Riesenmaschine

12.07.2006 | 13:14 | Alles wird besser | Was fehlt

Für einen, der auszieht, das Fürchten zu zählen


Drowning by numbers. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Auf der Liste der häufigsten Phobien steht die Sozialphobie an zweiter Stelle. Äusserlich oft kaum von Schüchternheit oder flechtenbärtiger Einsiedlerei zu unterscheiden, tobt diese Grossfurcht im seelischen System der Betroffenen so scheusslich und nachdrücklich, dass oft der Leib, vom inneren Aufruhr mitgerissen, allerlei bedrohlichen Unfug und damit seinen Besitzer immer weiter in die Isolation treibt.

Für die so und ähnlich Geplagten hat sich Daniel Goddemeyer die Fear Buddies ausgedacht. In seinem Auftreten beinah ebenso scheu wie der Sozialphobiker, zählt das einer geschwollenen Babuschka gleichende Gerät diskret die Begegnungen mit anderen, gleichartigen Fear Buddies und deren ängstlichen Besitzer. So weiss der Furchtgequälte, wenn er abends, erschöpft von den Überwindungen des Alltags, ins menschenleere Refugium zurücktrudelt, wenigstens, wie viele andere Menschen mit der gleichen Furcht sich in seiner Umgebung befinden bzw. befunden haben.

Die erwünschte Folge scheint eine, wenn schon nicht hilfreiche, so doch zumindest Kurztrost andeutende Gewissheit zu sein, dass man zwar durchaus in das furchteinflössende Leben hineingeworfen und zum schreckenserfüllten Dasein verflucht ist – aber wenigstens nicht als Einziger. Und das alles ohne die pulstreibende Pflicht, mit diesen Leuten nun womöglich reden, auf hohe Türme steigen oder im Fahrstuhl fahren zu müssen. Beängstigend durchdacht.


09.07.2006 | 10:15 | Was fehlt | Fakten und Figuren

Dezimal ist auch keine Lösung


Nochmal 17 Bier für mich und die Sinologiestudentin. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Wer kennt nicht diese Situation? Man hat in einem mörderisch angesagten Szeneclub eine überaus attraktive Person zu einem Getränk ihrer Wahl eingeladen und sie in amouröser Absicht in ein Gespräch über die Wu-Dynastie verwickelt.

Der Person, obwohl sie Sinologie studiert hat, ist nun entfallen, wann genau noch mal Sun Jun verstarb, und sie sucht in gespielter Verzweiflung nach der richtigen Jahreszahl, was sehr reizend aussieht. Man will der Person zu Hilfe eilen und ihr nonchalant die Jahreszahl "256" verehren, doch genau in diesem Moment legt der DJ eine neue Platte auf, deren eigentliche Wirkung sich nur bei maximaler Lautstärke entfaltet – ein Umstand, dem der Mann am Mixer unmittelbar Rechnung trägt. Unhörbar ist nun selbst die eigene Stimme und also auch unmöglich ist es jetzt, der Person aus ihrer Klemme zu helfen. Die Konversation stockt, und die Aussichten auf Geschlechtliches sinken rapide.

Gut beraten war indes, wer zuvor seine Finger binär sortiert hat. Weist man dem Daumen den Wert 1 zu, dem Zeigefinger 2, dem Mittelfinger 4, dem Ringfinger 8 und dem Kleinen Finger 16, so ist es mit ein wenig Übung und Additionsvermögen kinderleicht, mit einer Hand Zahlenwerte bis zum Wert 31 gestisch zu vermitteln. Nimmt man noch die andere Hand hinzu, so erweitert sich das Spektrum bis zum Wert 1023. Sollte das Thema im Laufe des Abends also noch auf Niederlothringen kommen, so ist man sogar für Fragen nach dem Todesjahr von Gottfried II. gewappnet. Einer gemeinsamen Nacht, in der andere Gesetze gelten, steht nun nichts mehr im Wege. Danke, binäres System!


07.07.2006 | 16:39 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Alles wird besser | Was fehlt | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Assoziationskettenmassaker: Behirne Gehirne!


Systemmeldungen auf Flickr als Beweis für irgendwas (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Heute vor 1000 Jahren fand die hellste Supernova der Welt statt. Sie leuchtete -9,5 mag hell, das mag auch die beeindrucken, die mag bisher für den österreichischen Titel mit der Bedeutung "ich habe zu Ende studiert" gehalten haben. Damit handelt es sich um die am wenigsten beeindruckende Abkürzung, die man dort an seinen Namen anflanschen kann. Schöner zum Beispiel: StGVKF oder NÖGKmtK/St. Der erste dieser beiden Orden kommt aus der Steiermark, einem Bundesland, dessen grösste kulturgeschichtliche Errungenschaft zweifellos das steirische Kürbiskernöl ist. Dieses ist nicht nur besonders reich an den tollsten Ölfeatures, sondern schmeckt auch hervorragend. Eine Eigenschaft jedoch wird oft genug unterschlagen, das Öl ist nämlich dunkelbraun, wenn es in grösseren Mengen auftritt, und wenn nur noch ein einzelnes Tröpfchen vorhanden ist, ist es grün. Es taugt damit hervorragend als reziprokes Sinnbildöl für ökofaschistische Parteien.

