Riesenmaschine

08.11.2007 | 20:34 | Berlin | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Vom Deutschen Wesen kann die Welt genesen


In der Schönhauser Allee in Berlin Prenzlauer Berg hat ein Gastronom eine pollereinbeziehende Tischlösung entworfen. Auf die Reaktion des zuständigen Bauamts kann man gespannt sein. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Seit der Wende benötigt die deutsche Volksseele alle fünf Jahre die Rückversicherung, dass sie sich vom früheren Schwermut vollkommen losgesagt hat und nun geradezu von mediterranem, weltoffenem Geist, Flair und besonders Jenesaisquois durchdrungen ist. 1995 schaffte man sich den von Christo verpackten Reichstag an, um den viele Wochen lang biertrinkende Menschen espriten. 2000 stimmte man in die Fin-de-Siècle-Euphorie ein; die Befürchtung, auch in deutschen Qualitätsmaschinen könne etwas falsch programmiert sein, was zum Absturz der gesamten Welt führen könnte, verbunden mit gigantomanen Now-or-Never-Silvesterfeiern zeigten die deutliche Abkehr vom deutschen Wesen. 2006 mit langem Vorlauf prallte schliesslich die Weltmeisterschaft als Fest der Völker wie ein Rammbock in die grunddeutsche Gefühlstrias aus Niedergeschlagenheit, Arbeitsfixierung und Seriosität: der Gipfel des Nichtdeutschtums war erreicht, lustigerweise begleitet von einer Shrillion deutschen Flaggen, in China hergestellt, an japanische Autos angebracht. Wie könnte es nun weitergehen?

Dezentral vielleicht. Die sich selbst beauftragende Kommunikationskampagne gegen allzu Deutsche Umtriebe wird in Zukunft nicht mehr mit 3 Millionen Menschen am Brandenburger Tor ausgefochten bzw. ausgetrunken, sondern stürzt sich auf eine Vielzahl von Alltagsbegebenheiten. Einfach auch mal ohne Anlass fünf grade sein lassen und zwei Sekt auf Eis bestellen! Mit den Gegebenheiten zurechtkommen, sich nicht beschweren, dass ausgerechnet ein Granitpoller dort steht, wo man den Tisch hinstellen wollte! Sondern drübergezimmert, egalgefunden, ein Kaltgetränk geordert und dann wird pünktlich zum Feierabend in Kleingruppen laisserfairt.


05.11.2007 | 00:34 | Berlin | Nachtleuchtendes

Bis der Brand-Doctor kommt


Viel hilft viel – aber nicht immer. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Man muss es prinzipiell begrüssen, dass nun in Deutschland neben Ärzten, Anwälten und Steuerberatern auch Apotheker jenseits der Apothekenrundschau Werbung schalten und lauthals auf sich aufmerksam machen dürfen. Dass sie im Zuge dessen ihren gesamten Markenauftritt gründlich renovieren, findet gleichermassen unsere ungeteilte Zustimmung. Gehören nicht blinkende "Pharmacie"-Kreuze in den Strassen Frankreichs zu den stärksten und pittoreskesten Erinnerungen an Interrail-Urlaube? Und auch dass hierzulande eine Apotheke in der Berliner Kastanienallee in die Vorhand geht und besondere Energien freisetzt, ist angesichts der Nachbarschaft von Hipster-Läden wie Fresh'N'Friends, Kwikshop und 103 nur naheliegend und nachvollziehbar. Trotzdem kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass die Sanimedius-Apotheke, die in der Gegend gleich mehrere Filialen unterhält, diesbezüglich ein bisschen dick aufträgt, um nicht zu sagen: übertreibt. Der Name – nun gut, kann man machen. Auch das dreigestrichene "E" mag als subtile Anspielung an das Esprit-Logo der 80er Jahre noch angehen, selbst wenn es damit gleichzeitig und unfreiwillig als leicht prätentiöses Binneninitial fungiert. Ebenso das direkt vom Mobilfunkanbieter E-Plus entlehnte hochgestellte grüne "+", das immerhin als schwache Reminiszenz an die eingangs erwähnten französischen Apotheken durchgehen kann. Spätestens aber beim unmotiviert auf den Kopf gestellten "i", das dadurch zum Ausrufezeichen mutiert, wird der schmale Grat überschritten, der subtiles und wirkmächtiges Branding von Kirmes und Karneval trennt. Das ist einfach "too much", beziehungsweise "over the top", wie man in der Branche sagt. Oder mit anderen Worten: Hier wäre eine Dosis Homöopathie angezeigt gewesen.


25.10.2007 | 16:54 | Berlin | Alles wird besser | Listen

Berliner U-Bahnbankkunde


Zum Beispiel so. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Oder so. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Dokumentation der Stadt Berlin verläuft leider nicht sehr abgestimmt. So existieren jeweils Dutzende Übersichtswerke für Restaurants, Hotels, Museen, Clubs oder Kleidungsgeschäfte, erscheinen im Jahresabstand diverse papierne Adressverzeichnisse und auch im Bereich der Street Art dürfte es internetseitig inzwischen mehrere Sammlungen geben. Da kommt dann natürlich immer alles doppelt und mehrfach vor, während andere Lebensbereiche komplett ausgespart, ja geradezu tabuisiert werden. Oder hat sich etwa bisher jemand die Mühe gemacht, alle Ampeln Berlins zu foto- und kartographieren, oder alle Gullideckel, Brandmauern, Zigarettenautomaten?

