Riesenmaschine

27.08.2008 | 11:35 | Was fehlt

Feiertage des Alltäglichen


Traditionell wird am Weltlangeweiletag der Tumbleweedbaum festlich geschmückt (Foto, Lizenz)
Im Auftrag der Blumenindustrie arbeitet eine international besetzte Kommission an der Erarbeitung eines neuen Feiertags, der sich, so das Briefing, durch einen ausgeprägten Alltagsbezug auszeichnen soll. Der Riesenmaschine liegt exklusiv die Shortlist vor.

Am Tag des Missverständnisses macht man seinen Liebsten kleine Geschenke. Die Wünsche schreibt man allerdings nicht auf einen Zettel, sondern tanzt sie vor, Nachfragen ist dabei verboten. Am Weltwartetag haben fast alle Arbeitnehmer frei, dafür sind Arztpraxen, Ämter, Friseursalons und Behörden den ganzen Tag geöffnet. Ausserdem herrscht ein striktes Auto- und Fahrradfahrverbot, die öffentlichen Verkehrsmittel laufen selbstverständlich nur im Feiertagsmodus. Der Tag der unnötigen Wege wird mit einer kurzen Parade begangen, die im letzten Moment von den Veranstaltern ans andere Ende der Stadt verlegt wird, was die Besucher aber erst vor Ort erfahren. Später gibt es ein Abschlusskonzert, allerdings am ursprünglichen Startort, weil dort die Akustik besser ist. Am Weltlangeweiletag treffen sich die Menschen zur Beobachtung des Jupiterumlaufs (12 Jahre), einem Besuch im Paarhufer-Zoo (78 sehr ähnliche Antilopenarten), ausführlichen Diskussionen über Anlage GSE (Steuererklärung) oder zu Maumau-Turnieren. Über öffentlich aufgestellte Lautsprecher läuft ganztägig eine sehr monoton vorgetragene Lesung des Zauberbergs. Der Tag der Prokrastination soll hingegen dazu genutzt werden, Social-Web-Nutzerprofile zu pflegen, den Kühlschrank gründlich zu reinigen oder endlich mal das gesamte Internet durchzulesen. Er gehört zu den beweglichen Feiertagen und wurde von der Kommission auf "nächste Woche" terminiert.


21.08.2008 | 05:05 | Berlin | Was fehlt | Zeichen und Wunder

Der neue Berliner Google-Map-Bericht liegt vor


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Im März 2007 beklagten wir den kargen Stand der Kartographierung Deutschlands mit Hilfe von selbsterstellten Google Maps. Zeit zu schauen, was seitdem passiert ist, anhand des zufällig gewählten Beispiels Berlin: Vorbildlich, aber selten, sind umfangreich gestaltete Mash-Ups wie die für eine Street-Art-Ausstellung erstellte Graffiti for God-Map, die bequem vom Himmel aus einsehbare Flachdachgraffitis auflistet, oder das klassisch gestaltete ÖPNV-Tool Überbahn. Gleich zweimal am Start: die Visualisierung des RSS-Feeds der Berliner Polizei: Der Blaulichtatlas und Pretty Crime können die Verbrechen jeweils nach Art und Zeitpunkt filtern, zudem gelangt man von der Karte direkt zu den stets markant betitelten Tickermeldungen – warum auf beiden Karten trotz gleicher Quelle weitestgehend verschiedene Verbrechen zu sehen sind ist hingegen, ach, man soll auch nicht immer alles hinterfragen.

Ergänzt wird das Angebot durch zahlreiche nur bei Google Maps einsehbare Karten ohne Website drumrum, die vor allem auf einen spröden DIY-Charme setzen. Besonders gelungen ist das bei den rührenden Map Air Tempelhof – Treffpunkte, die aus genau vier Orten besteht: Dem Hangar, dem GAT, dem Meeting Point am Flugplatz Finow und dem Geschäftssitz am Werner-Voss-Damm. Auch Kirchenligasportplätze, Fachmarktagglomerationen, die Schülerlabore des Netzwerks GenaU, Hitlers Berlin, Second Hand Bike Shops, Random Museums, Frühstückscafés, Babyläden, Obi@Berlin, Strassennamen mit Bezügen zum Kolonialismus in Berlin und vieles mehr ist bereits vergooglemappt.

In der Breite ist man also bereits gut aufgestellt, dennoch bleibt einiges zu tun. Als Notversorgungsprogramm bis Jahresende wären angebracht: Eine Map "Doofe Nachbarn", die man vor Umzügen konsultieren kann. Fähnchen in verschiedenen Farben warnen vor "mehrere Polkaabende pro Woche", "Kinder mit Betonschuhen", "Ausleihterror" usw. Eine Unrat-Map, auf der man Sperrmüll und Hundekot vermerken kann und die stündlich von der BSR gegengelesen und bereinigt wird. Dazu Karten mit Sam+Max-Memorabilia-Bezugspunkten, öffentlich zugänglichen Brombeervorkommen und Stellen, an denen man Igeln unauffällig Nahrung hinterlegen kann – und zwar nicht nur für Berlin, sondern auch für den Rest des Landes.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Brandneues Mash-Up


