Riesenmaschine

21.03.2008 | 12:39 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Zürich-Spezial I: Stadtstalagmiten


Stadtstalaktiten (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Gegenstück auf dem Bürgersteig. Obwohl täglich von Fussgängern begangen, wächst er schneller als jeder seiner Verwandten vom Land (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit einigen Jahren befindet sich eines der zähesten Vorurteile gegenüber der Grossstadt in Revision: der scheinbare Antagonismus von Stadt (als Brutstätte der Kultur) und Land (als Gastgeber der Natur) wird von Autoren wie Cord Riechelmann zunehmend unterspült. Längst weist die scheinbar lebensfeindliche Stadt eine grössere Artenvielfalt auf als das industriell bewirtschaftete Land. So leben alleine in der Stadt Zürich 1200 verschiedene Pflanzenarten – "viel mehr als ausserhalb der Stadt". Und da sind die 9000 verschiedene Arten sukkulenter Pflanzen der Sukkulentensammlung noch nicht einmal eingerechnet. Die Stadt ist also nicht nur kein Gegensatz zur Natur, sie ist auch das bessere Land. Einzig im Bereich der Tropfsteinhöhlen können Städte noch nicht mithalten, weshalb man bis heute weite Reisen in abgelegene und rückständige Gegenden auf sich nehmen muss, um Tropfsteine zu besichtigen.

Abhilfe schafft jetzt Zürich. An einem unscheinbaren Balkon eines Wohnhauses aus den 70er Jahren wachsen zur Zeit die ersten städtischen Tropfsteine. Begünstigt durch die mangelhafte Qualität der vorfabrizierten Betonteile tun sie dies sogar in einem für Tropfsteine atemberaubenden Tempo. Schaffen die Stalaktiten der Sophienhöhle gerade einmal zwei Zentimeter in hundert Jahren, sind die rund 30-jährigen Stadtstalaktiten bereits jetzt gut 10 cm lang und damit mit der mehr als fünfzehnfachen Geschwindigkeit unterwegs. Ein deutlicher Sieg des Urbanen – damit sind die Befürworter der teuren Subventionierung strukturschwacher ländlicher Gebiete um ein Argument ärmer – und die Stadt Zürich um eine Touristen-Attraktion reicher.

Reiseinformationen: Sihlfeldstrasse 138, mit Tram Nr.2 oder 3 bis Lochergut, rund um die Uhr geöffnet, kein Eintritt


20.03.2008 | 09:13 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Standort Zug


Hessen hassen oder herzen? (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das iPhone ist die Draisine des mobilen Internets: immer noch unpraktisch, aber wegweisend. Dazu der Rückgang des Festnetzes, die grossartigen Erfolge von Playstation Portable und Segway – kein Zweifel, die Gesellschaft wird immer mobiler, auch wenn verschiedene öffentliche Transportgesellschaften hart dagegen anstreiken. Die allermeisten Länder bis auf das manchmal bei Sturm schwankende Sealand verweigern sich jedoch diesem Megatrend und sind erschreckend immobil. Glückstreffer der Teilzeitmobilität treffen hier und dort einmal Länder, die günstig an Erdkrustenspalten gelegen sind, sonst liegen sie nur bewegungslos herum – kein gutes Vorbild in der globalisierten Welt, wo Mobilität von A nach B das A und O des wirtschaftlichen Forderungskatalogs ist. Das gewitzte Hessen aber ist einen Schritt weiter und hat flugs – oder sollte man sagen: zugs – nebenstehenden Aufkleber auf seine Züge gepappt: "Der Standort / gefördert durch das Land Hessen". Einen Zug zum Standort erklären – das ist die Zukunft, aber erst der Anfang! Förderung ist auch Beförderung. Globalisierung extrem: Länder zu Flugscharen! Beschleunigt die Kontinentaldrift! Ruht nicht, bis Ruhe abgeschafft ist und jeder Standort ein Fahrwerk hat.


