Riesenmaschine

15.10.2008 | 08:55 | Alles wird schlechter | Was fehlt

Turn, baby, turn


Hat auch mal Verwirrung gestiftet und damit eine Wende ausgelöst: Günther Schabowski (Quelle) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Früher musste alles fliessen, heute muss sich alles wenden. Weil epistemic, linguistic und conceptual turn schon etwas länger her sind, besteht in der ananlytischen Philosophie dringender Bedarf nach einer neuen Wendemöglichkeit. Glücklicherweise gibt es seit geraumer Zeit X-Phi. X-Phi hat die schönen Intuitionen der Philosophie zu wichtigen Themen wie Scheunenattrappen und Kurt Gödel mit empirisch-sozialwissenschaftlichem Methodenschmutz beworfen und damit soviel Verwirrung gestiftet, dass ein turn in greifbare Nähe gerückt ist.

Unsicherheit herrschte bisher allerdings noch, welchen Namen er tragen soll: experimental turn? psychological turn? Das Erkenntnistheorie-Weblog Certain Doubts hat jetzt einen Vorschlag in die Diskussion eingebracht, der sich vermutlich durchsetzen wird: Dort nennt man die ganze Chose in Anlehnung an einen Text von Eric Schwitzgebel "genetic turn". Das Adjektiv "genetic" bezieht sich dabei nicht aufs Erbgut, sondern auf die Genese, jene junge, wilde Schönheit, die man uns schon in der Schule verboten hatte, mit ihrer etwas drögen, aber sympathischen Freundin Geltung zu verwechseln.

Die genetische Wende ist, jetzt, wo sie endlich einen Namen hat, natürlich höchstbedauerlich. Man kann ja schon kaum mehr mit Krethi und Plethi über Beziehungsprobleme oder Fussball diskutierten, ohne sich dauernd die Genese seiner Argumente vorwerfen zu lassen, geschweige denn mit Krethi- und Plethi-Poststrukturalisten. Nun fällt mit der analytischen Philosophie auch noch die letzte Bastion der Geltung. Wir flaggen Trauer, erkennen aber an, dass sich eben alles wenden muss und dass nie jemand was von "zum Guten" gesagt.


12.10.2008 | 17:48 | Fakten und Figuren | Essen und Essenzielles

Schokolade hilft nicht ist eine Nachricht


Schutz vor Herzerkrankungen (Serviervorschlag).
Quelle: feastguru_kirti (Lizenz)
Zur wöchentlichen Wurst einer Wissenschaftsredaktion gehören Geschlechtsdimorphismen, niedliche aussterbende Tiere und Schokolade. Kürzlich wurde beispielsweise bejubelt, dass italienische Forscher ein niedrigeres Risiko für Herzerkrankungen durch den täglichen Genuss von 6,7 g dunkler Schokolade ausgemacht haben.

Das tendenziös, verklärte Medienecho zu Schokolade fordert eine kritische Berichterstattung zu ihrer dunklen Seite; wir tun daher unsere Pflicht zur Aufklärung im Folgenden und arbeiten die Nachrichten aus der Schokoladenforschung auf.

Sonst nimmt am Ende niemand wahr, dass die Dreingabe eines Schoko-Riegels (70% Kakao) bei norwegischen Physiotherapeuten keine Verbesserung des Rücklaufs von Fragebögen erzielte. Oder alle verpassen ihre Rolle als Auslöser von Migräne und die schockierenden Erkenntnis, dass das Verlangen nach Schokolade die geistigen Leistungen von australischen Studentinnen negativ beeinflusst.

Ergebnisse zu Trauben-Nuss liegen noch nicht vor.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Island, deine Riegel


10.10.2008 | 09:14 | Berlin | Nachtleuchtendes

Pelzgraffiti


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Angesichts der Kunsthandwerkisierung der Street Art und der Verschmelzung mit der Crafting-Bewegung (um mit Knitfiti nur ein Beispiel zu nennen) war das Auftauchen von Pelz-Graffiti nur eine Frage der Zeit. Wir geraten dementsprechend wenig aus dem Häuschen darüber, vermelden statt dessen emotionslos, ohne Ira und Studio und ausschliesslich, um unserer Chronistenpflicht genüge zu tun, die Sichtung ergiebiger Vorkommen dieser neuen Spielart mit – was sonst? – flauschigen Tiermotiven in der – wo sonst? – Auguststrasse in Berlin. Wir werden nicht wider die verwahrloste Verweichlichung der Strasse wettern. Auch den naheliegenden Vergleich mit Katzencontent im Internet verkneifen wir uns vorbildlich. Dafür bleibt uns Makrameeeulengraffiti dann aber erspart. Abgemacht?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Konservative Wände


07.10.2008 | 12:33 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Saturnbau jetzt noch schneller


Saturn in modernen Farben. Credit: NASA/JPL/University of Arizona
Es mag überraschend klingen, aber wir wissen noch nicht richtig, wie Rätselplanet Saturn entstanden ist, obwohl die meisten von uns zumindest 100%ig davon überzeugt sind, dass er existiert. Die Grundidee stammt überraschenderweise aus dem 18. Jahrhundert von Leuten wie Laplace und Kant, die meinten, dass Planeten aus einem scheibenförmigen "Nebel" entstehen, der die Sonne umgab, als sie noch jung war. Das grobe Szenario muss man sich so vorstellen wie das Zusammenklumpen von Staubmäusen unter dem Bett, nur ganz anders: Winzige Staubteilchen stossen zusammen, wachsen zu grösseren Klumpen, die dann durch Kollisionen mit anderen Klumpen und durch Zusammensammeln von Gasteilchen immer mehr zu dem werden, was man Planeten nennen könnte. So weit, so gut.

