Riesenmaschine

08.08.2007 | 11:09 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Photosynthese


Aus 597 flickr-Fotos rekonstruiertes 3D-Modell von Notre Dame (Foto: jurvetson) (Lizenz)
Für Tätigkeiten, die eher durch Fleiss und Ausdauer denn durch intellektuelle und kreative Herausforderungen zu charakterisieren sind, schuf der Mensch aus Sand und aus Faulheit den Computer, auf dass er ihn beim Berechnen der Abschussparameter ballistischer Raketen und beim Werfen von leeren Ölfässern auf verliebte Klempner ersetzen möge. Um den nun ununterbrochen auf ihn einhagelnden kreativen und geistigen Herausforderungen Einhalt zu gebieten, erfand er ausgefeilte Freizeitbeschäftigungen, die sich mit Fleiss und Ausdauer begnügen: die DDR, die Steuererklärung und das Tausend-Teile-Puzzle.

Menschen, die das nicht verstanden haben oder einfach kein anderes Thema für ihre Diplomarbeit finden, machen sich daran, diese beliebten Aufgaben nun abermals Gevatter Elektronenhirn aufzuerlegen. Etwa Noah Snavely, Steven M. Seitz und Richard Szeliski vom Graphics and Imaging Lab der University of Washington beziehungsweise Microsoft Research, die sich des Puzzleproblems angenommen haben. Genauer gesagt einer vereinfachten Aufgabenstellung, die davon ausgeht, dass die Motive der einzelnen Teile sich grossflächig überlappen. Und es sind eben auch keine physischen Teile, sondern digitale Fotos, die automatisiert zu einem grossen Ganzen kombiniert werden. Dabei ergibt sich als Abfallprodukt nicht nur ein 3D-Modell des vielfach fotografierten Objektes, sondern auch die genaue Positionsbestimmung der beteiligten Kameras. Egal, ob es sich dabei um Handys oder Spiegelreflexgeräte handelt: Wenn das Puzzle gelöst ist, was schon mal 2 Wochen dauern kann, ist bekannt, an welchen Positionen die Fotografen gestanden haben, jedenfalls relativ zueinander – und das ganz ohne GPS.

Im Bild zu sehen ist, was passiert, wenn dem Algorithmus (PDF Dokument) sämtliche mit "Notre Dame" getaggten Fotos auf flickr zum Frass vorgeworfen werden. Das eigentliche Puzzleergebnis jedoch lässt sich nur anhand dieser Präsentation (die letzen 2/3 handeln von Photosynth) vermitteln, die zeigt, wie wir schon in ganz naher Zukunft durch die Fotos der von Touristen flächendeckend dokumentierten Sehenswürdigkeiten unserer Welt morphen werden. (Noch beeindruckender als diese Präsentation ist das Video zum Paper (Quicktime 120MB oder WMV 55MB), das aber unter Umständen leider vorm Ansehen komplett heruntergeladen werden muss.)

Und weil als Nebeneffekt alle verwendeten Fotos dann sehr exakte Angaben über Position und Aufnahmewinkel haben, können wir zukünftig auf das Fotografieren von Sehenswürdigkeiten endlich ganz verzichten: Ein Klick auf den GPS-Empfänger zeichnet Position und Ausrichtung auf, und zu Hause sehen wir uns dann einfach die Bilder an, die vorher schon hundertmal genau aus dieser Perspektive gemacht wurden. Dann sind auch nicht immer diese Kinder im Bild. Oder zumindest nicht die eigenen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vorher Nachher Urlaubsphotos


03.08.2007 | 02:27 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Nerd Phone


Foto: koenkooi (Mit freundlicher Genehmigung)
1973, wir erinnern uns: ein tolles Jahr! Der Gründer der googligen Firma, Larry Page, wird geboren, die Raumstation Skylab in den Orbit geschossen, das World Trade Center eröffnet und Motorola-Manager Martin Cooper benutzt zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein sogenanntes Mobiltelefon, obwohl Grösse, Gewicht und Wert eher an eine Immobilie denken lassen. Nun gut, Larry Page ist nun doch böse, Skylab ab- und das WTC eingestürzt und die Usability von tragbaren Telefonen ist nur unwesentlich fortgeschritten. Zumindest das letzte Problem scheint jetzt endlich, 34 Jahre nach Erfindung, gelöst: Apple baut zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein Mobiltelefon, das man nicht sofort nach Inbetriebnahme kreischend an der nächsten Waschbetonwand zerschmettern möchte.

Wurde Zeit, ist aber eigentlich jetzt schon langweilig und die Wartezeit seit der Ankündigung lässt dem europäischen Impulskäufer zu viel Zeit zum Nachdenken: Ein schickes Telefon, aber mit eingelötetem Akku, gelockter SIM-Karte und modifiziertem, hermetisch versiegeltem Betriebssystem, das keine Software von Herstellern ausführt, die nicht Apple heissen und rundherum mit Patenten und proprietärem Popanz motivierten Programmierern alle denkbaren Steine in den Weg rollt. "Hey, das iPhone hat doch einen eingebauten Safari-Browser, ihr könnt das also voll gut mit HTML und Javascript und CSS und so programmieren!" lässt die Apple Developer Connection sinngemäss verlauten. Ha-ha.

