Riesenmaschine

04.01.2007 | 01:11 | Supertiere | Fakten und Figuren

Neue Unterschicht


Verarmter Adel im Unterholz: Die Ritterwanze (Foto: Entomart)
Lygaeus equestris, die Ritterwanze, ist das Insekt des Jahres 2007, so entschied das entsprechende Kuratorium des Deutschen Entomologischen Instituts. Damit reiht sich die Ritterwanze in die ruhmreiche Folge der Plattbauchlibellen, Hainschwebfliegen, Steinhummeln und Marienkäfer ein. Diesen sozialen Aufstieg hat die Ritterwanze vor allem dem noblen Ansinnen des Kuratoriums zu verdanken, dadurch "Vorurteile gegen bestimmte Insektengruppen abzubauen". In der Tat: Ihre Omnipräsenz und Vorliebe dafür, am Boden rumzugammeln, 24stündigen Sex zu haben oder einfach nur zu stinken, hat den Ritterwanzen den Ruf des nutzlosen und lästigen Lumpenproletariats und so manche Anfeindung eingehandelt. Allein, nur eine diskriminierte Gruppe pro Jahr unter den Schutzmantel des Kuratoriums zu nehmen wird die Not nicht lindern, denn schon zur Stunde geht es bereits den verwahrlosten Schaben und Obstfliegen gewaltig an den Kragen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Jetzt schon: Der Pilz des Jahres 2006

Ruben Schneider | Dauerhafter Link


03.01.2007 | 17:20 | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Blindfahrt


Augenbewegungen machens möglich.
(Foto: nate2000)
Wer fahren will, muss hingucken. In Neuseeland wurde kürzlich einem Blinden das Fahren verboten, weil er gegen dieses simple Naturgesetz verstossen, das Steuer von einem betrunkenen Freund übernommen und an seiner statt den Wagen gegen eine Wand gesetzt hatte. Wer sich nun aber die Hände reibt, zu Fäustchen ballt und neuseelandfeindlich hineinlacht, weil ja ein Blinder sowieso nicht fahren kann und man ihm das deshalb auch nicht verbieten muss, sollte vielleicht mal über folgende neue Information aus der Welt der Wissenschaft nachdenken: schon länger ist bekannt, dass Autofahrer vor dem Kurvenlenken Richtung Kurve spähen, und dass dieses Vorspähen das Lenken erleichtert. Neu ist die Einsicht, dass es dabei offenbar gar nicht ums Kurvesehen, sondern um die Augenbewegung selbst geht – macht man nämlich die Kurve unsichtbar, hilft das Hingucken trotzdem. Jetzt müsste man den Versuch wohl mit komplett Blinden wiederholen, aber die dürfen ja leider nicht fahren.


03.01.2007 | 10:52 | Fakten und Figuren

Wirbelstrasse obenrum


Horror Wasserhahnii: Turbulence on tap
(Foto: Wanko / Lizenz)
Seit sechs Jahren hält die Erde vier Ohren in den Wind aus geladenen Teilchen, den die Sonne uns entgegenbläst. Sie heissen (alle zusammen) "Cluster" und sind eigentlich Satelliten, aber nehmen wir mal weiter an, es wären Ohren. Dann nämlich kann man sich vorstellen, die Erde wäre zwei rennende Hunde mit Fahrtwind und allem. (Es müssen zwei sein, sonst ginge die Rechnung mit den vier Ohren nicht auf, natürlich.) Und während es schon lange bekannt ist, dass Hunde im Wind erheblichen Wirbel hervorrufen, glaubte man bis vor kurzem an ein turbulenzfreies Streunen im All.

Damit ist es vorbei, sagen die Cluster-Ohren: Erst fanden sie grosse Wirbel, dann kleine, und jetzt ist auch klar, dass die gesamte Wirbelansammlung ganz ähnlich aussieht wie die im irdischen Hundewind. Turbulenzen im Sonnenwind! Die Karmansche Wirbelstrasse gleich hinter der Erde! Klingt gut, aber will man das? Schlecht zum Beispiel: Ein Ding mehr, das wir nicht verstehen. Denn für Turbulenzen braucht man Viskosität, eine ekelhafte Eigenschaft, die mitten im leergefegten Weltall recht komisch ist. Tropft die Sonne die Hunde mit Honig voll? Keine schöne Vorstellung, aber was soll man machen. Der Vorteil jedoch: So wie innovative Insekten es schaffen, aus Wirbelstrassen Flugenergie zu tanken, könnten die Hunde beim Schwanzwedeln sich ja wohl auch bei den Wirbeln bedienen, so dass wir beim Futter sparen und die freigewordenen Mittel zum Totreiten von Tier-Metaphern einsetzen können.


