Riesenmaschine

04.01.2006 | 11:08 | Alles wird schlechter | Vermutungen über die Welt

Optimismus-Overkill


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)


In Deutschland ist, scheint es, wenn schon nicht in der Bevölkerung oder gar der Wirtschaft, so doch in der Werbung und anverwandten Bereichen des sog. Journalismus der Optimismus ausgebrochen. Zur impertinent pathetischen Du bist Deutschland-Kampagne dürfte ja bereits alles gesagt sein. Zu Weihnachten nun machte die BILD-Zeitung mit der originellen – nun ja – Idee auf, nur gute Meldungen auf die Titelseite zu hieven. Ins gleiche Horn blasend startet die Wohnungvermüllungskette BUTLERs zum neuen Jahr mit einer "Good News"-Offensive mit optimistischen Produkten.

Das ansonsten zurechnungsfähige Designerduo Fremdkörper hat dafür den entlegenen Gedanken eines Glases beigesteuert, dass den mittleren Füllstand als "halb voll" ausweist. Mit einer ähnlich bahnbrechenden Headline-Mechanik operiert die neue Werbekampagne von Coke-light. Mit Headlines wie "Optimisten sicher – Pessimismus am Ende", "Keine Frage: Jammern ist Geschichte" oder "Unwort des Jahres: Miesepetrigkeit" und einem Weltrekordversuch im Dauerlächeln will Coke light, laut Selbstauskunft zu einer neuen Haltung anregen: "Schluss mit schlechter Laune und ewigem Pessimismus. Die Zeit ist reif, mit Coca-Cola light die leichte Seite des Lebens zu entdecken."

Auffällig an dieser Chronologie des laufenden Unfugs ist weniger die individuelle Hybris, mit der Marketingtreibende, denen ihr vorgeschütztes Gutmenschentum zu Kopf gestiegen ist, sich hier in krasser Fehleinschätzung ihres Wirkungsbereiches zu gesellschaftlichen Sprachrohren aufschwingen – derlei mag als déformation professionelle durchgehen –, vielmehr frappiert die bis zur Resonanzkatastrophe gesteigerte Einmütigkeit darüber, dass, was diesem Land fehle, allein der Optimismus sei. Jemandem, der diesem Land ein paar Jahre den Rücken gekehrt hat, um nun unvorbereitet zurückzukehren, muss Deutschland allmählich erscheinen wie ein gehirngewaschener Propagandastaat, in dem Durchhalteparolen und geschönte Faktenklitterung im krassen Missverhältnis zu den sozialen Realitäten stehen. (Vom späten Ceauşescu-Regime erzählt man sich, das dort selbst die Wetterberichte im Fernsehen gefälscht wurden, damit die Menschen nicht mehr so frieren.) Bei so viel forciertem Optimismus möchte man glatt den alten Miesmacher Adorno zitieren, der im Zwiegespräch mit dem alten Desillusionisten Arnold Gehlen seinerseits Grabbe zitierend feststellt: "Denn nichts als Verzweiflung kann uns retten."


03.01.2006 | 20:09 | Alles wird schlechter | Sachen kaufen

Politisch korrekt bechern


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Für Hamburg sieht es schlecht aus. Auch London, Buenos Aires, Kairo und Jakarta verschwinden im Türkisblau der Teetasse. Erst wenn man ausgetrunken hat, tauchen Länder und Städte allmählich wieder auf. Das Geheimnis des wunderbaren "Global Warming Mug" von der Unemployed Philosophers Guild ist nämlich eine wärmesensible Folie, die eine Weltkarte zeigt. Und diese Karte beantwortet folgende einfache Frage: Angenommen, der Meeresspiegel steigt um zehn Meter; wie sehen dann die Kontinente aus? Es ist wohl nicht übertrieben, zu sagen: Niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit konnte man dermassen politisch korrekt ein Heissgetränk zu sich nehmen! Nirgendwo wird einem das Drama der Erwärmung unseres Planeten derzeit drastischer vor Augen geführt, wie auf diesem einfachen Becher Made in China. Wer mit dem Begriff "abwarten und Tee trinken" bisher nur Zeitverschwendung assoziierte, wird in Zukunft an Klimaschutz denken müssen. So revolutionär kann Porzellan sein. Wer jedoch für diese Art der Bewusstseinsbildung zu sensibel ist oder sogar zu nah am Wasser wohnt, greift vielleicht lieber zu anderen Bechern mit anderen Motiven. Bei der VanGogh-Tasse verschwindet nur das Ohr des Meisters. Der Civil Liberties Mug löscht ein paar Bürgerrechte aus dem Bill of Rights. Und Heinrich VIII von England wird nur mit Hilfe von etwas heissem Wasser alle seine Frauen los. Ganz ohne Köpfen.

