Riesenmaschine

16.01.2006 | 11:15 | Anderswo | Sachen anziehen | Vermutungen über die Welt

Ho Chi Minhs Hintern

Wie stellt man eigentlich den Hintern einer kultisch verehrten politischen Persönlichkeit dar? Die meisten Bildhauer dieser Welt, die man mit dieser Aufgabe betraute, beantworteten die diffizile Frage mit: Am besten gar nicht. Sie lösten das Problem, indem sie ihren Denkmälern einfach Mäntel anzogen, die das Hinterteil der kultisch verehrten Persönlichkeit voll und ganz verbargen.
Nur Lenin durfte manchmal Jacke tragen, wie dieser hier in Hanoi am Dien Bien Phu Boulevard. Doch auch sein Jackett lässt – wie alle anderen Lenin-Jacketts auch – so etwas wie Pobacken im Faltenwurf verschwinden. Das von Nikolai Tomski geschaffene Lenin-Denkmal am Lenin-Platz in Ostberlin (heute Platz der Vereinten Nationen und Lenin irgendwo unter der Erde) dagegen trug einen langen Mantel. Stalin seiner ist länger. Der Mantel geht ihm bis zu den Füssen, wie das Stalin-Denkmal in seiner Geburtsstadt Gori auch heute noch beweist.

Das grösste Mao-Denkmal Chinas findet sich angeblich in Chengdu; Mao steht in einem sorgfältig zugeknöpften Mantel auf dem Sockel, der die Knie bedeckt. Und Kim Il Sung, der grosse Führer Koreas und einzige posthume Präsident der Welt? Die koreanischen Bildhauer zeigen ihn in Pjöngjang zwar ganz leger und vorne offen. Doch sicherheitshalber hat man ihm zum wehenden Mantel noch eine bis zu den Oberschenkeln reichende Jacke angezogen, die garantiert jede Wölbung im Bronzeflanell erstickt.

Nur in Vietnam ist alles anders. Die Skulptur, die vor dem Ho Chi Minh Museum in Ho Chi Minh Stadt steht und den jungen Ho darstellt, trägt ein kurzärmeliges Hemd und eine, man kann es nicht anders sagen, extrem arschbetonende Hose. Was der Grund für diese gewagte Darstellung sein mag, ist schwer zu entscheiden. Sie kann dem tropischen Klima geschuldet sein, das läge nahe. Oder sie legt davon Zeugnis ab, dass es sich bei den vietnamesischen Kommunisten um nicht ganz so strenge Puritaner handelt wie anderswo. Aber vielleicht ist es auch so: Onkel Ho hatte eben einfach mal den besten Hintern von allen Ikonen der kommunistischen Weltbewegung, und darauf ist man auch heute noch in Vietnam sehr, sehr stolz. (Das doofe Wortspiel dürfen Sie übrigens jetzt selber machen, falls jemand darauf gewartet haben sollte.)

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Asien Spezial: Korea & Vietnam

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


15.01.2006 | 19:10 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder | Vermutungen über die Welt

Gravity is (not) a crime

Noch ein Korrigendum: Graffiti oder Street Art pour le Street Art sucht man in Vietnam doch nicht ganz so vergebens, wie neulich mal an dieser Stelle in den virtuellen Raum gestellt.
Allerdings steckt die Bewegung noch ziemlich in den Lauflern-Sneakern. Das zeigen diese Fotos, aufgenommen an der Strassenkreuzung Le Duan / Le Loi in Danang, wo Sprayer an einer Schulmauer gleich mehrere sog. Tags hinterlassen haben. Dass die vermutlich vietnamesischen Urheber sich aber durchaus bemühen, Anschluss ans Graffiti-Weltniveau zu finden, ist daran zu ersehen, dass sie versuchen, ihre Botschaften in Englisch zu formulieren; der Sprache, mit der man bekanntermassen in Vietnam seine Schwierigkeiten hat.

So wollte auf Abbildung Nummer zwei offenbar jemand die weltweit übliche, rhetorische Sprüher-Frage: "Is Graffiti a Crime?" (Antwort immer: "Nö, is Kunst!") auf den gelben Putz bringen, war sich dann aber mitten in der Nacht seiner Orthographie nicht mehr so sicher. Beim Nachkucken im Wörterbuch kam dann die Polizei.

