Riesenmaschine

05.08.2007 | 10:58 | Berlin | Alles wird besser

Townhouses à la Gaza


Vorsicht, es wird von der Schusswaffe Gebrauch gemacht! (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Das neue grosse Wohn-Ding in Berlin sind derzeit die Townhouses. Dabei ist unter dem Begriff durchaus Platz für unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen davon, wo die Reise der Stadt durch die Zeit hingehen soll. Während das noch von Baudirektor Stimmann durchgesetzte individualistische Ensemble am Friedrichswerder in Mitte das grossbürgerliche "Anything goes" der Kaiserzeit emuliert, wird in den Prenzlauer Gärten am Volkspark Friedrichshain das kleinstädtische Vorortidyll von – sagen wir: – Münster-Gievenbeck im neuen International Style der Gated Community aus einem Guss inszeniert. Obwohl längst nicht restlos verkauft, werden dort gerade die meisten Einheiten bezugsfertig gestellt. Schon parken Family-Vans und Mittelklasse-Limousinen in den Einfahrten, einzelne Balkone sind mit Vorgarten-Windspielen und bunten Glaskugeln dekoriert, Kinder in Bullerbü-Outfit und mit ebensolchen Namen spielen artig zwischen den Rabatten. Nur zwei seltsame Kuben aus massivem Beton an der Einfahrt befinden sich noch im Rohbaustadium und geben Rätsel auf: Werden hier demnächst zeremonielle Torwächter mit hoher Fellmütze und Bajonett patroullierend ihren Dienst versehen? Oder werden die Dinger doch noch mit Sandsäcken und Maschinengewehren zu veritabel wehrfähigen Wachtposten-Stellungen à la Gaza-Stadt hochgerüstet? Das hängt wohl auch davon ab, wie sich das soziale Klima im umliegenden Favela-Bezirk Prenzlauer Berg in der nächsten Zeit verschärft.


04.08.2007 | 14:14 | Berlin | Alles wird besser | Fakten und Figuren

Ausrufung des Neokambrium


So sieht das Ende der Postmoderne aus (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Am Sonntag, den 29. Juli 2007 kam es in der Schankwirtschaft Prassnik zu einer Diskussion. "Was kommt eigentlich nach der Postmoderne, die ist ja inzwischen auch langweilig geworden", so lautete die zentrale Frage, die unter anderem behandelt wurde von Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, dem Fachspezialisten Philipp Albers, dem Universalgelehrten Marek Hahn und Google per Handy. Moderne, so rief man sich ins Gedächtnis bzw. in den bestürzend kleinen Handycache, war geprägt von Gesellschaftsbildung, Industrialisierung und Erfindungen, die die sichtbare Welt dramatisch veränderten. Die Postmoderne dagegen, in den 1960ern beginnend, spielte sich hauptsächlich in den Köpfen ab und hatte deshalb eher ästhetische, soziale und lächerliche Komponenten, so die gestauchte Basisdefinition.

Nun aber, auf das Jahr genau elf Jahre nach der das Ende der Postmoderne einläutenden Sokal-Affäre, ist ein anderes Zeitalter über uns hereingebrochen und der Tropfen, der das Fass zum Überkochen brachte, ist nicht mehr als eine Schweizer Werbekampagne des Umweltherstellers WWF (Foto), in der ein scheinbar für andere stimmergreifendes Plakat darüber spricht, dass es nur ein Plakat sei. Der davorstehende Mensch, im Bewusstsein der Entstehungsweise eines Plakats, für das es allein aufgrund der Vielzahl der Beteiligten schon eine Unverschämtheit ist, wenn es "ich" sagt, abgesehen davon, dass es im Magritte'schen Sinne natürlich nichts sagt, muss erkennen, dass Zitat, Referenz und Ebenenbruch als Kulturtechniken ausgedient haben; die Postmoderne wird mit 47 frühverrentet.

Ein Sprung zurück: Während des Urknalls vor knapp 14 Milliarden Jahren entstand die Unbelebte Materie. Das Kambrium, keine 500 Millionen Jahre her, brachte uns die Kambrische Explosion, auch als Biologischer Urknall bezeichnet; es entstanden die heutigen Formen der belebten Materie. Es fehlt: der Urknall der belebten Unmaterie, ein geistiger Urknall, ein neues Kambrium im Kopf – eben das Neokambrium. Dieses sei hiermit ausgerufen, auch aus cargokultischen Gründen, also damit es endlich anfängt. Ein erstes Kennzeichen steht auch bereits fest: die gefühlte Realität, gleichzeitig Stärke und Schwäche der Postmoderne, wird abgeschafft. Man darf wieder unterscheiden zwischen Quatsch und kein Quatsch. Wie genau, das wird in den nächsten 500 Millionen Jahren zu klären sein.


30.07.2007 | 10:11 | Berlin | Vermutungen über die Welt

Fassadeure


Dieses Hausbild (Berlin, Senefelder Platz) ist zur Verdeutlichung elektronisch nachvertont worden. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die meisten Leute kommen irgendwie mit ihrer Sterblichkeit zurecht, wenn sie in den unverdrängten Momenten der Verzweifelung was trinken oder an sich herumspielen. Die anderen werden Architekten. Sie wollen ausschliesslich grosse, monumentale, ewige Gebäude bauen, aber denken sich eine Menge Kulturgetöse drumherum aus, damit man nicht merkt, wie fixiert sie auf die Unsterblichkeit sind. Deshalb heissen auch sämtliche Architekturbüros wie ihre Gründer. Ewigkeit aber ist ein eher langzeitorientierter Ansatz, weshalb es den meisten Architekten schwerfällt, so etwas wie Trends oder Moden korrekt einzuordnen; prompt versagen sie auf diesem Feld wie selten versagt wird in der Kultur. Ein Beispiel, nein, Beweis für diese Unfähigkeit steht in Berlin Prenzlauer Berg. Das Haus wurde vor kurzem mit einer Fassade versehen und zwar mit einer gelb-ocker-orangenen Fassade in Schwämmchentechnik bemalt. Diese Wandbemalungstechnik wurde in Berlin zeitgleich mit den K&D Sessions von Kruder & Dorfmeister entdeckt, jene wie solche beherrschten dann die Cafés, um anschliessend als Teil der Fin-de-Siècle-Kultur pünktlich zur Jahrtausendwende im Nichts zu verschwinden. Und nun kommt so ein Architekt, erinnert sich an die 90er Jahre und malt die Fassade mit Kruder & Dorfmeister voll. Er wird seinen Tod nicht verhindern können, wie so viele.


06.07.2007 | 19:28 | Berlin | Fakten und Figuren

Weil einfach einfach Einfalt ist


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In jedem von uns steckt ein Neandertaler, der sich nach Einfachheit sehnt. Lasst uns ihn bekämpfen! Dreitausend Jahre europäische Zivilisation mit dem Ziel, alles so komplex wie möglich zu machen, dürfen nicht verleugnet werden! iPhoneskes und Googleartiges muss als unterkomplexe Gesellschaftsverdummung begriffen werden; setzt es sich durch, wird schon in wenigen Jahren die menschliche Intelligenz durch ständige Unterforderung verkümmern. Jetzt, wo Siemens keine Handys mehr herstellt, hält allein das Antiusability-Bollwerk Motorola den Intelligenzbooster der terakomplizierten Handysoftware hoch. Alles wird immer einfacher und damit weniger herausfordernd, wie sollen unsere Kinder die für das Leben unabdingbare Erfahrung des Scheiterns am Gerät dereinst nachvollziehen?

Zum Glück regt sich gegen die Diktatur der Einfachheit, den gefährlichen Usability-Populismus, Protest von unten. Der Wirt eines Restaurants in der Berliner Cantianstrasse etwa bringt uns mit dem nebenstehenden Schild bei, wann Happy Hour ist, wann Crazy Hour und wann nicht. Wer dieses Schild länger als acht Minuten betrachtet, beginnt, es sinnvoll zu finden und ist gerettet.


02.07.2007 | 08:05 | Berlin | Essen und Essenzielles

Apfelkuchen statt Akademie


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wer in Berlin Wissenswertes und Nützliches über die Welt erfahren wollte, besuchte in den vergangenen zehn Jahren die Seminare der 1997 gegründeten Wissenschaftsakademie von Rafael Horzon. In kompakten Bildvorträgen vermittelten die Referenten den wissenschaftlichen Erkenntnisstand über Schwarze Löcher im All, Sprengtechnik, das Rasterelektronenmikroskop, Cargokulte oder den Schabrackentapir. Nach dem Besuch von nur vier Vorträgen verlieh die Wissenschaftsakademie ihren Studenten das Diplom. Nachdem mehrfache Angebote zur Fusionierung mit den Berliner Universitäten von diesen abgelehnt wurden, hat Multiunternehmer Horzon diese löbliche Institution an diesem Wochenende für beendet erklärt. Zugleich gab er mit der Verleihung der letzten Diplome im Anschluss an das Abschluss-Seminar "Die letzte Utopie – Massensuizid als Gesellschaftsentwurf" von Christian Kracht die Eröffnung eines Fachgeschäfts für Apfelkuchenhandel am gleichen Ort bekannt. Die bis in die frühen Morgenstunden andauernde Eröffnungsgala wurde einzig und allein mit dem Lied "She's an Apple Pie" der Berliner Band Kissogram bestritten. Auf Nachfrage teilte Horzon mit, dass er bei seiner neuen Unternehmung "dreistellige Umsätze" anpeile. Wir wünschen viel Erfolg.


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