16.08.2008 | 13:16 | Anderswo | Alles wird besser

Forestle – Gefunden!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Einmal Googeln verbraucht so viel Strom wie eine Stunde Glühbirne brennen lassen, und dann hat man noch nicht mal Licht. Oder so ähnlich oder so ähnlich oder so ähnlich. Man ahnt, dass der verantwortungsbewusste und ressourcenschonenende Umgang mit dem Internet bald zum Megathema wird, nämlich genau dann, wenn sich der Individualverkehr mit dem Durchbruch des Wasserstoffautos aus der Schusslinie genommen hat, also schon 2009. Bis dahin muss man sich mit den aus dem Flugbereich beliebten Gute-Gewissen-Freikauf-Programmen behelfen: Die neue Suchmaschine Forestle etwa verspricht die kostenlose Rettung von 0,1 m² Regenwald bei jeder Suchanfrage (so funktioniert es), womit eine "Regenwaldfläche der Grösse Ihres Bildschirms für die Ewigkeit bewahrt" wird, iPhone-Nutzer scheiden als Zielgruppe also aus. Zwar wurde das Prinzip "nutze unser Produkt und rette damit soundsoviel Regenwald" durch die Krombacher-Aktion und ihre Wiederauflagen etwas ins Lächerliche gezogen, und man kann sich selbst klar machen, wie wenig 0,1 m² im Vergleich zur weltweiten Regenwaldgesamtfläche sind. Aber andererseits kommen bei Forestle ganz normale, handelsübliche Google-Suchergebnisse heraus und es gibt zusätzlich sogenannte Indikatoren, die vielleicht auch irgendwer sinvoll nutzen kann, also warum eigentlich nicht. Einziger Schwachpunkt bleibt der dumme Name, der, wie auf der Seite erklärt wird, "eine Mischung aus dem englischen Wort 'Forest' (Wald) und aus dem Markennamen unseres Suchpartners 'Goog-le'" sei. Denn wer will schon forestlen? Da hätte man die Seite auch Forgoog nennen können. Oder Googest, Forrel, Restle, Woodle oder Gumple.

Beim Schreiben dieses Beitrags wurden übrigens 1,6 m² Regenwald für die Ewigkeit bewahrt. Das ist eine Fläche von der 16fachen Grösse Ihres Bildschirms.


14.08.2008 | 01:43 | Berlin | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Konservative Wände


Foto mit freundlicher Genehmigung von Nomsa Buchholz, von der wir auch die Idee haben.


Graffiti- und Street-Art-Künstler sind die weissen Ritter der steten urbanen Neuerfindung, die Adepten des Temporären. Denn während andere Kunstrichtungen darauf angelegt sind, für Jahrhunderte in Museen zu hängen oder zu stehen, ist in der Street Art schon im Moment des Schaffensprozesses klar, dass die Werke nur eine begrenzte Lebensdauer haben. Nur wenig später werden sie Malern, Plakatklebern, Reinigungsfirmen, Abriss, Witterung oder anderen Sprayern zum Opfer fallen, dann muss wieder was Neues her. Daran hatte auch die vereinzelte Domestizierung durch die Museumskultur, von Basquiat bis Banksy, nichts ändern können. Bisher. Doch jetzt steht eine Wende an: In der Oppelner Strasse in Kreuzberg wurde an eine frisch gestrichene Hauswand ein Foto der Hauswand im alten Zustand aufgehängt, als Erinnerung an die verloren gegangenen, übermalten Tags.

Nostalgie statt Zukunftsglauben, Konservativismus statt Veränderung – es ist klar, wohin das führen wird: Wenn in einigen Jahrzehnten die Sprayer den Gang durch die Institutionen vollzogen haben, wird Street Art unter Denkmalschutz stehen. Es wird Bauvorschriften geben, nach denen Neubauten zu mindestens 60 Prozent besprüht und beklebt sein müssen. Haussanierungen werden von promovierten Kunsthistorikern überwacht, die bis auf den Monat genau die verschiedenen Graffitistile der Jahrtausendwende unterscheiden können und sicherstellen, dass die originalen Farben und Auftragstechniken Verwendung finden. Ganze Industriezweige werden von diesen Massnahmen leben und die Deutsche Post wird es überhaupt nur noch geben, weil sie das Verkaufsmonopol auf Paketaufkleber hält. Gleichzeitig wird sich eine subversiv angehauchte Jugendkultur bilden, deren Vertreter nachts in Zugdepots einbrechen, um mit Hochdruckreinigern das Graffiti von den Zügen zu bomben – immer auf der Flucht vor der Polizei und den privaten Sicherheitsdiensten, die der mächtige Lobbyverein YesFitti auf sie angesetzt hat.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Neuer Trend zur Höflichkeit II


12.08.2008 | 00:34 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

Das ist doch kein Name für eine Kneipe


Graz, August 2008 (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Valencia, April 2006 (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Auch Gastwirte müssen immer auf dem Laufenden sein, die Zeiten, in denen sie einfach beliebige Namen aus der Grabbelkiste ("Koma", "Notaufnahme", "Tankstelle", "Alibi") oder Wortspiele ("SonderBar", "NachfüllBar", "BrennBar") verwenden konnten, sind längst vorbei. So existierte in Valencia bereits ein halbes Jahr nach dem Kinostart eine Brokeback Mountain Bar. Und in Graz wurde vor kurzem eine Kneipe nach Barack Obama benannt, orakelhafterweise in den Räumen des früheren Habsburg. Übrigens: Einen passenden Claim fürs Obama hatte sich Sascha Lobo schon zwei Wochen vor der Eröffnung ausgedacht, gegen den üblichen Stundensatz wird er ihn sicher gerne weiterveräussern.


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