Origineller wäre es natürlich, hätte der Urheber – wie das verloren dastehende "Y" suggerieren könnte – seine vietnamesischen Mitbürger tatsächlich fragen wollen: "Gravity is crime?" Nein, antwortet ihm die Riesenmaschine, ist es nicht, es ist ein Naturgesetz, hm, andererseits natürlich schon. Wenn auch bisweilen ganz nützlich, ist Schwerkraft letztlich nichts anderes als eine Riesensauerei.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vietnam I: Street Art goes Yellow Pages

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


14.01.2006 | 09:56 | Anderswo | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Corporate Communist Design

Vietnam ist der einzige Staat dieser Erde, in dem das gute alte Hammer und Sichel (H&S) Emblem noch an jeder Strassenecke präsent ist; im Gegensatz zu anderen, nominell noch kommunistischen Staaten. In China kommt das alte Logo praktisch nur mehr hinter Windschutzscheiben von Funktionärslimousinen vor; gewissermassen als Ausweis für freies Parken. Zudem war die Sichel im chinesischen Emblem schon immer etwas runder als beim sowjetischen Original. In Kuba sieht man statt des gekreuzten Werkzeugpaars praktisch nur Che entrückt dreinblicken, und in Nordkorea ist sowieso eine eigene Version in Umlauf: eine eher schlecht designte Kombi aus Hammer, Hacke und Pinsel, das offizielle Symbol der dortigen (Staats)Partei der Arbeit.

Auch in Vietnam sind H&S das Emblem der Staatspartei, die hier auch noch ganz klassisch Kommunistische Partei Vietnams heisst. Im Strassenbild findet es sich fast ausschliesslich auf einer roten Fahne, die gerne auch neben der Nationalflagge (Grosser gelber Stern auf rotem Grund) hängt. Beide Fahnen, das kann auch der strengste Antikommunist nicht leugnen, sehen sehr, sehr gut aus, nicht nur, wenn sie im Sonnenlicht am malerischen Hoan Kiem See in Hanoi herumflattern. Es sind die prallen Farben, das schlichte Design und die sofort zu erfassende Symbolik, die sich jedem gleich in die Optik fräsen.

Stellt sich die Frage: Wer hat das H&S-Emblem eigentlich entworfen? Die Heraldiker und Vexillologen sagen uns: Keiner, bzw., wie sich das für eine kommunistische Bewegung gehört, praktisch alle. Erstmals aufgetaucht ist es im Zuge des russischen Bürgerkriegs, auf Fahnen revolutionärer armenischer Einheiten, etwa um 1917. Es hätte aber auch ganz anders kommen können. Wie auf einer kleinen Auswahl von Fahnen der frühen Roten Armee zu sehen ist, war das Vorläufersymbol ein Hammer und ein im Verhältnis dazu unproportionierter, klobiger, überhaupt schwer zu zeichnender und noch schwerer erkennbarer Pflug. Kaum denkbar, dass das internationale Unternehmen "Kommunismus" unter diesem katastrophalen Signet die bekannten Propagandaerfolge errungen hätte.

Anders als die Kommunisten liessen übrigens die Nazis ihren immensen Symbolbedarf von professionellen Designern decken. Das Emblem der SS, die verdoppelte germanische Sig-Rune, beispielsweise entwarf ein Walter Heck, der bei der Firma Ferdinand Hofstätter in Bonn beschäftigt war. Nun kann man auch diesem Logo unter streng designerischen Gesichtspunkten eine gewisse Dynamik nicht absprechen. Dafür war aber sein Schöpfer, im Nebenberuf noch SS-Sturmführer, ein echter Nazi-Blödmann. Heck, so steht es geschrieben, verkaufte seinen Entwurf irgendwann zwischen 1929 und 1933 für ganze 2 Mark fuffzig an die SS. Also exakt die Summe, die der ganze Nazi-Scheiss dann wohl auch wert war.

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Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link


13.01.2006 | 09:13 | Anderswo | Alles wird besser | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Supermodel-Recycling


Dieses Bild wäre fürs Verständnis des Beitrags sehr hilfreich, wir zeigen es aus Bildrechtegründen aber lieber nicht. Man findet es leicht, wenn man nach Carmen Kass j'adore sucht.
Der momentane Stand der Globalisierung lässt sich gut an diesen zwei Plakatmotiven ablesen. Das erste zeigt das estnische Supermodel Carmen Kass, als "J' adore" Girl für das gleichnamige Duftwasser des französischen Modeschöpfers Christian Dior werbend, wozu es offenbar in einer mit flüssigem Gold ("J'adore") gefüllten Badewanne hockt. Das zweite zeigt auch das estnische Supermodel Carmen Kass, in derselben Pose, nur gespiegelt. Doch dieses Mal hält sie verblüffender Weise ein Bierglas der deutschen Biermarke "Henninger" in der Hand. Auch das flüssige Gold ist geblieben, es hat sich aber offenbar über Nacht (und in einem Computer) in gar nicht mal so gut schmeckendes Henninger-Bier verwandelt.

