Riesenmaschine

19.03.2006 | 18:07 | Anderswo | Papierrascheln

Under Cover


Der Sieger (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Leipziger Buchmesse ist vorbei; der Gewinner in der Kategorie "missglücktestes Cover Frühjahr 2006" steht fest. Es ist die deutschen Ausgabe des neuen Rushkoff, erschienen bei Riemann. Aus dem schönen Originaltitel "Get back in the Box" wurde das wenig sagende "Die neue Renaissance", welches in Verbindung mit den gleich zwei Untertiteln "Auf dem Weg zu einer vernetzten, sozialen Wirtschaft" (kommend aus der völlig unvernetzten asozialen Martktwirtschaft?) und "Die Welt verändert sich, spielen wir mit" (vorsichtshalber noch mal extra in Anführungszeichen gesetzt) so richtig abkackt. Aber dann die Grafik! An einer von einem Gitternetz überspannten Weltkugel in der Farbe eines schmutzigen Sonnenuntergangs stehen im ersten Photoshop Layer ca. acht Städtenamen in ungefährer Nähe der bezeichneten Orte, die Auswahl erscheint mit London, Paris, Capetown, Lima, Sydney und Mexico City recht willkürlich ausgefallen. Willkürlicher noch erscheinen die eine Ebene höher angebrachten Logos von iPod (wobei hier auf eine Eigenkreation zurückgegriffen wurde), amazon.de (nicht etwa .com) und BP (sic!). Den Ausschlag für den am Ende doch einstimmigen Juryentscheid lieferte aber die Tatsache, dass zwischen diese Logos wie mit Kartoffeldruck noch insgesamt sechs Klotür-Piktogramme gestempelt sind. "Komplette Hilflosigkeit in ihrer vielschichtigsten und facettenreichsten Form", heisst es in der Begründung. Inhaltlich ist das Buch allerdings vorbehaltlos zu empfehlen.


05.03.2006 | 15:18 | Anderswo | Fakten und Figuren | Papierrascheln

Pekingente besiegt Blixa Bargeld


Historisches Cover zum Ausschneiden und Sammeln
Dauernd wird in China Geschichte gemacht. Vor ein paar Wochen wurde ein Zaun errichtet – gestern erschien der erste chinesische Rolling Stone. Damit gibt das amerikanische Mutterblatt dem "Festland" – wie die Volksrepublik hier nur genannt wird – den Vorzug vor Hongkong und Taiwan, wo nur eventuell und erst zu einem späteren Zeitpunkt Lizenzausgaben erscheinen sollen. Leider enthält auch die – allerdings schön aufgemachte – chinesische Ausgabe kaum mehr als üblichen Rockkrempel. Die Coverstory ist Cui Jian gewidmet. Der ist so etwas wie der hiesige Udo Lindenberg (mit dem der Chinese auch schon auftrat), nur trägt er statt Hut eine Basecap. Er gilt als rau und ehrlich und muss seit Jahren herhalten, wenn ein westlicher Korrespondent beweisen will, dass es auch in China eine lebendige Rockszene gibt. Tatsächlich aber war seine letzte CD nicht mehr als ein Stück Ethnorockschrott aus dem Leichenschauhaus. Nicht weniger schlimm ist eine elfseitige, reichhaltig bebilderte Strecke über die übelste Band der Welt, deren Namen sie auf dem Cover selber nachlesen mögen, weil wir ihn hier garantiert nicht hinschreiben.

Auch ein Deutscher hat es in die historische Ausgabe geschafft: Blixa Bargeld, seit letztem September Neu-Pekinger. Im Interview erzählt er, wie er von chinesischen Fans vorm hiesigen Ikea erkannt und begrüsst wurde. Seinerseits habe er dann wenig später auch jemanden erkannt, und zwar in einem Taxi Brian Eno. Nur hätte er, Blixa, ihn leider nicht begrüssen können, weil er selbst in einem Taxi sass usw... So spielt das Pekinger Leben. Im Weiteren erklärt der Schwarzträger den Chinesen: "Ich ziehe Schwarz nicht an, weil ich gothic bin. Ich habe Gothic erfunden. Und viele andere Kunstformen seit den Achtzigern auch", dass er vor dreissig Jahren Vegetarier wurde, weil er nicht dasselbe essen wollte wie sein Vater ("Das war eine Rebellion"), sowie: "Ich glaube immer noch an den dialektischen Materialismus. Und ich glaube immer noch an Marx."

Wir können hier nicht sagen, ob Blixa Bargeld auch aus dialektischen Gründen mit dem Fleischverzehr wieder begann, kaum hatte er Pekinger Boden betreten. Eine leckere Pekingente war sein erstes Fleischgericht nach drei Dekaden. Zumindest teilen wir sein "Gefühl: Peking wird das Kulturzentrum der Welt." Nur wird das noch eine welthistorische Sekunde dauern. Das sagt uns auch die erste Ausgabe des chinesischen Rolling Stone.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: The Writing on the Wall (is the wall)

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


03.03.2006 | 13:55 | Anderswo | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Vielleicht das falscheste Buch der Welt