Der Gegenentwurf, von seinem Schöpfer liebevoll auch "Anti-iPhone" genannt heisst eigentlich "Neo1973" und erinnert mit seinem Namen an Coopers erstes Mobiltelefonat. Gebaut wird es von einer taiwanesische Firma mit dem für deutsche Ohren etwas unglücklich klingenden Namen FIC. Deren Tochter OpenMoko betreut das gleichnamige OpenSource-Projekt, das sich um das Linux-basierte Betriebsystem des Telefons kümmert.

Wie jedem hippen Elektrogerät liegt dem Neo in der Advanced-Ausführung ein Gitarrenplektron bei, das hier jedoch zusammen mit dem massgeschneiderten Schraubenzieher "Neo Cracker" dem Öffnen und Zerlegen dient. Getreu dem Make-Motto "If you can't open it, you don't own it" beweist der Verkäufer hier ein gesundes Verständnis von Besitzverhältnissen. Dass es der Hersteller mit der Offenheit ernst meint, belegt auch die Auswahl der elektronischen Bauteile: Es wurden nur Komponenten verwendet, deren Dokumentation öffentlich zugänglich ist, um – ganz im Gegensatz zu Apple – Softwareentwicklern das Leben besonders leicht zu machen und der Zweckentfremdung bewusst Tür und Tor zu öffnen.

Und wer sich darüber ärgert, dass das iPhone mangels GPS-Empfängers zu den Bildern aus der integrierten Kamera keine Geokoordinaten aufzeichnen kann, horche auf: Mit dem Neo geht das auch nicht! Aber aus dem anderen Grund: Eine blöde Kamera hat man gar nicht erst eingebaut, einen AGPS-Empfänger aber eben schon.

Das Beste aber: man kann es jetzt schon und ohne Vertragsabschluss kaufen. Allerdings erst mal nur in zwei Vorabversionen, die sich an Softwareentwickler ($300) und Hardwarehacker ($450 mit Neo Cracker und Elektronik-Schnickschnack) richten, damit dann im Oktober zum offiziellen Verkaufsstart schon ein paar Killerapplikationen von freien Programmierern fertig sind. Zum Beispiel ein Satellitenbild, das sich stets um die aktuellen GPS-Koordinaten zentriert und die Position aller Freunde mittels blinkender Punkte anzeigt. Friss Staub, Apple!


23.01.2007 | 13:12 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Von echt unecht nach unecht echt


"Züri in a Box"
(etwas klarer wird das Prinzip am grösseren Bild)
Foto: Jan Bölsche
Vor einer Million Jahren, also in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrtausends, als die Menschen – genauer: die Familienväter – noch Hobbys hatten, die es ihnen ermöglichten, soziale Kontakte auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren, versuchten sich einige daran, die Welt jenseits der eigenen Kellerwände möglichst naturgetreu und möglichst zeitintensiv nachzubauen. Aus Platzmangel beschränkte man sich hierbei auf einige wenige Highlights der realen Welt, gern mit einer leichten Fokussierung auf den schienengebundenen Fernverkehr. Weil trotz dieser Beschränkung und der Nutzung des gesamten Souterrains der Platz für einen 1:1-Nachbau noch immer nicht reichte, sah man sich gezwungen, die Welt verkleinert darzustellen, nämlich in H0.

Damit die Peergroup auch was davon hatte und soziale Kontakte dennoch nicht unnötigt vertieft werden mussten, wurden mittels Makroobjektiv Fotos gemacht, die aussehen sollten wie Luftbilder einer realen, auf einer der Ziffer Acht nachempfundenen Gleisanlage endlose Runden durch oberbayerische Bergdörfer mit dem Bahnhof von Baden-Baden drehenden Dampflokomotive mit drei ICE-Waggons. Dass diese Bilder dennoch irgendwie unecht aussahen, lag ausschliesslich an der empörend geringen Tiefenschärfe von Makroobjektiven.

Ganz anders heute: Die überflüssigen Schritte (Vermessung des Originalgebäudes, Produktion und Vertrieb eines Faller- oder Vollmermodells, Erwerb desselben, Zusammenbasteln des Modells mit Flüssigkleber, künstliches Altern mittels Staubpinsel) werden weggelassen und stattdessen einfach ein Digitalfoto der Originalszenerie angefertigt. Die mangelhafte Tiefenschärfe kann entweder mittels Tilt-Shift-Objektivs (teuer) oder per Bildbearbeitung (aufwendiger) hergestellt werden. Die Bilder sind viel grossartiger, massstabsgetreuer, schöner und frei von Achtförmigem. Und weil das ganz ohne Modelleisenbahnlandschaft geht, ist im Keller jetzt endlich wieder genug Platz für den ungestörten Flug mit dem Modellflugzeug.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Sex in H0


16.12.2006 | 14:09 | Anderswo | Alles wird besser | Was fehlt | Vermutungen über die Welt

Von Luft und Liebe allein


keine autonomen Systeme (Foto: brappy / Lizenz)
Man kann der Natur so einiges und manches vorwerfen. Dass sie Kraut und Rüben sei zum Beispiel. Und dass der Wald nicht gekachelt ist, auch. Doch eines nicht: Dass Maikäfer abstürzen, wenn ihre zwei AAA-Zellen leer sind, Katzen sich alle zwei Stunden heimlich in die Ladestation im Flur setzen, um ihre Lithium-Ionen-Akkus aufzuladen und Ameisen auf die Strasse gehen, wenn Vattenfall die Strompreise erhöht.

