummeln bestäuben Blumen, b) Mäuse zerstören die Hummelbehausungen, c) Katzen fangen Mäuse. Zusammengenommen ergibt dies, dass man bestimmte Blumensorten nur dort findet, wo es viele Katzen gibt. Das ist genau die Art Wahrheit, die Douglas Adams' holistischer Detektiv Dirk Gently meint, wenn er von der "fundamentalen Verbundenheit aller Dinge" spricht und die es Menschen wie Cecil Adams heute erlaubt, überhaupt alles zu wissen und zu verstehen, auch wenn es Cecil Adams vielleicht gar nicht wirklich gibt. In ihrer Umkehrung versetzt holistische Erkenntnis zudem jemanden wie Donald Rumsfeld in die Lage, überhaupt gar nichts zu wissen. Tja, von Bienen zu Katzen ist nämlich total einfach, Freund Charles, von Evolution zum Pentagon hingegen, das kann nicht jedes dahergelaufene Genie.


20.04.2006 | 12:39 | Zeichen und Wunder | Papierrascheln

Popetown II


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Eigentlich häuften sich gestern die Meldungen, MTV wolle einen Schritt auf das klagevorbereitende Erzbistum München zugehen und irgendwie um die Sendung Popetown verhandeln. Heute aber müssen wir feststellen, dass nicht nur die letzte Anzeige zurückgezogen wurde – sondern auch eine neue geschaltet worden ist, nämlich die nebenstehende in den Zeitschriften Sonic Seducer und RockHard. Offenbar ist mit dem Entgegenkommen auf die Christenschaft gemeint, dass Jesus wenigstens wieder am Kreuz hängt. Weil er aber Popetown keinesfalls sehen möchte, hält er sich die Augen zu, und zwar mit den blutigen Händen, in denen noch die Nägel stecken. Die für die Kampagne veranwortliche Agentur Roxy Munich erklärte auf Nachfrage, sich nicht erklären zu können, wie das Motiv in die Zeitschriften gekommen sei, eventuell habe man bei MTV versehentlich geschaltet.

Die Grenzen des guten Geschmacks scheinen weit überschritten, hier werden religiöse Empfindungen mit Händen genagelt Füssen getreten, und so hatte ich es mir beim Ausdenken ja auch gedacht. Leise Zweifel mehren sich, ob die werbliche Rückführung des Heiland ans Kreuz geeignet ist, MTV aus der Schusslinie derer zu ziehen, die Meinungsfreiheit nur dann fordern, wenn andere angegriffen werden.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Popetown


... 23 24 25 26 27 [28] 29 30 31 32 33 ...

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Mini-Kopfnuss

- Weltherrschaft

- zusammen losfahren

- Fernkopie zukommen lassen

*  SO NICHT:

- Bautz'ner Brutzel-Sauce

- Substraltag verpennen

- alleine ankommen

- Fax schicken


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"L Change the World", Hideo Nakata (2008)

Plus: 13, 83
Minus: 8, 30, 36, 66, 97, 99, 102, 113, 133, 136, 140, 145, 147
Gesamt: -11 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV