04.10.2007 | 18:07 | Was fehlt | Vermutungen über die Welt
 Verpasst nicht nur den Bus (Foto: Jan Bölsche)Die Welt ist furchtbar komplex und die Anforderungen an das Leben vielfältig. Wir wären verloren, könnten wir nicht üben. Und wie lernte man besser für das Leben als von Computerspielen? Wie es sich anfühlt etwa, wenn das andere Staatsoberhaupt offenbar das Vertrauen in bilaterale Abkommen verloren hat und beginnt, im Grenzgebiet einen Raketenschutzschild zu errichten – und das völlig zu Recht. Oder wie man beim Drogentransport vom Hafen nach Downtown Miami mit dem Ford Mustang elegant durch die Fensterfront des Strassencafés Biscayne Blvd Ecke Northeast 15th Street rutscht, so über dreieinhalb Sekunden rausholt und die Polizei hilflos fiepend hinter sich lässt. Oder wie, mit der richtigen Schlagtechnik, die unbewaffnete Pandapflegerin Ling Xiaoyu den bescheuert tänzelnden, gepanzerten und besäbelten Ninjaritter in den überaus verdienten Tod prügeln kann.
Was es braucht, um handlungsfähig zu bleiben, ist gutes Training also. Oder eben: ein Mittel zur Reduktion der Komplexität. Luhmann befand, nichts sei zu diesem Behufe besser geeignet als Geduld und Spucke Vertrauen, wenngleich er einräumt, ebendies sei stets eine riskante Vorleistung. Gemeinhin gilt Vertrauen als etwas, das aus guten Erfahrungen in der Vergangenheit und der Hoffnung auf das Gute im Menschen entsteht. Wie aber das Gute mit dem Training verbinden, werden sich die Macher des Taxispiels gefragt haben bevor sie machten. Ihnen gelang so Erbauliches wie Lehrreiches, dass die Schöpfer des Wartespiels vergangen sein müssen vor Neid. Denn wo letztere sich in einem stoisch-nihilistischen Mischwasser suhlen, das nach unvermeidlichem Verpassen stinkt, haben erstere den Sinn hinter das Warten gesetzt.
Pffft, mag mancher sagen, toller Sinn das, wenn eine Fliege angesummt kommt (Warten), obwohl auch Affen aufs Dach aufschlagen und die Heckscheibe herunterpoltern könnten (H drücken). Die so sprechen, vertrauen eben ungenügend, und werden nie das Lächeln sehen, das dem Passagier nach 7 Stunden übers Gesicht huscht, wenn die Klaviatur des Bösen ungespielt bleibt. Wer stets Böses tut, verpasst unterhaltsame Nebensächlichkeiten des Lebens. Für den Einsatz von Nuklearsprengköpfen gilt das übrigens auch. Es sei denn, die anderen haben angefangen.
04.10.2007 | 10:09 | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.) (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Es war alles so schwierig geworden in der Welt von heute! Die Mitarbeiter der namenlosen kleinen Agentur rangen die Hände. Wenn es doch nur ein verbindliches Nachschlagewerk gäbe, in dem man einfach nachsehen könnte, ob man nun "zu Hause", "Zuhause", "zuhause" oder "zu hause" schreiben sollte! Einfach irgendwas ausprobieren ging natürlich nicht, das sah man ja an den T-Home-Plakaten "Grenzenlos Zuhause", "Filmreif Zuhause" und "Neugierig Zuhause", die deutschlandweit von Germanisten mit Schmutz beworfen wurden. Das durfte der Familien für Kinder gGmbH auf keinen Fall passieren. Als die Not am grössten war, fasste sich das Mariechen ein Herz. Es war Praktikantin, und es sagte mutig: "Wir könnten alles gross schreiben, dann merkt man schon mal nicht, wie schwer das mit der Gross- und Kleinschreibung ist. Und dann lassen wir so eine ganz kleine Lücke zwischen 'zu' und 'Hause', und wenn sich dann jemand beschwert, dann sagen wir einfach 'Ist doch zusammen!' oder 'Ist doch auseinander!'. Also, das ist jetzt nur meine Meinung ..." Dann verstummte das schüchterne Mariechen wieder. Hei, war das ein Jubel in der kleinen Agentur!
