Riesenmaschine

31.03.2007 | 09:50 | Sachen kaufen | Papierrascheln

Wider das Warten


Auf dieses Faltset haben wir grade noch gewartet. Ungeduldig. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Ständig muss man auf irgendwas warten. Den Bus, den Gerichtsvollzieher, den Tod eines Haustiers, zum Beispiel eines Fisches. Darauf, dass das Gehirn den über Tag angefallenen Müll abräumt. Darauf, dass die Sopranos endlich anfangen, zuende zu gehen. Würde man die Wartezeit aller Menschen aneinanderkleben, sie reichte von der Erde bis zum Saturn und wieder zurück eine lange Luftschlange aus vertaner Zeit, die im Weltraum verweht. Dabei ist das ja Quatsch. Weil morgen zwar alles besser sein wird – selbst gestern wird morgen besser sein, denn so sind die Gesetze des universellen Fortschritts eben gedrechselt – aber morgen ja auch kommt, wenn man gar nicht drauf wartet, sondern stattdessen zum Beispiel einen doofen Brunnen baut oder Uhren suchen geht am Strand.


30.03.2007 | 20:11 | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Unfreundliche Übernamen


Autsch! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die final nicht zu erklärende Neigung von Friseuren, bei der Benamsung ihrer Etablissements zum schlechten Wortspiel zu greifen, ist als Topos hinlänglich gut etabliert und damit sicher nichts, womit sich die Riesenmaschine befassen müsste. Allenfalls können wir den mutmasslichen End- und hoffentlich damit auch Totpunkt dieser Entwicklung verzeichnen, den ein Mannheimer Friseur gesetzt hat, indem er dem mässig originellen Namen "Notaufnahme" ohne erkennbare Not auf der Schaufensterscheibe noch ein "Hair einspaziert" beigesellte. Danach kann wirklich nicht mehr viel kommen. Schwerer wiegt, dass derlei marottenhafter Irrsinn nach wie vor auch auf Unternehmens- und Konzernebene grassiert. So wird vermeldet, dass der Karstadt-Quelle Konzern sich für sicher kein kleines Geld von einer Namensfindungsagentur als zukünftige Firmierung das sperrige Kunstwort "Arcandor" hat andrehen lassen. Mal abgesehen davon, dass die Assoziation von Arkanpolitik nicht gerade das ist, was als zeitgemässes Unternehmensleitbild durchgeht, weckt die schmierige Endung unheilige Erinnerungen an im Prinzip alles, was mit der New Economy zielstrebig Bauch oben gegangen ist. In dieser Hinsicht "ein typischer 90er-Jahre-Name", wie selbst dem Handelsblatt auffiel. Vor allem aber klingt es reichlich suspekt nach irgendetwas aus "World of Warcraft", und ist es wohl tatsächlich auch. Warum tun Menschen so etwas? Und warum schmeissen sie statt dessen nicht einfach den kostenfreien Web 2.0 Name Generator an? Jeder Name, den diese zauberhafte Website ausspuckt, wäre unterhaltsamer, sprechender und zeitgemässer, als dieser aufgeblasene Niedergang. Auch Friseure dürfen diese Seite übrigens benutzen.


30.03.2007 | 09:26 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Von Himmel hoch


Wenn Sterne explodieren, gucken manche hin, andere weg. (Foto: ridinfast) (Lizenz)
Das Universum ist ein Dorf. Wenn irgendwo ein Sack Goldbarren (warum immer Reis?) umfällt und dadurch ein sehr grosser Stern zum Explodieren angeregt wird, kriegt es auch der letzte Chilene mit. Genau dies nämlich ereignete sich im April 2006. Eine katastrophale Explosion spielte sich ab, allerdings in einem Teil des Universums, der so weit entfernt ist, dass, ach, das kann man sich ja denken. Ein Satellit auf der Erdumlaufbahn horchte auf. Und nur acht Minuten später ging in der Wüste in Chile ein Alarm los und ein Riesenteleskop begann sich zu drehen. Nicht etwa, um in Deckung zu gehen (dafür wäre es dann doch zu spät gewesen), sondern um todesmutig den Nachhall der Explosion aufzufangen und auf eine Festplatte zu schreiben. Somit kann jetzt ein Stern am Rande des Universums ohne menschliches Zutun mit einem Fernrohr in Chile kommunizieren (das zwar zuhört, aber nicht antworten kann). Warum die Information von der Festplatte in Chile dann nochmal fast ein Jahr brauchte, bis sie den Weg in die Öffentlichkeit fand, gehört zu den wenigen Geheimnissen von Dörfern.


