Riesenmaschine

11.05.2007 | 09:33 | Anderswo | Was fehlt | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

teutographie mäde in ÜSÄ


Looks so falsch but feels so richtig (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Gut zehn Jahre, nachdem die "Fette Fraktur" unter viel "Aber, aber..." von Grafikdesignlehrern und teils spitzen Schreien von Kreativdirektoren durch grelle Farbgebung, experimentelle Handhabung und harsche Dekontextualisierung faktisch entnazifiziert wurde, haben die Typomanen von House Industries die Weiterentwicklung der längst wieder im Mainstream angekommenen gebrochenen Schriften in Angriff genommen. Die gestern erschienene Schrift Blaktur ist eine zackige gotische mit dekorativ-mutwilligen pseudo-diakritischen Punkten, die anderswo auf der Welt beim Betrachter offenbar ein fritziges Bratwurstfeeling erzeugen. Sie kommt nicht nur zum denkbar lustigsten Zeitpunkt, erwägt doch gerade die Zeitung für Deutschland, ihre Titelschrift abzuschaffen – sondern auch mit einem "umlaut randomizer" und Alternativ-Schnitten, deren offene Versalien und Lang-s sich für die Hausindustriellen so anfühlen wie "a bunch of archaic letter forms that only a 16th century German papal scribe could decipher". Nun fehlt eigentlich nur noch eine aufgebohrte Version des umlaut randomizers, die auch ein bis drei getürmte diakritische Punkte oder zwei unterhalb der Grundlinie erzeugt – fertig wäre der perfekte Zeitgeistfont für deutsche Nationalisten mit Kufiya, die Brot- und Pideschrift für die Fans von Fler und Bushido.

Dieser Beitrag ist ein Üpdate zu: Ünd mörgen die gänze Welt

Natascha Podgornik | Dauerhafter Link | Kommentare (17)


09.05.2007 | 18:22 | Anderswo | Supertiere | Zeichen und Wunder

Weniger tot als ein Dodo


In other news.
Foto: queso.monkey') (Lizenz)
Der Drache, den Trurl und Klapauzius, Lems Robotkonstrukteure, aus zwei negativen Drachen kreuzen, richtet allerlei Schaden an. Obendrein hatten sie vergessen, das Tier (Bestand ~1) auf die Liste der bedrohten Tiere zu setzen, um sich so das Wohlwollen der Bevölkerung zu sichern. Glücklicherweise geht man in unserer Welt bedeutend umsichtiger vor, wenigstens in Kanada, wo nun Bigfoot (Bestand < 0.05) auf der Liste der bedrohten Tiere landen soll. Vielleicht könnte Herr Lem aber auch noch eine Geschichte über Tiere schreiben, die durch blosse Medienmanifestation zu wirklichen Wesen werden. Oder halt sein komplex-imaginärer Teil mit dem von Lewis Carroll.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Endlich: Bigfoot hat einen Namen


09.05.2007 | 01:29 | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

REM goto theory


Die Herrschaft des Reptiliengehirns über den Menschen (Foto: kaptainkobold) (Lizenz)
Die Theorie, der Traum des schlafenden Wissens, ist das bunte Vehikel, mit dem die leidenden, leidenden Menschen ein wenig Sinn und Verstand in den Wirrwarr Welt zu karren hoffen. Wer eine Theorie deshalb zuerst fragt, ob sie denn auch wahr sei, tut ihr schon unrecht. Wichtiger ist, ob sie schöne Augen hat und ein gutes Herz, als Beispiele seien Velikovskys Planetenbillard und Jaynes' bikameraler Bewusstseinsursprung genannt, bei Charles Fort und seiner Gefolgschaft findet sich unerschöpflich Weiteres.

Und obwohl es schon so viele schöne, falsche und schön falsche Theorien gibt, kommen immer noch neue dazu. Die ungeklärte Frage zum Beispiel, warum der Mensch träume, und vor allem, warum er so wirren Scheiss träume, erklärt jetzt eine italienische Forschergruppe damit, dass der REM-Schlaf mit seinen Augenbewegungsorgien sich beim niedrigen Leben zur Verfestigung einfacher sinnlicher und Bewegungserfahrungen entwickelt habe, und bei uns dann eben nur noch Teile des Reptiliengehirns anspricht, die dann weiter oben traumförmige Assoziationskettenmassaker auslösen. Belegt wird diese traumhafte These mit subtilen Beobachtungen der Augenbewegungen eines einzelnen Patienten, also eigentlich gar nicht. Und so soll es ja auch sein.