Das liegt daran, dass die Natur im Gegensatz zum Menschen ihre Gadgets häufig als autonome Systeme gestaltet. Während der Mensch darunter eine Gruppierung versteht, die alljährlich zum ersten Mai die schöne Oranienstrasse kaputtwirft, statt zum Beispiel mal den Potsdamer Platz, meint die Natur damit, dass sich ihre Gimmicks die Energie, die sie zum Sachen-und-Dinge-Tun so brauchen, einfach selber machen. Es ist ja nicht so, dass die Fernsehfernbedienung beispielsweise keine Gelegenheit hätte, ihren Energiehaushalt zu decken: Im Laufe eines durchschnittlichen Fernsehabends wird zumindest auf die Kanalinkrementierungs- und -dekrementierungstasten eine Menge an mechanischer Energie ausgeübt, die umgewandelt den Strombedarf einer Kleinstadt deckt. Für sehr kurze Zeit zumindest. Genug jedenfalls für das kleine Infrarotlämpchen einer Fernbedienung, die dann ganz ohne Batterien auskäme.

Dass so etwas und noch viel tollere Dinge (Tapeten, die aus dem Lärm der Nachbarskinder Strom für die eigene Stereoanlage erzeugen, Mobiltelefone, die sich aufladen, wenn man seinen Gesprächspartner nur laut genug anschreit) tatsächlich funktionieren, beweist das Graduiertenkolleg Micro Energy Harvesting der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, obwohl es das überhaupt erst seit Oktober gibt. In einer Pressemitteilung heisst es: "Die Umsetzung dieser Vision wird zahlreiche neue Produkte ermöglichen und unsere Lebensumwelt in Zukunft vielfach beeinflussen." Eines dieser neuen Produkte könnte zum Beispiel die Rotationsenergie von Fahrradrädern dazu nutzen, Front- und Heckscheinwerfer mit Strom ... schon gut.


16.11.2006 | 16:42 | Anderswo | Nachtleuchtendes | Zeichen und Wunder

Fax an Space Invaders


kein C64 Spiel
Mit Konstanten ist das so eine Sache. Von Soft- und Hardwareentwicklern, die eine Obergrenze für irgendwas als konstant festlegen (99 SMS, 640 kB RAM) heisst es zu Recht, dieses Vorgehen wäre Ausdruck geistiger Trägheit, von Starrköpfigkeit und Fantasielosigkeit. Dass ein 128 Zeichen langes Liebesgeständnis per SMS nun plötzlich kein Platz mehr im Mobiltelefon haben soll, 4 Stunden Musik und 80 Fotos jedoch noch problemlos unterzubringen sind, wird genau von diesen Menschen verantwortet. Junges Glück wird so täglich noch im Entstehen vernichtet.

Den Schöpfer des Universums hingegen hört man noch sagen: "300.000 Kilometer pro Sekunde sollten eigentlich schnell genug für jeden sein." Nimmt man heute den Hörer ab, um einen guten Freund anzurufen, der gerade im Sternbild Herkules wohnt, klingelt sein Telefon erst 22.800 Jahre später. Und dann dauert es noch einmal so lange, bis das "Hallo? Wer ruft da während der Simpsons an?" aus dem Hörer bellt.

Egal! Je eher dran, desto eher kommt es an, dachte sich Frank Drake am 16. November 1974. Er schickte ein Fax, bekannt als die Arecibo-Nachricht, über die die Riesenmaschine exakt alle 32 Jahre berichtet, in damals wie heute trendiger Pixelästhetik an den wohnlich aussehenden Kugelsternhaufen Messier 13. Gut, dass er es schon damals gemacht hat, denn jetzt müssen die Empfänger schon nur noch 22.768 Jahre auf den Empfang warten und haben dann hoffentlich Papier und Tinte im Faxgerät, bzw. ihre Radioteleskopantennen in die richtige Richtung gedreht, und hören die entscheidenen 3 Minuten auch zu.

Hoffentlich kann sich die Menschheit an all das auch noch erinnern, wenn im 470. Jahrhundert auf einmal das Faxgerät klingelt und folgende Nachricht herausfällt: "Hübsch. Hängt jetzt hier am Kühlschrank."

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Rätsel für die ganze Welt


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"Snakes on a Plane", David R. Ellis (2006)

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