Riesenmaschine

26.06.2008 | 09:51 | Berlin

Früher war alles genauso


Industrialisierung, Weltkrieg, Weltkrieg, Teilung, IBA, De-Industrialisierung, Wiedervereinigung. Der Zitadelle war das alles scheissegal. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Berlin ist bekanntermassen eine Stadt im Dauerwandel. Statt Pop-Up-Stores gibt es hier ganze Pop-Up-Stadtviertel und in illegalen Clubs ist es mittlerweile üblich, am Eröffnungstag schon die Abschiedsparty zu feiern, weil die Bezirksverwaltung das Gelände für eine temporäre Kunsthalle vorgesehen hat, die dann nach wenigen Wochen durch den Bau einer Shopping Mall abgelöst wird, aus deren Investitionsruine später ein Hotel wird (oder ein illegaler Club).

Insofern sind die TimeScopes des Chefstadtmöblierers Wall AG grundsätzlich eine gute Idee, man kann schliesslich nicht überall gleichzeitig sein. Es handelt sich dabei um wie Ferngläser anmutende Stationen, in die man hineinschauen kann und nach Münzeinwurf historische Fotos von den Dingen gezeigt bekommt, auf die das TimeScope gerichtet ist – inklusive eines etwas versponnenen Gegenwart-Modus, bei dem man eine Live-Videoaufnahme von dem sieht, was sowieso gerade vor einem steht.

Die TimeScopes sind mietbar und es würden vermutlich jedem Berliner Leser spontan mehrere Dutzend Stellen einfallen, an denen ein solches Gerät einen nützlichen Dienst verrichten könnte. Theoretisch. Denn praktisch steht die Hälfte der vier bisher öffentlich zugänglichen TimeScopes vor und in der Zitadelle Spandau. Fantastisch! Hier erfährt man nun, dass sich die Fassade der Zitadelle in den letzten hundert Jahren so gut wie gar nicht verändert hat, lediglich die Bäume vor den Toren sind über die Jahre gewachsen und wurden irgendwann abgeholzt, 1930 gab es ausserdem mal kurzzeitig zwei gestreifte Wärterhäuschen. Das ist eine dermassen wirre Umdeutung des Konzepts, dass an dieser Stelle nicht mal der riesenmaschinenübliche Schluss mit Vorschlägen für noch ungeeignetere Orte folgt. Weil uns nämlich keine einfallen.


05.06.2008 | 12:03 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles

Überraschungsei


So frühstückt man im Turbokapitalismus (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Eine der wichtigsten Quellen der Allgemeinbildung der heute 25- bis 45jährigen ist der klassische Kanon der Lucasfilm-Adventures: Hier lernte man u.a., dass man Zeitmaschinen nicht mit falschen Diamanten betreiben sollte (Day of the Tentacle), wie man an Trollen vorbeikommt (Monkey Island), was man alles für eine Voodoopuppe braucht (Monkey Island II) und dass man gewisse Dinge nicht in Mikrowellen stecken sollte, nämlich Hamster (Maniac Mansion) und Eier (Zak McKracken). 20 Jahre nach Zak McKracken ist dieses Wissen jedoch hinfällig, denn mit dem Turbo-Ei für die Mikrowelle vom Onlineshop arktis.de, einer unscheinbaren Hülle aus Irgendwas, kann man in weniger als einer halben Minute sein Ei, nun, kaum zu glauben, aber, ja, man kann es tatsächlich in der Mikrowelle kochen. Ein weiterer wichtiger Schritt zur schon lange und mehrfach von uns geforderten Abschaffung der Küche.

Fast noch bemerkenswerter als das Ei ist allerdings die Rubrik "Unser Kommentar" am unteren Seitenrand. Dort steht: "Es funktioniert tatsächlich. Ich bin völlig begeistert!" (Rainer Wolf, Arktis Geschäftsführung). Soso. Sollte man daraus etwa schliessen, dass das bei den anderen Produkten von arktis.de nicht der Fall ist? Dass all die R2D2-Mülleimer, LED-Eiswürfel, Modellhelikopter und Mückenstichvernichter gar nicht einsatzfähig sind? Tragisch – aber sofern der sehnsüchtig erwartete "Turbo-Hamster für die Mikrowelle" funktioniert, können wir es verschmerzen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ich weiss es nicht, ich bin kein Huhn


21.05.2008 | 02:18 | Berlin | Sachen kaufen | Zeichen und Wunder

Endlich: Kiosk-DNA komplett enschlüsselt!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Die Welt da draussen ist eine Ansammlung von zahllosen Variationen des Immergleichen: Ob Wolken, Blätter, Berge, Zebras oder Schnee-, äh, -eulen – sie alle sehen sich irre ähnlich (also die Wolken untereinander, schon klar) und doch ist jedes Ding einzigartig. Das ist der Grundbauplan der Natur, sie hat es sich so ausgedacht, damit wir uns nicht langweilen. Oder weil die Copy+Paste-Funktion erst viel später erfunden wurde.