Eine ältere Ausgabe des hier rezensierten Werkes
Noch ist nichts geklärt: Aber eventuell ist dieses Buch das falscheste der Welt. Es handelt sich dabei um das Xinhua-Wörterbuch, das wohl populärste Taschenwörterbuch in China. Seit 1953, dem Ersterscheinungsjahr, trägt es praktisch jedes chinesische Schulkind im Ranzen, so dass seine Gesamtauflage mittlerweile bei 400 Millionen Exemplaren liegt. Nun hat Chen Dingxiang, ein ehemaliger Hoteldirektor aus Kanton, ein Buchkaufhaus in Shanghai auf Schadensersatz verklagt, da das Wörterbuch 4.000 (nach anderen Quellen: 3.000) falsche Definitionen und sonstige Fehler enthalte. Chen, so meldet China Daily, begann bereits 1998 an der Richtigkeit des Standardwerks zu zweifeln. Damals fragte ihn seine Tochter nach einem Eintrag. Chen sah selbst nach und hielt das, was er las, für falsch. Kurze Zeit später kündigte er seinen Job, um sich ganz der gründlichen Überprüfung des Wörterbuchs widmen zu können. Bereits 2001 fasste er die ersten Ergebnisse zu einem Bericht zusammen, dem 2004 ein zweiter folgte. Da bisher kein Verlag bereit war, Chens Korrekturen zu publizieren, sah sich der Mann genötigt, das Buchkaufhaus zu verklagen. Chen will u.a. "wegen Verletzung von Verbraucherrechten" den Kaufpreis des Buches (33 Yuan = 3,44 Euro) zurück, sowie 20.000 Yuan für seine Bemühungen um die Wahrheitsfindung. Unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits hat die Riesenmaschine bereits jetzt beschlossen, Chen Dingxiang eine Lektorenstelle auf Lebenszeit anzubieten – vorausgesetzt natürlich, der Mann lernt noch schnell Deutsch.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


25.02.2006 | 13:00 | Alles wird besser | Papierrascheln

Godot Trends: E-Paper in da house


So flach, dass es unter jeder Tür durchpasst (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Godot hat soeben das Gebäude betreten, wenn auch auf schmalem Fusse: Wie die Berliner Zeitung vorgestern meldet, sollen nun 200 Probeleser der belgischen Tageszeitung De Tijd in den Genuss kommen, ihre morgendliche Lektüre auf elektronischem Papier bestreiten zu dürfen. Die Philips-Tochter iRex stellt das entsprechende Gerät, den Iliad E-reader ER 100 zur Verfügung, der noch dieses Jahr in Serie gehen soll. Trotz 8'1-Zoll-Display auf E-Ink-Basis soll die Batterielaufzeit über zehn Stunden betragen, weil die darin eingelagerten Schwarz-Weiss-Kügelchen nur in dem Moment Strom ziehen, wenn sie gedreht werden. Auch bei der Financial Times Deutschland, der Rheinischen Post und der Riesenmaschine denkt man angeblich bereits über Testläufe mit dem Iliad nach.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Godot ist aus Papier


24.02.2006 | 16:03 | Anderswo | Alles wird besser | Papierrascheln

Vogelgrippen verboten

Ziemlich künstlich regt man sich gerade bei
Spiegel online auf. Weil Deutschlands Panikmagazin Nummer 1 offenbar beschlossen hat, dass einmal mehr die Apokalypse droht, wird dort mit harten Worten ("wenn es wirklich einmal losgeht, dürfte dem Verfasser dieser Alberei das Lachen vergehen") auf ein paar Spass-Spatzen geschossen, die bei eBay mit über Nacht bedruckten Vogelgrippe-T-Shirts einen schnellen Euro machen wollen. Zwar sind die Aufdrucke der Shirts nur bedingt bis gar nicht lustig ("Vogelgrippe herzlich willkommen!"), doch ist das gewiss kein Grund, eBay indirekt aufzufordern, das "Schlagwort auf den Index" zu setzen sowie Abmahnanwälte zu animieren, sich mal mit ein paar kleinen T-Shirt-Heinis zu beschäftigen. Denn, so SPON: "Über 140 Millionen tote Vögel und fast 100 menschliche Seuchenopfer sind schon jetzt kein Gag mehr."

Wesentlich entspannter geht man da in Vietnam mit dem Thema um. Zur Erinnerung: Das ist das Land, in dem im Jahr 2003 die Vogelgrippe ihr Revival erlebte, und das die Weltvogelgrippen-Charts mit 93 von der WHO bestätigten Avian-Influenza-Fällen und 42 Toten anführt (Stand 20. Februar). Zwar wurde in Vietnam auch massenhaft (aber keineswegs flächendeckend) allerlei Federvieh gekeult. Ansonsten hängen die Vietnamesen einfach nur überall im Land Plakate auf, auf denen man die blöden Hühner und Enten durchstreicht. Auch für einen kleinen Vogelgrippespass ist man im Vogelgrippeparadies immer zu haben, wie nebenstehendes Foto eines Kinderkarussells im Stadtpark von Hoian zeigt. Damit die böse Ente keinem Kind schaden kann, haben – wie wir fest glauben – Vogelgrippeschützer ihren Kopf mit brauner Farbe übermalt. Dass diese entspannte Haltung dennoch Früchte trägt, beweist die Statistik. In diesem Jahr gab es in ganz Vietnam noch keinen einzigen Vogelgrippefall.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


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