Das Problem dieses hervorragenden Szenarios: Es funktioniert zwar, braucht aber zu lange, um so etwas wie Saturn hinzukriegen. Junge Sterne sind in der Tat von Scheiben aus Staub und Gas umgeben, den Resten der Wolken, aus denen der Stern mal entstand; diese Scheiben leben allerdings nur maximal so 5 Millionen Jahre, was sehr lange klingt, aber Planetenentstehung dauert länger, jedenfalls im Modell. Jetzt, beziehungsweise letzten Freitag, erfährt man von einer neuen Arbeit, die es mit relativ geringen Anforderungen an das Baumaterial in der Scheibe schafft, Saturn in nur dreieinhalb Millionen Jahren zusammenzubauen. Das ist schnell genug. Die Existenz Saturns damit gerechtfertigt, sein dämlich-ewiges Herumkreisen um die Sonne akzeptiert. Als nächstes müssen wir uns um Uranus kümmern.


05.10.2008 | 15:50 | Fakten und Figuren

Gelöst: Das Rätsel des Rattenkönigs


Baumkönig (Foto, Lizenz)
Schändlich von der Fachliteratur übersehen wurde eine fundamentale Implikation der gerade mit dem Ig-Nobelpreis für Physik ausgezeichneten Publikation Spontaneous knotting of an agitated string von Dorian M. Raymer und Douglas E. Smith: Wir sind einen Schritt weiter in der theoretischen Erforschung des Rattenkönigs. Wie alle wissen, handelt es sich bei Rattenkönigen um Klumpen an den Schwänzen verknoteter Ratten, grausame Unglücksfälle, von denen weltweit so cirka 30-60 dokumentiert sind. In der diesbezüglich wegweisenden Schriftensammlung Lexikon des Unwissens (ab November als Taschenbuch erhältlich) wurde zum ersten Mal der Rattenkönig mit der weit häufiger beobachteten Erscheinung des Kabelsalats in Verbindung gebracht – dicht gedrängt lebende Ratten werden durch äussere Einflüsse in Hektik versetzt, rennen wild durcheinander, folglich Verknotung, dadurch mehr Hektik und mehr Knoten. Ein wichtiger Transfer, sind Kabelsalate doch wesentlich einfacher im Labor zu untersuchen als Rattenknoten.

"Wesentlich einfacher" bedeutet allerdings leider nicht, dass es auch wesentlich häufiger geschieht: Genauso wie die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen zum Rattenkönig liegt die der einigermassen realistischen Experimente zum Kabelsalat tief im einstelligen Bereich. In einem davon jedoch gelingt der Nachweis, dass die Dauer bis zur Knotenentstehung nahezu unabhängig von der Länge des "Kabels" ist, wenn diese 16cm überschreitet, während die benötigte Zeit zur zufälligen Entknotung rapide mit der Länge ansteigt. Daraus folgt: Sind die Schwänze der Ratten nur lang genug, sind Rattenkönige ein unausweichliches Produkt der Natur.


Rattenkönig idealisiert (Foto, Lizenz)
Weiterhin wenig verstanden sind jedoch die Faktoren, die die spontane Knotenbildung in Schnüren jeglicher Art kontrollieren. Die Nobelpreisarbeit kommt hier einen Schritt weiter: Knoten werden erzeugt (durch die traditionelle Labortechnik des Schüttelns), dann fotografiert und anschliessend mathematisch analysiert. Nur ein Beispiel für die erstaunlichen Ergebnisse: Fast alle der beobachteten 3415 Knoten sind Primknoten, die Primzahlen unter der Knoten, also solche, die topologisch unzerlegbar in andere Knoten sind, aber das nur nebenbei.

Zum ersten Mal schlagen sie ein mathematisches Modell für den Kabelsalat und damit den Rattenkönig vor, das sowohl analytisch als auch in einer numerischen Simulation die Versuchsergebnisse qualitativ reproduziert. Interessanterweise beruht ihr Modell auf der Annahme, dass sich zur Knotenbildung eines der Schnurenden in einer Wellenbewegung hin- und herbewegt, das andere aber unbewegt bleibt, eine hervorragende Beschreibung für gewöhnliches Schwanzwedeln. Es bleibt nichts anderes übrig als zu schlussfolgern, dass Rattenkönige eine topologische Idealisierung des gewöhnlichen Kabelsalats darstellen.


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