08.05.2007 | 10:07 | Berlin | Zeichen und Wunder

Streuverlustangstfrei


Kryptosponsoring (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Sponsoring ist ein beliebtes Marketinginstrument, weil es allen Beteiligten famose Vorteile bietet. Sponsoren und Gesponserte tauschen Geld gegen Image und können so dem begeisterten Zuschauer Qualitätsgetöse zeigen. Der Wert für den Sponsor besteht in Bekanntheit und Sympathiesteigerung für sein Produkt. Einer der zentralen Vorteile des Sponsoring ist der geringere Streuverlust durch interessenspezifische Ansprache. Streuverlust ist, wenn man mit jemandem kommuniziert, den das überhaupt nicht interessiert. Man hat inzwischen wissenschaftlich herausgefunden, dass Menschen, die auf Damentennisturniere gehen, sich überproportional häufig für Damentennis interessieren – im Marketing ist es sehr wichtig, seine Zielgruppe so gut wie möglich zu kennen.

Und man könnte hier noch hundert Seiten Marketingfachliteratur paraphrasieren, es würde kaum den Sinnschock mildern, dass ein katarisches Telekommunikationsunternehmen ein Berliner Damentennisturnier sponsert und dafür die ganze Stadt mit teuren Plakaten vollhängt. Wen möchte Qatar Telecom damit erreichen und warum? Es gibt nicht mal eine deutschsprachige Website. Haben wir hier einen seltenen Fall von pathologischem Übersprungssponsoring? Nein, die Lösung ist sicher eine politische: Qatar Telecom möchte den Imageschaden durch die halbherzigen Zensurbemühungen ausgleichen. Die Zielgruppe soll denken "Gut, den Chat haben sie damals gesperrt, aber jetzt dieses superbunt plakatierte Damentennisding – inzwischen hab' ich sie richtig liebgewonnen und würde ihre Produkte kaufen! Wenn es sie hier gäbe." Potenzielle Kunden waren gestern; willkommen im Zeitalter der hypothetischen Kunden.


06.05.2007 | 14:25 | Zeichen und Wunder

Herrgott (gebraucht)


Quaeram te, domine, ich will dich suchen, o Herr: Kleinanzeigen in Deggendorf. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Schlimmer als alle Atheisten und Häretiker sind für den Christenmenschen jene Glaubensgenossen, die sich für frömmer halten und anderen Leuten ihre Frömmigkeit madig machen wollen. Ikonoklasten beispielsweise sind Vertreter dieser lästigen Spezies: Bloss keine Bilder von Gott, denn das ist unfromm, das ist verweichlichter Monotheismus und Idolatrie! Das Konzil von Trient formulierte dagegen in dieser Streitfrage abschliessend, dass Gott schliesslich in Jesus Christus Mensch und somit als Person anschau- und abbildbar geworden sei – ergo: man male, bastle, schnitze und schraube sich seinen Herrgott und alles ist gut, sofern die Ikonizität nicht völlig danebengreift. Darum sind auf dem bayerischen Land sämtliche Wege und Strassen mit religiösem Anschauungsmaterial gesäumt, sogenannten Marterln. Doch das reicht nicht. In die Welt hinabzusteigen und sich in irdische Zustände zu begeben, heisst nicht nur, dass man nicht durchweg unsichtbar sein soll. Man ist auch automatisch eingewoben in das Geflecht von Markt und Handel. Das Göttliche hat sich also auch vermarktbar gemacht – was einem aus Frömmigkeitsgründen dann bekanntlich die Ablassgegner versaut haben. Wacker hält sich auch hier das katholische Niederbayern: Nebst Ablassutensilien kann man auch den Herrgott kaufen und verkaufen. Sogar gebraucht und restaurierungsbedürftig. Als Kruzifixcorpus halt. Vielgötterei ist schliesslich etwas für Messies, man wird seine gebrauchten Götter dann doch lieber wieder los – und anstatt abgenutzte Corpora ins Osterfeuer zu werfen, sollte man heute im Zeitalter von Kleinanzeigen und Ebay doch eher barmherzig an jene denken, die eines Herrgotts bedürfen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Lumen de lumine

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


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