02.01.2007 | 10:27 | Fakten und Figuren

Der grosse Sprung nach oben


Foto: anamobe / Lizenz

Sich vor den Zug werfen kann jeder, für Fortgeschrittene gibt es viele interessantere und schwierigere Selbstmordmethoden: Im Nieselregen ertrinken etwa, die Luft anhalten, bis man erstickt, oder am Nordpol einen Laternenpfahl suchen, um ihn mit der Zunge zu berühren. Auch der beherzte Sprung in die Sonne ist bisher nur im Ausnahmefall geglückt. Menschen mit guter Kondition sollten die Hoffnung aber nicht aufgeben, bzw. erst in den kommenden Tagen: dann irgendwann wird die Erde nämlich, wie jedes Jahr, ihr Perihel durchlaufen, also ihren sonnennächsten Punkt erreichen. Im Vergleich zu anderen Zeiten im Jahr hat man so bis zu fünf Millionen Kilometer gewonnen – wenn man jetzt noch auf die Südhalbkugel fährt, dort auf ein hohes Gebäude steigt und ausreichend Anlauf nimmt, ist es schon fast geschafft. Sollte man nach 35.880 Kilometern keine Lust mehr haben, empfiehlt es sich, alternativ die gleichermassen interessante Selbstmordmethode "als geostationärer Satellit verhungern" auszuprobieren, wobei man der Ordnung halber versuchen sollte, sich kurz vor dem Ende noch schnell in den Friedhofsorbit abzustossen. Und wer das alles immer noch zu anstrengend findet, wartet einfach noch so fünf bis sechs Milliarden Jahre, denn dann kommt die Sonne von ganz alleine.


27.12.2006 | 12:38 | Fakten und Figuren | Vermutungen über die Welt

Amüsierte Amusie


Gute Ohren sind nicht alles (Quelle, Lizenz)
In Zeiten, wo man gesellschaftlich akzeptiert gestern Punk, heute BoBo und morgen ZonGo sein kann, gewinnen unveränderliche Merkmale stark an Gewicht. Besonders Modekrankheiten verleihen dem Träger die Aura der halb leidenden Erfahrung, halb bezwingenden Stärke und sind so zum Must Have der Accessoirwelt der Neuzeit geworden. Während die 90er Jahre hindurch verschiedene Abwandlungen von ADS en vogue waren (auch ich bin darauf hängen geblieben), ist das 21. Jahrhundert in Sachen Innovationsdruck auch bei Krankheiten angekommen. Kollegin Passig trumpft mit der kaum zu schlagenden Narkolepsie auf, ein ungenannt bleiben wollender Riesenmaschinist arbeitet seit Jahren auf jeder Party am Coolness-Comeback der Phimose; Kollege Scholz hat sich gar eine bisher unentdeckte Krankheit zurecht gelegt, das Gegenteil der Prosopagnosie (Gesichtsblindheit) nämlich: er gibt vor, dass ihm fast jedes Gesicht auf der Strasse seit Jahren bekannt vorkommt.

In diesen modernen, bunten Reigen der Defekte reiht sich nun eine weitere Krankheit ein: Amusie. Die Krankheit wird beschrieben als Audio-Entsprechung der Farbenblindheit beim Sehen und macht es den Trägern schwer bis unmöglich Tonfolgen zu erkennen, zu decodieren oder wiederzugeben. Wer wissen möchte, ob er dazugehört, kann hier einen Amusie-Test machen. Die Testversager können sich damit schmücken, die gleiche Krankheit zu haben wie einst Freud und zeitweise sogar Ravel. Alle anderen müssen weiter danach suchen, womit sie sich auf Partys in den Vordergrund spielen.


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