Riesenmaschine

02.11.2012 | 00:14 | Anderswo | Fakten und Figuren

Ach wie flüchtig, ach wie wichtig


"Vergänglichkeit", Dresden. Die ursprünglich das Denkmal krönende Seifenblase
wurde im 2. Weltkrieg zerstört. (Foto: Kathrin Passig)

So vieler wichtiger Dinge wird weltweit in Marmorstein und Eisen gedacht: Männer auf Pferden, sehr grosse Männer auf sehr grossen Pferden, Männer falschherum auf Pferden, Männer falschherum ohne Pferd, Robocop, Käsemilben, Wiarton Willie, Penisse, grössere Penisse, aber auch Daumen, Riesenstühle, Haifische, die in Hausdächern stecken, aufgespiesste Insekten, Ho Chi Minhs Hintern, Tiere, die im Krieg gedient haben, Carhenge, Büroklammern, Büroklammern, Gabeln, Gabeln. Aber zu selten gedenken wir einer der wichtigsten Angelegenheiten, der Vergänglichkeit. Vermutlich, weil wir zu selten an sie erinnert werden. Es sei denn, wir halten uns gerade in Dresden auf, wo ein dauerhaftes Spezialdenkmal die Vorüberkommenden mahnt: Bedenke, Mensch, dass du nicht aus Stein bist! Nicht dass du viel davon hättest, wenn du aus Stein wärst, schau mich an, früher oder später erwischt es uns alle, dich etwas früher als mich, du glibbriges Spektakel. Wer jetzt keinen Bausparvertrag hat, kauft sich keinen mehr.


21.10.2012 | 09:51 | Anderswo | Supertiere | Sachen kaufen

Endangered Animals Erasers

Radiergummis sind generell ein konfliktreiches Thema. Man erinnere sich nur an die viele träge Schultage überschattende Frage, wofür die blaue Seite ist. Es hiess, man könnte mit ihr Tinte radieren, aber das war eine Lüge. Auch ihr Geschmack war ein klein wenig fader als der der rötlichen Seite. Über die Kikkerland Design Inc. kann man seit einiger Zeit "Endangered Species Erasers" bestellen: bunte Radierer in der Form von Gorilla, Nashorn oder Eisbär. Zwei Prozent der Umsätze mit den Radierern gehen, so versichert die Website, an ein "Center for Biological Diversity". Auf Inhabitots.com – "Your Guide to green parenting, eco baby & green kids" [sic] – schreibt Julie Seguss hoffnungsvoll: "PVC-free Endangered Species Erasers Help Kids Remember Vanishing Animals".

Abgesehen von den im Tierschutz-Kontext etwas unglücklichen Formulierungen wie "Rhino Eraser" oder "Polar Bear Eraser", scheint der Nachhaltigkeitsgedanke dieses Produkts paradoxerweise erfüllt. Denn für die meisten Menschen stellt ein Radiergummi tatsächlich einen äusserst beständigen Gegenstand dar. Wer, der noch ganz bei Trost und frei von repetitiv-rhythmischen Zwangshandlungen ist, würde je einen ganzen Radiergummi wegradieren? Vorher kauft man sich doch einen neuen.


RHINO ERASER (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Aber sehen wir uns dieses rote Nashorn an. Geht nicht eine dunkle Anziehungskraft von dem hervorstehenden Horn aus? Bestimmt ist es weich und lässt sich hin und her biegen. Es wegzuradieren scheint ein Leichtes, irgendetwas tief in uns verlangt danach, vor allem, wenn man ein Kind ist, das weit mehr Freude an Metamorphose als an Nachhaltigkeit empfindet. Nach kurzer Zeit würde das Gumminashorn ohne sein Horn dastehen, so wie das echte Tier, an dessen Leid es erinnern soll. Chinesische Potenzmittel. Jemenitische Dolchgriffe.

Ausserdem: "Help Kids Remember"? So sicher es auch sein mag, dass das vom Aussterben bedrohte Tier niemals zur Gänze wegradiert werden wird, so sicher ist es auch, dass ein kleiner Teil, ein hervorstehender, auf alle Fälle dran glauben muss. Als erstes würde mit Sicherheit die Schnauze des Eisbären verschwinden, die Schädeldecke des Gorillas, das biegsame Horn. Und die Form des im Gedächtnis der kommenden Generation zu bewahrenden Tieres wäre für immer verändert.

Und doch bleibt es eine interessante Idee: ein Produkt so zu designen, dass es – unter idealen moralischen Vorraussetzungen des Käufers – nicht mehr nach seiner eigentlichen Funktion verwendet werden kann. Das Design des Produkts erweckt Mitleid und verhindert, dass das Produkt überhaupt je zum Einsatz kommt. 'Design vs. Funktion' als ethisches Dilemma. Aber der Gummi, der als verwendetes Material ebenfalls zum Designkonzept gehört, erweckt vielleicht auch andere, dem Mitleid entgegenwirkende Ideen – er ist weich, formbar, er schreit nach Veränderung.

Die "Endangered Wildlife Erasers" sind nicht die erste Erfindung ihrer Art. Eine Internetsuche ergab bei "endangered wildlife soap" tatsächlich einige Treffer. Die Drogerie-Kette The Body Shop verkaufte im Jahr 1991 ihre Animals in Danger Soap. Seifenstücke in der Form von bedrohten Tierarten, von deren Verkauf ebenfalls ein bestimmter Prozentsatz einen guten Zweck unterstützte. Doch wenn ein Seifenstück aufgebraucht war, kam, als Überraschung, eine kleine Spielfigur desselben Tieres zum Vorschein, die man sich dann tatsächlich irgendwo hinstellen konnte – für immer. Aber das war 1991.