29.03.2007 | 23:19 | Nachtleuchtendes | Alles wird besser

Ureysuppe (verbesserte Rezeptur)


Wenn das Leben da rausgekrochen kam, muss man sich dann noch wundern? (Foto: basak) (Lizenz)
Viele Produkte, die der Mensch sich in den Mund stecken und dann zu teigigem Brei zerkauen soll, haben Sternchen auf die Verpackungen draufgedruckt, in denen dann oft Sachen stehen wie "Neu! Jetzt mit Geschmack! oder "Neu! Jetzt! Total! Viel! Vitamin! C!" oder auch einfach nur Ausrufezeichen ganz ohne Text, der Kunde weiss dann schon. Man nennt das Werbung, und wenn man wittert, dass nur in den seltensten Fällen tatsächlich irgendwas Relevantes am Rezept geändert wurde, wird man schon recht haben.

Anders beim Conveniencefood Ursuppe. Die wurde 1953 erstmals unter grossem Bohei in Chicago gebraut, 1983 mit verbesserter Gasrezeptur dann nochmal. Aber wo sich 1953 noch schwupps Aminosäuren gebildet hatten, passierte 1983 gar nichts. Ha, riefen die Kreationisten, kein Schwupps gesehen, keine Evolution und triumphierten jahrzehntelang vor sich hin. Jetzt wurde das Rezept für Ursuppe nochmal verbessert – Neu! Jetzt mit noch mehr Eisen! – und die Aminosäuren sind zurück. Das heisst natürlich nicht, dass wir auch wirklich aus einem Teller Ursuppe gekrochen sind, damals, das ist nach wie vor nur eine Theorie (genauso wie die Sache mit den nach unten fallenden Dingen). Aber kaufen könnte man schon mal ein paar Dosen davon. Ausrufezeichen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Urey lebt


29.03.2007 | 16:42 | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser | Was fehlt

Tintenfischmillionen

Der gemeine Tintenfisch ist ein ungemein vielseitiges Tier, aus dem man alles Mögliche machen kann: Aufblasbare Kinderrutschen, Kopfmassagegeräte oder Handtaschen. In Amerika schmeisst man ihn auch gelegentlich aufs Eis und glaubt, das bringe Glück. Die Amis eben. In Hongkong benutzt man den Fisch zum Bus- , Tram- und U-Bahnfahren: Die Octopus-Card ist eine Smartcard, auf die man eine gewisse Summe Hongkongdollar lädt. Bei Fahrtantritt hält man sie vor ein Lesegerät, das einem das Fahrgeld dann von der Karte abzieht. Das ist nicht nur extrem praktisch, sondern spart auch viel Zeit. Damit sich aber der ganze Vorgang nicht gar so vernünftig gestaltet, haben die Hongkonger Verkehrsbetriebe (MTR) in der ganzen Stadt so genannte Fare Saver versteckt. An diesen Säulen kann der Passant seinen Tintenfisch aufladen, ohne etwas zu bezahlen: Ganze zwei Hongkongdollar spendiert die MTR pro Smartcard. Die Fare Saver sollen angeblich der Volksgesundheit dienen, weil sie die Hongkonger zum Laufen animieren (zum Fare Saver nämlich). Sie regen aber auch den Orientierungssinn des Ortsfremden an, denn die spendierten zwei Dollar gelten nur, wenn man seine nächste U-Bahn-Fahrt von einer ganz bestimmten Station aus startet; ansonsten verfällt die aufgeladene Summe.

Zugleich eröffnen die Fare Saver findigen Start-Uppern neue Geldmachmöglichkeiten. Hier sieht man einen Hongkonger am Fare Saver an den Midlevels-Rolltreppen gleich einen ganzen Stapel von Octopus-Karten aufladen, die er wahrscheinlich in einem Grossraumbüro oder einer gut besuchten Garküche eingesammelt hat. Offenbar ist der Mann schon länger im Geschäft, denn er wurde an selber Stelle schon im Oktober 2003 beobachtet. Erhält er von den Kartenbesitzern für jede aufgeladene Karte täglich auch nur ein paar Cent von den 2 Dollar, dürfte er in der Zwischenzeit ein kleines Vermögen angesammelt haben. Und morgen kauft er sich von seinen Tintenfischmillionen eine deutsche Maschinenbaufabrik oder Drogeriekette, während BVG, RMV, HVV usw. lustig weiter schlafen. Deutschland eben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Octopus's Grave

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (5)


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