Ökofaschistisch nur ohne öko nennen bösartig Unterstellende die schon mal hier vorgestellte Partei BüSo. Deren Vorsitzende heisst nicht nur lustig – Helga Zepp-LaRouche – sondern tritt auch für Transrapid, Kernkraft und umfassende Kulturkontrolle ein: "Ständiges Behämmertwerden mit Gewalt, Pornographie und Techno-Lärm zerstört das Denkvermögen. Klassische Theater müssen sich wieder am gedanklichen Inhalt der von ihnen aufgeführten Werke orientieren". Der Zusammenhang zwischen zerstörtem Denkvermögen und Kultur ist aber nicht nur Thema bei der BüSo, sondern schon eine ganze Weile inspirierend für Dichter und Denker, zum Beispiel für Gottfried Benn, dessen Novelle Gehirne mit einer berühmten freien lyrischen Assoziationskette endet, angeschlossen an eine Erklärung der Hauptfigur Werff Rönne, die als teilweise autobiografisch angelegt verstanden werden muss. Gottfried Benn selbst starb exaxt heute vor 50 Jahren an den Spätfolgen der Supernova von 1006.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Assoziationskettenmassaker


02.07.2006 | 10:45 | Was fehlt

Statt eines Nachrufs auf Robert Gernhardt


Wenigstens etwas Persönliches von Robert Gernhardt
Stirbt ein Schriftsteller, Musiker oder Maler, kann man in den Tagen drauf zwei Sorten Nachrufe in den Feuilletons lesen: Die einen würdigen Werk und Person aus der Distanz, in den anderen ist mehr von persönlichen Begegnungen die Rede. Beide Nachrufformen gehen in Ordnung, auch wenn sich bei der persönlichen Form der Eindruck manchmal nicht verwischen lässt, der Nachrufer nutze den Anlass, um mehr über sich selbst zu schreiben als über den Toten.

So ist das auch bei Robert Gernhardt, der in der Nacht zum Freitag starb; Links zu seinen Nachrufen sind auf der aktuellen Titanic-Homepage zu finden, zu seinem Werk hier. Auch die Riesenmaschine gedenkt in diesen Tagen dieses herrausragenden Dichters, Schriftstellers, Zeichners und Malers. Einige ihrer Autoren verdanken ihm viel, manche sogar mehr. Man könnte hier also auch Persönliches berichten, wobei Gernhardt sicher nichts dagegen einzuwenden hätte. Der grosse Ich-Erzähler der deutschen Literatur liess selbst kaum eine Gelegenheit aus, sich selbst zum Thema zu machen. Weil er das ironisch gebrochen tat, las und hörte man das gerne.

Dennoch: Die Gefahr ist gross, ins Peinliche abzurutschen, erzählten wir hier etwas von unseren Begegnungen mit Gernhardt. Wir weisen lieber auf die schöne Suchmaschine Find a grave hin; gewissermassen ein Grab-Google, mit dem sich weltweit die Gräber berühmter Persönlichkeiten finden lassen. In der deutschen Abteilung sind bisher 609 Persönlichkeiten aufgelistet, darunter Wilhelm Busch, Bertolt Brecht und Theodor W. Adorno. "Find a grave" liefert nicht nur den genauen Bestattungsort des Toten, sondern meist noch eine kurze Biographie, Porträtfotos und Aufnahmen des Grabsteins.

Gernhardt hätte diese Seite wahrscheinlich gut gefallen, nicht zuletzt wegen des Witzpotentials, das in dem Internetfriedhof steckt. Bischof Dyba liegt hier friedlich neben Rudi Dutschke, Roy Black neben Hitlers Köter Blondi; Gernhardt selbst wird wohl demnächst nur ein Eintrag von Goethe trennen. Auch Alois Alzheimer wird gewürdigt, der Mann, der paradoxer Weise unsterblich wurde, weil er über das Vergessen forschte, und über den Gernhardt gerne Witze machte. Zu gerne hätten wir seine – wenn auch eher scherzhaft – angekündigten Alzheimer Gedichte noch gelesen. Eine Schande, dass das nicht mehr geht.

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


12.06.2006 | 16:49 | Was fehlt

Geld, Haare, Scherben


Hier war ursprünglich mal eine nicht rechtefreie Kleingeldabbildung zu sehen
Ach, die Abschaffung des Geldes – die einen fordern sie, die anderen glauben, dass sie eigentlich schon stattfindet, aber wir begnügen uns heute mal mit der Forderung, den Abschied vom Geld wenigstens leichter zu gestalten, nämlich durch die Aufstellung von Geldmülltonnen. Im fortschrittlichen Finnland wurde das unnütze Rotgeld gar nicht erst eingeführt, aber anderswo hat jeder Bürger wenige Jahre nach der Euroumstellung schon wieder geschätzte drei Schuhkartons mit Münzen zu Hause herumstehen. Die Bundesbank bezeichnet dieses Horten aus Mangel an Loswerdemöglichkeiten als Zwangssparen, und der dadurch aus dem Verkehr gezogene Kleingeldberg fehlt dem Staat so schmerzlich, dass 2004 bereits Kleingeld aus Österreich importiert werden musste. In Österreich türmt sich das Münzgeld nämlich wegen seines Südwandertriebes zu Bergen. Wenn man diese Geldströme wie Wasser aus Speicherkraftwerken zur Energiegewinnung nutzen könnte, liesse sich das Kleingeldkroppzeug damit immerhin auf ein handlicheres Format schrumpfen.

In einem ungooglebaren Dokumentarfilm über Eugen Egner war der Autor schon in den 90er Jahren in der Wuppertaler Gegend als Besitzer dreier Hausmülltonnen mit den Aufschriften "Geld", "Haare" und "Scherben" zu sehen, und wir möchten hiermit die deutschlandweite Aufstellung dieser vorbildlichen Entsorgungsbehälter anregen. Jedenfalls, so lange man uns Geräte, die aus Münzen Scheine machen und den selbstvernichtenden sorbischen Euro vorenthält.


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