10.10.2012 | 02:24 | Anderswo

Die letzte Ölung


Ölfelder, endlose Weiten (Foto: Aleks Scholz)
Es gibt nicht viele Begriffe, die so vielfältige Gefühlslagen produzieren können wie Öl. Zum Beispiel Sonnenblumenöl: maximale Gleichgültigkeit. Ölmalerei dagegen: kulturelles Hochgefühl bzw. Gicht. Oder Ölwechsel, maskulines Grunzen, auf einer Linie mit Reifenquietschen. Und natürlich Peak-Öl: Weltendämmerung, apokalyptische Ahnungen. Oder nehmen wir Kürbiskern-Öl, typische Prenzlauer-Berg-Gefühle. Andererseits Ölprinz: Mordlust (Karl May). Dann aber auch wieder Silikon-Öl: Angst vor sexuellem Versagen. Nur zwei Buchstaben, soviele Optionen! Und natürlich Ölpest: Drama, letztes Flügelschlagen, Tod. Einen kleinen Teil aus diesem breiten Spektrum wird es jetzt auch in der Hedonistenmetropole Dalkey im Süden von Dublin geben, denn wie die Lokalpresse meldet, installiert eine Firma mit dem angenehm fadenscheinigen Namen "Providence Resources" demnächst eine Ölplattform (!!!) direkt vor der Küste des wohl prominentesten Dorfes Irlands. Dessen Bewohner, unter anderem Bono, Enya, Jim, Cormac und Bimbo, sind jetzt entweder entsetzt, verzweifelt, wütend, auch überrascht und ein wenig eingeschnappt, so viele Gefühle, ein klares Anzeichen, dass es um Öl geht, die Edelschmiere für Gefühlswechsel. Noch ist nicht klar, um welche Art Öl es sich handeln wird, noch ist alles möglich, von Todesangst bis Orgasmus, das ganze Spektrum. Öl ist so unberechenbar. Alle rutschen auf ihren Ufersteinen nervös hin und her und warten auf die Testbohrung. Drill, Providence Resources, drill. Öl in Dalkey, das ist so, wer weiss.


08.07.2012 | 11:07 | Anderswo | Papierrascheln

Matthias Nawrat, Preisträger der Magnetspulenherzen

Was bisher geschah:
Der Preis erklärt (2008)
2008, Tag 1, Tag 2, Preisverleihung
2009, Tag 1,Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2010, Tag 1, Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2011, Tag 1, Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2012, Tag 1, Tag 2, Tag 3
Kriterienliste

Der Automatische Literaturkritik-Preis der Riesenmaschine wurde gegen 10:30 an Matthias Nawrat für seinen Text "Unternehmer" verliehen. Der Autor erhielt wenig später auch den kelag-Preis und kommt damit auf ein Gesamtpreisgeld von 10.500 Euro. Nawrat hält mit 8 oder 9 Punkten einen neuen Rekord (in den Vorjahren Tilman Rammstedt: 5 Punkte, Karl-Gustav Ruch: 2 Punkte, Dorothee Elmiger: 6 Punkte, Linus Reichlin: 7 Punkte). Der Kriterienkatalog der Automatischen Literaturkritik wurde von vielen Autoren in diesem Jahr in löblicher Weise berücksichtigt, den seltenen und bisher nur zweimal (2008 an Alina Bronsky, 2010 an Dorothee Elmiger) vergebene Alison-Bechdel-Punkt konnten gleich vier Autorinnen verbuchen. Die Riesenmaschine dankt allen Helfern, ein Foto des Preisträgers folgt.

Automatische Kulturkritik | Dauerhafter Link | Kommentare (2)


07.07.2012 | 11:56 | Anderswo | Papierrascheln

Automatischer Literaturkritik Preis 2012, Tag 3

Was bisher geschah:
Der Preis erklärt (2008)
2008, Tag 1, Tag 2, Preisverleihung
2009, Tag 1,Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2010, Tag 1, Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2011, Tag 1, Tag 2, Tag 3, Preisverleihung
2012, Tag 1, Tag 2
Kriterienliste

#11: Matthias Nawrat "Unternehmer"
Plus: 1, 2, 3, 7, 15, 17, 21, 25, 30, 37, 41, 44
Minus: evtl. 35 (Autor fragen), 45, 96, 135
Gesamt: 8 oder 9 Punkte

#12: Matthias Senkel "Aufzeichnungen aus der Kuranstalt"
Plus: 1, 2, 20
Minus: 15, 17, 35, 42, 47, 55, 69
Gesamt: -4 Punkte

#13: Leopold Federmair "Aki"
Plus: 1, 2, 7, 16, 36, 44
Minus: 3, 6, 15, 47, 85, 96, 123, 143
Gesamt: -2 Punkte

#14: Isabella Feimer
Plus: 1, 2, 7, 44
Minus: 11, 22, 42, 43, 52, 92, 93, 98, 101, 104, 148
Gesamt: -7 Punkte

Automatische Literaturkritik | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


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"Blood: The Last Vampire", Chris Nahon (2009)

Plus: 3, 42, 52, 80, 89
Minus: 1, 13, 99
Gesamt: 2 Punkte


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