Nachdrücklich gelobt werden müssen daher Pioniere wie Heiko Schäfer und Steffen Kiefer, denen wir eine vorbildliche Website verdanken, auf der sich Fotos der Bänke sämtlicher Berliner U-Bahnhöfe finden. Wie sonst hätte man erfahren, dass es in Berlin mehr U-Bahnhöfe mit Holz-, als mit Metallbänken gibt und dass die Metallbänke immer, aber auch wirklich immer (fast) die gleiche Form haben, während die Holzbänke mal so, mal so, mal so aber auch mal so aussehen? Man hätte alle Bahnhöfe selbst besuchen müssen – die Zeit, die man so spart, sollte man in den Aufbau einer eigenen Sammlung investieren, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Gehwegplatten wären noch frei. Oder Löschwassereinspeisungen.


11.10.2007 | 11:59 | Berlin | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

Vom Niedergang des Blitzes


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Geschichte des Blitzes ist traurig, weil sie stetig bergab verläuft. Dabei hatte sie vielversprechend begonnen, als der Blitz vor einigen Milliarden Jahren mitverantwortlich für die Entstehung des Lebens war. Auch einige Zeit später war der Blitz noch gut im Geschäft, als er den ersten Humanoiden das Feuer bescherte. Dann aber entschied man sich im Hause Blitz folgenschwer für ein Zusammengehen mit einer Anzahl verschiedener Götter von Zeus bis Gott: der Blitz wurde aufs Ungünstigste als Drohgebärde und Strafe instrumentalisiert. Auch die eigentlich sinnreiche Kooperation mit dem Donner, die zuvor das gewünschte Pathos auch für blinde Nutzer wahrnehmbar machte, geriet ins Bedrohliche. Daraufhin ging alles ganz schnell: um heilig gesprochen zu werden, bauschte Sankt Florian die Brandgefahr durch Blitze heillos auf. Trotzig seinem kurzentschlossenen Wesenszug folgend, liess sich der Blitz hinreissen, das frühere Vorteil zu bestätigen, und zündete praktisch das gesamte Mittelalter hindurch eine Stadt nach der anderen an. Nach der Beteiligung an den Frankensteinschen Menschenexperimenten war der Tiefpunkt erreicht, als nach dem Sieg der Alliierten 1945 klar wurde, dass der Blitz Hitlers Angriffskrieg gesponsert hatte.

Der unausweichlichen schlechten Presse folgte ein Rückzug ins Private, ein Auskommen hatte man nur durch einen langfristigen Model-Vertrag mit der Firma Opel. Einen ersten, ironischen Aufarbeitungsversuch der eigenen Geschichte wagte man erst 1976, mit dem Ramones-Hit "Blitzkrieg Bop". Einen wichtigen Schritt zur Resozialisierung brachte schliesslich die Demokratisierung des Blitzes; sie gilt inzwischen zumindest in den westlichen Gesellschaften als abgeschlossen, wo fast jeder im Schnitt zwei Blitze (Handy und Digitalkamera) mit sich führt. Dass der Blitz aber von Zeit zu Zeit hier und da über die Stränge schlägt und daher noch immer als Bedrohung angesehen wird, lässt sich an der florierenden Blitzschutzindustrie festmachen. Das Bild zeigt eine aktuelle Aufnahme eines hausnahen Bürgersteiges in Berlin Mitte, wo ein metallener Gebetsstein zum Zwecke des Blitzschutzes eingelassen ist. Genutzt hat es in diesem speziellen Fall kaum: Regungslos verharrt das beschriftete Stück Stahl im Boden, als es in der Nacht vom Blitz getroffen wird (Foto).


09.10.2007 | 14:24 | Berlin | Sachen kaufen

Wiederum ein Tag in der Firma


Spezialgeschäfte neigen ab und an zur Überspezialisierung (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aber Steiermann gab sich nicht geschlagen. Zeisel und Stilicke mochten einen Überraschungshit gelandet haben – der Vertrieb stand immer noch hinter ihm wie ein Mann. Das hatte er seinerzeit über die Einführung von doppelt rückvergüteten, nachträglichen Vorschüssen im Nichteintretensfall hinbekommen, inzwischen Branchenstandard, wie so viele Steiermann-Entwicklungen. Ausserdem hatte er Vonnebrink den Eigenbeleg in der Spesenabrechung durchgehen lassen. Als es im August an die Verteilung des Nächstjahresbudgets ging, hielt er sich an sein Lieblingsbuch, "Sun Tzu für Abteilungsleiter" – und beantragte zur Überraschung aller eine Halbierung seines eigenen Etats. Drei Tage gab es kein anderes Thema in der Kantine, dann ging der Plan auf: Vizepräsident Sasel gab die Maxime "Maximum Nullrunde" aus und das grosse Unterbieten begann, Zeisel und Stilicke taten cool, waren aber am Ende. Als die Gesamteinsparungen bei 24% angekommen waren, liess Steiermann die Bombe hochgehen und präsentierte seinen neuen Vertriebsplan, zu finanzieren aus dem freigewordenen Etat: die Zeit der grossen Verkaufsflächen sei vorüber, in Zukunft solle für jedes Zubehörteil eine eigene Filialkette aufgebaut werden. Noch aus dem Flugzeug stimmte Sasel per SMS zu, unter der Bedingung, dass McKinsey ein "ernstzunehmend teures Konzeptpapier drumherum" entwickle und man eingedenk der alten Firmenstrategie mit dem bescheuertsten Zubehörteil anfange – Funktionsbeweis des schwächsten Glieds der Kette, wie es Sasel zu nennen pflegte.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein schöner Tag in einer kleinen Agentur


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