Riesenmaschine

15.11.2005 | 18:30 | Berlin | Anderswo | Fakten und Figuren

Scherze vom Staat


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Mit der Überschrift ist keinesfalls die Erhöhung der Mehrwertsteuer gemeint, sondern der Herr auf dem Bild. Er dürfte einigen bekannt sein, denn es handelt sich um das Mitglied des Bundestages Jakob Maria Mierscheid. Mierscheid ist nicht nur Träger der "Silbernen Ehrennadel des Männergesangsvereins (MGV) Morbach" und Verfasser der vierteiligen Folge im Zentralorgan der Brieftaubenzüchter (1967/1968): "Die Reiseroute der geringelten Haubentaube und ihre Flugeigenschaften" (Nachdruck mit Genehmigung in der Eidgenössischen "Flugtauben-Correspondenz" 1969), sondern auch frei erfunden. Trotzdem ist Mierscheid in diesen Tagen endlich auf der offiziellen Homepage des Bundestages in die Liste der Parlamentarier aufgenommen worden (Mierscheid hat übrigens auch ein eigenes Blog). Ein wenig Legislativ-Humor – warum nicht, so als Abwechslung zur ständigen bierernsten Budgetkürzerei oder zur Schiebung hinter den Kulissen.

Eine ganze Ecke weiter ging ein Staatsgag, der Anfang der 90er Jahre in Argentinien für grosse Heiterkeit sorgte. Der damalige Präsident Carlos Menem, der unter anderem für Abstimmungen gefakte Abgeordnete ins Parlament schleuste, wurde auf einem falschen echten Ein-Peso-Schein verewigt. Die in Umlauf gebrachten Scheine waren zweifellos echt, also in der staatlichen Münze hergestellt worden. Vom Papier bis zu den Farben stimmte alles, das Portrait von Menem prangte stolz in der Mitte. Nur hatte diesen Schein keine Institution je in Auftrag gegeben. Subversiver hätte man die Kritik an Menems Wirtschaftskurs und der Peso-Dollar-Bindung kaum ausdrücken können. Bis heute ist nicht bekannt, wer den "Menem Trucho", den falschen Menem, herstellen liess.


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15.11.2005 | 16:04 | Alles wird besser | Sachen kaufen

The difficult second album


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Wer schon immer mal sehen wollte, wie Kate Winslet als katholische Nonne, die sich in atemloser Stille in einem Keller mit einer Gruppe Juden vor den Nazis versteckt hält und im letzten Augenblick durch ein unabsichtliches Husten verraten wird, schreiend vor Lachen zusammenbricht, weil Regisseur Ricky Gervais in dem Moment, als sich der Spürtrupp im Gang wieder entfernt, in einem Wiederholungstake die Anweisung ausgibt "This time, someone is going to fart", der bestelle sich "Extras" auf DVD, die Nachfolgeserie von "The Office" des britischen Autorenduos Ricky Gervais / Stephen Merchant.

Deren grossartiges, als Pseudodokumentation (mockumentary) über den Büroalltag konzipiertes Erstlingswerk "The Office" hat auch hierzulande einige Berühmtheit erlangt, nicht, weil die Serie im Fernsehen ausgestrahlt worden wäre, sondern vielmehr als Gegenstand eines angedrohten Rechtsstreits zwischen der BBC und Pro Sieben; die Schreiber von Pro Sieben hatten von der Idee bis zur Kameraeinstellung nahezu alles sehr schamlos (und schlechter) für die Serie "Stromberg" plagiiert.

Weil es oft vorkommt, dass die gesamte Kreativität und Innovation im Erstling verballert wird und man die bekannten Erfolgskonzepte nur neu aufwärmt, war man beim Nachfolger aufs Schlimmste gefasst – und wird angenehm überrascht: "Extras" braucht sich hinter "The Office" kaum zu verstecken. Gervais gibt erneut den Hauptdarsteller, diesmal den im Vergleich zum Office-Boss David Brent deutlich weniger widerlichen Schauspieler Andy Millman, der als Statist ("Extra") an diversen Filmsets erfolglos versucht, eine Sprechrolle zu ergattern und dem es schliesslich in der letzten Folge gelingt, das Drehbuch für eine Sitcom über seinen ehemaligen widerlichen Boss bei der BBC unterzubringen.

Der grosse Erfolg von The Office auch in den USA (man bekam sogar den Golden Globe für die Beste Sitcom) hat es Gervais/Merchant ermöglicht, diverse Grössen für Gastrollen zu verpflichten, unter anderem karikieren Ben Stiller, Kate Winslet, Samuel L. Jackson und Patrick Stewart sich selbst (oder sind nur sie selbst, was dann allerdings schlimm wäre, man weiss das nicht so genau).

Höhepunkte im Bonusmaterial ("Extras") sind neben dem oben erwähnten Winslet-Outtake sicherlich die etwa zwanzigminütige Videodokumentation, in der Gervais seinen Schnittassistenten mit immer neuen Masken und Tesabändern in entwürdigendster Art und Weise zupflastert und ihn dabei filmt sowie der vergebliche Versuch, in einem trostlosen Hotelzimmer die Telefonnummer der britischen Auskunft zu ermitteln, die eventuell über die Telefonnummer der Auslandsauskunft verfügt, die eventuell über die Telefonnummer des Managements von Leonardo di Caprio verfügt, das eventuell die Telefonnummer von Leonardo di Caprio rausrücken könnte.