In der Stadt ist das nicht anders: Geschätzte 32 Millionen viergeschossige und stuckverkleidete Altbauten stehen z.B. in Berlin herum, auf den ersten Blick sehen alle gleich aus, und dennoch gibt es keine Doppelten. Jede Restaurantstuhlanordnung ist einmalig, genauso wie die soziale Zusammensetzung der Mietparteien eines Mehrfamilienhauses, die Abfolge von Läden auf einer Einkaufsstrasse oder die Automarkenmischung in einer Parkhausetage.

Eine Veranschaulichung dieses Prinzips gibt es jetzt als Legespiel, gestaltet von Max Mondon: Bei BerlinKiosk können über 300 gängige Kioskprodukte, umgesetzt im eboy-inspirierten Pixel-Art-Look, frei in einer Kioskschablone
angeordnet werden. Nebenbei bekommt man einen Eindruck von Platz- und Aufmerksamkeitsökonomie im urbanen Raum und versteht, warum Tetris eben doch eine Schlüsselqualifikation im modernen Arbeitsalltag darstellt, zumindest in gewissen Branchen.


08.05.2008 | 18:57 | Berlin | Alles wird schlechter | Vermutungen über die Welt

Peak W-LAN


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viel ist derzeit zu lesen über den Aufstieg Neuköllns zum neuen Berliner Ausgehbezirk. Doch wer einen Blick hinter die schillernde Fassade aus Kleinstgalerien, Kulturprojekten und der neuen Ausgehmeile Weserstrasse wagt, muss feststellen, dass selbst Nordneukölln zu grossen Teilen noch auf dem Stand von vor zehn bis fünfzehn Jahren ist. Die Infrastruktur konnte mit dem schnellen Wandel einfach nicht mithalten und so wird beispielsweise vom Bezirksamt das WLAN nur für wenige Stunden am Tag angeschaltet, wie ein Aushang an der Kantina von Hugo in der Friedelstrasse zeigt.

Mitte- oder Kreuzbergbewohner werden nun schmunzeln – weil sie die Tragweite des Problems noch nicht erfasst haben! Denn auch WLAN ist nicht unendlich vorhanden, auch wenn der sorglose Umgang mit der Ressource (Hallo, Estland!) das nicht unbedingt erwarten lässt. Seriöse Studien gehen sogar davon aus, dass die Menschheit schon heute mehr als die Hälfte des Welt-WLAN-Aufkommens verbraucht hat. Und wenn erst mal jeder der über 300.000 Neuköllner ein eigenes Notebook besitzt, drohen spätestens 2020 Mondpreise und Verteilungskriege.


07.05.2008 | 14:02 | Berlin | Supertiere | Vermutungen über die Welt

Sandkastenkreuzzüge


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Vorbei die Zeiten, in denen alle Spielplätze gleich aussahen, in denen überall die wie buntangepinselte Holzsägearbeiten anmutenden Schaukeltiere pflichtbewusst ihren Dienst versahen, während der Rest der Plätze mit lieblosen Klettergerüsten von der Stange ausgestattet war. So wurde beispielsweise in Berlin-Friedenau erst vor einigen Wochen ein komplett durchgebrandeter Spielplatz im "Der kleine König"-Look eröffnet. In anderen Bezirken setzt man hingegen krampfhaft auf kreative und individuelle Lösungen, wobei in Kauf genommen wird, dass diese manchmal eine Spur an der Zielgruppe vorbeigehen – wie etwa der Drogenspielplatz vom Prenzlauer Berg.

Beim Platz an der Kreuzberger Ohlauer Strasse dürfte aber zumindest klar sein, mit welchen Argumenten die Gestalter bei der Präsentation im zuständigen Bezirksamt punkten konnten. Man wolle an die "Lebenswelt der vielen Menschen mit migrantischen Hintergrund im Kiez" anknüpfen und gleichzeitig den deutschen Kindern "schon früh eine Auseinandersetzung mit fremden Kulturen" ermöglichen, auf diese Weise "Brücken bauen" und "Integrationspotenziale aktivieren". Der Spielplatzbeauftragte von Friedrichshain-Kreuzberg war begeistert. Das Ergebnis sieht hingegen aus wie ein Schlachtfeld zu Zeiten der Kreuzzüge: Zwei geköpfte und gepfählte Moslems säumen das zentrale Klettergerüst, eine Kampfansage, die am anderen Ende von einem Paar gigantischer Krummsäbel erwidert wird. Auch das Kamel ist offensichtlich tot, streckt es doch alle Viere von sich. Da können ein paar friedliche Alibiholzpalmen auch nichts mehr retten.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Spielen auf Pilzen


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