15.03.2008 | 11:04 | Anderswo | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Neue, stromsparende Naturgesetze

Perpetua mobilia gehören zusammen mit benutzerfreundlichen Handys und Leuchtbettwäsche zu den Gadgets, die deutlich häufiger angekündigt als tatsächlich auf den Markt geworfen werden. An der mangelnden Nachfrage kann es nicht liegen, denn z.B. den Gratis-Energiespender "Orbo" der irischen Firma Steorn hätten wir gern und unverzüglich erworben. Leider zeigte sich das Gerät bei der ersten geplanten Vorführung im Juli 2007 recht störrisch, seitdem schweigt man bei Steorn.

Aber es muss ja keine Gratisenergie sein, wir wären schon mit einem stromsparenden Perpetuum mobile zufrieden, und das wurde zum Glück gerade in Kanada von Thane Heins erfunden. Die Heins'sche "Perepiteia" funktioniert nach demselben Prinzip wie "Orbo", nämlich irgendwie mit Magneten, und ist naturgemäss umstritten. Und da sie aus Kanada kommt, einem Land grosser Erfindungen, hat diesmal sicher alles seine Richtigkeit.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Insellösung


13.03.2008 | 14:30 | Berlin | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Dinge kleben an Orten


Strassenstrich: No Way! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gelbe wurstförmige Gefährte werden in Berlin momentan kaum gesichtet. Ein Ding namens Streik hält sie in ihren Depots. Mobilität wird jetzt in grossem Massstab über völlig statische gelbe Linien vermittelt, die den bewegten Raum klar umreissen. Das ist aus technologischer Sicht natürlich ein Fortschritt. So liessen sich diese Linien ob ihrer Zweidimensionalität problemlos faxen, oder so. Stichwort "Copy and Paste".

Diese neue Technologie ist allerdings noch durch Probleme in der Bilddatenverarbeitung eingeschränkt, woran dieses Beispiel einer grotesk zerpixelten Verflechtung von Radwegen am Frankfurter Tor gemahnt. Ordentlich schablonierte Doppellinien wandeln sich scheinbar willkürlich in binäres Gerausche. Konsequenz: Tradierte Ordnungen werden kunstvoll durchbrochen, Menschen werden von entgleisten Fahrrädern überfahren. Gegenüber ähnlichen Projekten ist der technische Aufwand überlegen gering. Da erübrigt sich doch die Frage: Quo vadis Berlin?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Minor Urban Disasters

Jan-Christoph Deinert | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


10.03.2008 | 13:53 | Anderswo | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Atavismen auf Schienen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

2,7 Promille bei 120 km/h (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Was dem gut angebundenen Grossstädter nur selten bewusst wird: Es ist keineswegs so, dass die Evolution auf Schienen eine binäre Monokultur von ICEs und Regionalexpressen hervorgebracht hätte, örtlich nur flankiert durch einige regional operierende und privatisierte Putzerfische. Dazwischen tummeln sich immer noch einige IC-Quastenflosser, die ihrerseits die DNA und das Zellmaterial der InterRegios – Gott hab sie selig – resorbiert haben. Wie in einer Zeitmaschine begegnet der Reisende darin vergilbten Waggons im Miami-Vice-Farbschema, die auch in der Bistro-artig lockeren Sitzanordnung noch ganz den Geist der frühen 80er atmen. Das irritierendste Detail dieser psychedelischen Erfahrung von Schienen-Atavismus aber: Durch den Zahn der Zeit sind die vertrauten Warnaufkleber im Zwischenraum der Doppelverglasungen heruntergerutscht und arrangieren sich am unteren Rand randomisiert neu. Es sieht ein bisschen aus wie postmoderne Kunst beziehungsweise wie in der Wohnung oder im Kopf eines Trinkers. Was das über den Zustand der Bahn und das Erbe der alten Bundesrepublik aussagt? Keine Ahnung.


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