Jörg Meyerhoff | Dauerhafter Link | Kommentare (19)


02.01.2006 | 16:17 | Alles wird schlechter | Sachen anziehen

Hellmets


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"Die Tastentöne des Handys sind grundsätzlich auszuschalten, damit sie nicht den falschen Leuten zu präsent erscheinen, denn das wirklich Letzte, was wir brauchen, sind Tastenton-Charts". Dieses Zitat von Riesenmaschine-Autor Robert Koall ist wahrscheinlich ohne Kenntnis der Produktpalette der Firma Nogin Sox entstanden (Tipp entnommen wired Printausgabe Dezember 05). Unter der negativen Energie des unbeholfensten Claims seit langer Zeit ("Our Cover.......Your Helmet!") entwickelt dieses Unternehmen witzige Fahrradhelmbedeckungen oder vielmehr das Gegenteil davon. Denn wie inzwischen alle gelernt haben sollten, gibt es keine witzigen Autoaufkleber, keine witzigen T-Shirts und keine witzigen USB-Sticks, da sollte klar sein, dass die Wahrscheinlichkeit der Existenz von witzigen Helmbedeckungen von unten gegen Null strebt. Neben der schieren Unästhetik hat aber jedes einzelne der sieben verschiedenen Modelle noch eine eigene Extraportion Erbärmlichkeit: Der Gehirnhelm "Human Brain" blinkt "wie die Synapsen", und "Screamin' Frog" ist nichts weniger als ein fahrradhelmgewordener Klingelton für Debile. Zurechnungsfähige Menschen würden wohl lieber einen Schädelbasisbruch erleiden als mit einem Frosch auf Ecstasy auf dem Kopf durch die Gegend zu fahren.


30.12.2005 | 03:47 | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren

Ausgangsleistung im Zeptowattbereich


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Die grosse Doppelbegabung Herschell Gordon Lewis war Zeit seines Lebens nicht nur von Blut, Schorf, Eiter und vom Geräusch ausgerissener Zungen fasziniert, sondern naheliegernderweise auch von richtig schlechter Werbung. Zahlreiche Filme und Bücher hat er zu beiden Themen gemacht, und man kann vermuten, dass er seine helle Freude an aktueller deutscher Werbung hätte. Stellvertretend für die harschen Zustände derzeit zwei kesse Beispiele:
Die CMA (=Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH) punktet nicht nur durch eine sagenhaft scheussliche Anzeigenserie, sondern liefert auch noch die Erklärung, warum sie sich nicht logischerweise CMG oder CMGDDAMBH abkürzt: Finde mal ein Wort in dem sich diese Buchstabenkombination so gut einbetten lässt wie in GesCMAck.
Die Firma T+A (steht für "Theorie und Anwendung") vergleicht in der neuen Kampagne (Spiegel 52/05, Seite 47) eine ihrer Lautsprechersäulen mit einem Zierkarpfen (Motto "Das Duell/Teuer gegen teuer!"), natürlich hat der Fisch mehr Nachteile, weil seine "Ausgangsleistung im Zeptowattbereich" liegt und das Lautsprechergehäuse "selbstverständlich ohne Gräten" kommt. Und wo findet man das Zeug?
"Bewundern Sie unsere Geräte in diesen liebevoll gepflegten High-End-Teichen" (Es folgt der Händlernachweiswimmeltext).
Für diesen abstrusen Rotz würde sich nicht nur Herschell Gordon Lewis am Geräusch der zur Strafe bestialisch ausgeweideten Agenturknechte weiden.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (4)


29.12.2005 | 10:52 | Alles wird schlechter | Was fehlt

Wunschzettel 06: Das Gurkophon


Das Gurkitier kann das! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Während das Jahr nun bald zu Ende ist, sind es die Fragen an diese Zeit noch längst nicht. Als pars pro toto etwa diese: Warum ist Humor augenscheinlich eines der wichtigsten Kriterien für Produktdesigner von USB-Sticks, nicht aber für Handyentwickler? Warum kann man seine Daten längst auf einer Barbie oder einem Sushi-Röllchen speichern, jedoch nicht in eine Banane Gurke sprechen, mit einer mit Daumen und kleinem Finger zum Telefon geformten Hand telefonieren, in einen Müsliriegel brüllen oder ein Handy-Dildo (Wahnsinn: Doppelfunktion!) vibrieren sehen? Man ahnt: The best is yet to come. 2006, wir zählen auf dich.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Dahin führt unser Weg


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