Das erste Plakat ist leicht veraltet, denn Carmen Kass ist nicht mehr das "J'adore"-Girl. Das ist derzeit wohl das estnische Supermodel Tiiu Kuik. Das zweite Plakat hängt in einer kleinen Garküche in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi, die in der Duong Dai Co Viet 75 liegt, gegenüber vom Bay Mau See. Aufgehängt hat es dort offenbar die Firma Nha Mai Bia Henninger Tai Viet Nam, eine Tochterfirma der Don Xuan Alcohol Factory. Es soll den in Vietnam immer leicht misstrauischen Passanten darauf hinweisen, dass das ansonsten sehr unscheinbare Restaurant tatsächlich das in Vietnam äusserst seltene Henninger Fassbier (vietn. "Bia Henninger") ausschenkt. Bia Henninger Vietnam ist ein Joint Venture mit der deutschen Henninger Brauerei, was auch daraus hervorgeht, dass das Plakat sowohl die Adresse der vietnamesischen Niederlassung als auch die der deutschen Zentrale in Frankfurt aufführt.

Ziemlich sicher (zu 101,98%) aber wussten bis eben weder Carmen Kass noch Christian Dior von dem vietnamesisch-deutschen Supermodel-Recycling, was wieder mal zeigt, dass es mit der viel beschrieenen Globalisierung gar nicht so weit her ist. Andererseits wissen sie es leider jetzt, was auch was beweist, nämlich dass zur totalen Informationsglobalisierung die Riesenmaschine gerade noch gefehlt hat. Für das uns zustehende Infohonorar möchten sich doch bitte Frau Kass und Herr Dior mit unserer Buchhaltung (Frl. Lobo) in Verbindung setzen.

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Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


12.01.2006 | 12:14 | Anderswo | Alles wird schlechter | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Der Kampf geht immer, immer weiter

"Der hipste Ort zum Ausgehen in Saigon alias Ho Chi Minh City ist derzeit eindeutig und mit Abstand das Quán 30 an der Nguyen Thai Hoc", befand im Oktober letzten Jahres unser temporärer Vietnam- Korrespondent. Jetzt hat das teuerste, weil rechercheaufwändigste Blog Deutschlands noch mal nachgekuckt, und musste feststellen: Aber sehr unhip, wenn es ans Bezahlen geht. "Das ausnehmend hübsche weibliche Personal" verwandelt sich in eine Horde Furien, wenn man es wagt, die überhöhte Rechnung zu reklamieren. Es versucht sodann, den einfach mal so ausgedachten Vollmondpreis durch Aufschlüsseln in Einzelpositionen zu rechtfertigen, wozu es eines etwa halbstündigen Beratungsprozesses bedarf, um auch exakt auf die zusammenphantasierte Summe zu kommen. Rechnet man den Damen in den "täglich wechselnden sexy-engen T-Shirts" schliesslich anhand der vietnamesischen Speisekarte kurz vor, was man tatsächlich zu bezahlen hat, kommt eine angestürmt, ersetzt den falschen Preis kurzerhand durch den echten und knallt sehr böse die Rechnung auf das Tischchen. Dabei wird man von einem stilisierten Stilettoblick durchbohrt, als habe man persönlich Ho Chi Minh erschossen.

Überhaupt gebärdet sich nahezu die halbe vietnamesische Dienstleistungsbranche so, als sei der "amerikanische Krieg", wie der Vietnamkrieg hier heisst, noch lange nicht zu Ende. Der moderne Vietcong kämpft allerdings nicht mehr gegen das US-Imperium, sondern gegen die Touristen im Lande, wobei es egal ist, ob es sich um Koreaner, Europäer oder Bangladeschis handelt. In diesem Volkskrieg neuen Typs verlangen die Kämpfer das Doppelte bis Fünffache des regulären Preises für Obst oder Zigaretten, schlagen beim Auschecken eine zehn- bis fünfzigprozentige "Government Tax" auf die Hotelrechnung (hauptsächlich in Mini-Hotels in Hanoi) oder arbeiten mit manipulierten Taxiuhren oder gefälschten Eintrittskarten.



Dabei stellen sich die Guerilleros nicht immer so geschickt an wie das historische Vorbild. Der Wirt des Cafe Maxx im schön gelegenen Dalat drückt einem zwar gleich freudig seine englischsprachige Speisekarte in Hand, hat aber im Inneren des Lokals leichtsinnigerweise noch eine vietnamesische liegen. Fragt man ihn interessiert, wie sich denn die höheren Preise für die Ausländer erklären, behauptet er: "Die bekommen grössere Portionen." Wer dann nicht locker lässt, ihm die Getränkeliste zeigt und fragt: "Auch grössere Bierflaschen?", der wird mit der entsetzlichsten Waffe konfrontiert, die die Devisen-Befreiungsfront im Repertoire hat: Einem breiten, stummen Killerlächeln.

Lächelnd wurde der RM-Korrespondent auch von einer niedlichen Strassenverkäuferin in Hanoi abgezogen. Auf die Frage, weshalb ihre Brötchen denn so viel kosten, flötete sie: "Weil Schokolade drin ist." Zur Strafe für diese hundsgemeine Schummelei soll jedes Gericht, das sie in diesem Jahr verzehrt, nur nach Nutella schmecken.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vietnam III: Quán 30, HCMC

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (9)


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