15.11.2005 | 09:17 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Der weltgrösste Poetry Slam


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Aus dem immer sehr nützlichen Informationsbulletin Dose, erhältlich an allen guten kanadischen Kreuzungen, erfahren wir vom spektakulären neuen Buch von Prof. Bruce Lawrence: "Messages to the World: The Statements of Osama bin Laden" enthält nämlich alle Statements von Osama bin Laden, und, das ist das Besondere, zum ersten Mal in sauberem Englisch. Schnell wird klar, so Lawrence sinngemäss, dass OBL, wie ihn Freund und Feind nennen, historisch und literarisch verblüffend gebildet daherredet, und zudem auch noch Kasuistik, Metonymien, Albernheiten und lyrische Strukturen beherrscht, was man bei Terroristen ja eher selten findet. OBL hat nicht nur ein einwandfreies Alibi für fast alle grossen Verbrechen (Prager Fenstersturz, Vergiftung Cäsars, Erfindung der Stechmücke), sondern ist auch "one of the best prose writers in Arabic", so Lawrence jedenfalls. Zieht man jetzt noch in Betracht, dass OBLs wichtigster Gegenspieler, Donald H. Rumsfeld, in Insiderkreisen schon länger als herausragender zeitgenössischer Lyriker verehrt wird, so ergibt sich ein völlig neues Bild der Weltlage. Irak, Afghanistan, 9/11, war das alles nur ein grausames Missverständnis? Ist der "Clash of Civilisations" in Wahrheit nur ein Gedichtewettstreit, ein interkontinentales Wettlesen, ja, der weltgrösste Poetry-Slam? Wir jedenfalls wissen es nicht. Zum Abschluss noch Lyrik: zunächst ein klassischer Fünfzeiler aus der grossen arabischen Masochistentradition, dann ein Meisterwerk des Neuen Amerikanischen Nihilismus.

Let me be a martyr / dwelling in a high mountain pass / among a band of knights who / united in devotion to God / descend to face armies.

Once in a while / I'm standing here, doing something. / And I think, / "What in the world am I doing here?" / It's a big surprise.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


15.11.2005 | 02:25 | Berlin | Zeichen und Wunder

Vorsicht, Street Art!


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Andernorts haben wir bereits zu den merkwürdigen Volten und Kapriolen Stellung bezogen, die sich derzeit innerhalb der Street Art ereignen. Vor wenn nicht ein Rätsel, so doch eine gelinde Ratlosigkeit stellt uns nun dieses Werk eines anonymen Schablonengraffiti-Künstlers (Bild oben), dessen Emanationen vorwiegend im Grossraum Kreuzberg anzutreffen sind. Zum einen erkennen wir sehr wohl die subtile Doppelbödigkeit und Default-Meta-Ironie an, die im Akt der vermeintlichen Affirmation der Repression erst den Gegenstand der Repression in die Welt setzt. Zum anderen erinnert es uns darin unheilig an jene Gratis-Postkarte (Mitte), die es mit dem ironischen Rekurs auf die paranoide Repression vergangener Tage zeitweise an fast jeden WG-Kühlschrank geschafft hatte. Sogleich verlängert sich diese Assoziationskette – nicht zuletzt kraft der verwendeten Frakturschrift –, bis wir letztlich und unweigerlich bei der bieder sozialdemokratischen Agitprop-Plakatsatire eines Klaus Staeck (Bild unten) landen, die ja heutzutage nur noch schwer zu ertragen ist. Dieses eine Mal wollen wir es aber noch geflissentlich durchgehen lassen, insofern damit nicht der weiteren Staeckisierung Vorschub geleistet wird. Ansonsten müsste die eindringliche Warnung ergehen: Achtung Street Artists! Die Sozpäds wollen euch die Wände in eurer Hood streitig machen!

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Street Art & Weise


14.11.2005 | 20:23 | Anderswo | Alles wird besser | Was fehlt | Sachen kaufen

Hackenporsche für Afrika


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Wasser holen, Kochen, Waschen, Feldarbeit, Kinder kriegen, waschen und füttern – Afrikas Frauen stemmen so einiges. Zumindest ihre tragende Rolle beim Wasserholen könnten sie jedoch bodennah ablegen – mit dem Hippo Water Roller, einem 90 Liter Fass, mit dem sich mehr Wasser mit weniger Kraft und in kürzerer Zeit transportieren lässt als auf die traditionelle Art und Weise. Die so einfache wie geniale Erfindung verbessert nicht nur die Wasserversorgung und somit auch die Ernteerträge, sie schont auch den Rücken und erhöht bei korrekter Benutzung (schieben!) die Überlebenschancen in verminten Gebieten.
Den Hippo Water Roller gibt es bereits seit 1996, trotzdem haben auch diverse Design-Blogs erst kürzlich davon erfahren. Warum sich trotz Spenden grosser Konzerne bisher weder die original Hippo Roller noch improvisierte Nachbauten welt- oder auch nur afrikaweit durchgesetzt haben, warum man die Dinger nur Familien im relativ wohlhabenden Südafrika spenden kann, all das bleiben ungooglebare Rätsel. Wer trotzdem für 60 US-Dollar einer südafrikanischen Frau den Kopf für andere Dinge als Wasser frei machen will, kann das hier tun.

Natascha Podgornik | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


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