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ein schöner Tag bei der ARD
03.10.2007 | 19:08 | Anderswo | Zeichen und Wunder | Papierrascheln
 diffus wahrnehmbare Aufbruchstimmung – 2/05 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.) ..., er sieht auch nicht gut aus in letzter Zeit, früher hat er eher mal noch einen Witz gemacht, aber man muss sich das auch mal vorstellen, die ganze Verantwortung für 9 Angestellte, das nimmt man ja mit nach Hause, sowas, er müsste einfach mal wieder raus ...
Eine solche Litanei neben eine schnelle Zeichnung vom Chef notiert, trägt den schönen Titel: "Der Chef von unten". Gezeichnet ist es auf Briefpapier der Firma "Carat Hamburg GmbH & Co.", wo Peter Piller jahrelang und offensichtlich eher widerwillig arbeitete, um sein Leben und seine Kunst zu finanzieren. Das war lange vor der Erfindung der Digitalen Bohème und heute kann Piller denn auch von der Kunst und der Professur an der HGB Leipzig leben. Es ist ihm zu gönnen, denn selten ist Kunst vergnüglicher als bei Ausstellungen von Photographien aus dem Archiv Peter Piller.
Wir danken Piller aber trotzdem für die Zeit, die er bei der Carat Hamburg GmbH & Co körperlich anwesend war, denn schöner und präziser als in den dort entstandenen Zeichnungen wurde der trübe Wahnsinn des modernen Büroalltags nie dargestellt. Skizzen und Notizen wechseln sich ab oder ergänzen sich und die Titel – oft ebenso wichtig wie die Zeichnung selbst – geben Auskunft über den Verbleib von Pillers Geist.
Piller röntgt "Die Kammer, in der das Klopapier gelagert wird" vom Schreibtischplatz aus, rekonstruiert eine Excel-Tabelle vom Monitor aufs Briefpapier, skizziert den an den Monitor gelehnten Teddy der Kollegin und richtet den Blick bisweilen auch aufs grosse Ganze. "Wessen Kapital lenkt uns bloss? Und wohin?" steht unter der Skizze einer typischen Bürotasse – und man leidet mit beim Versuch Pillers, sich zwischenmenschlich über Wasser zu halten: "Im Gegenüber den feinsinnigen Privatmenschen vermuten".
"Herr Piller gibt sich Mühe, damit es ein weiteres Jahr keinen Ärger mit ihm gibt", gemalt in dicker Blockschrift und von Piller selbst unterschrieben, macht, dass man Piller nachträglich trösten möchte – wenn man mit Lachen fertig ist. Und dann wendet man sich der Zeichnung eines knienden, durchsichtigen Mannes zu, dem rektal ein spitziges schwarzes Etwas durch den ganzen Körper bis in den Kopf getrieben ist. "Darmspiegelung – armer Kollege. Gibt einen Tag frei."
Wir empfehlen dringend einen baldigen Ausflug ins Kunsthaus Glarus wo das Konvolut "Bürozeichnungen" neben den bekannteren Photoarbeiten Pillers zu sehen ist. Und wer jetzt meint, Glarus sei ja nicht grad ums Eck, dem halten wir entgegen, dass man die vollständige Staffel von "The Office" ja auch nicht in zwei Stunden weggucken konnte.
Peter Piller – Ästhetik und Langeweile, noch bis zum 18. November im Kunsthaus Glarus. Bei Christoph Keller Editions, JRP/Ringier, Zürich ist ausserdem die Publikation "Teilzeitkraft" mit den Bürozeichnungen erschienen.
03.10.2007 | 08:46 | Essen und Essenzielles | Effekte und Syndrome
 Man könnte noch darüber spekulieren, ob die Vagina Dentata hier irgendeine Relevanz hat, aber das soll doch lieber Sarah Lucas machen. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Seit einiger Zeit gehört zum guten Handwerkszeug der Markentechnik, dass nicht nur die Sonnenseiten des Lebens für die Attribuierung der Marke herangezogen und urbar gemacht werden, sondern auch eine gewisse Dosis darke Düsternis mit beigemengt wird. Wie Menschen, so wirken auch Marken facettenreicher und interessanter, die nicht nur Friede, Freude und Harmonie verströmen, sondern streitbar daherkommen und mit einem gewissen Zug zum Abgründigen aufwarten. Das erklärt möglicherweise, warum die Telekom ihren aktuellen TV-Spot mit der Satanisten-Hymne "Paint It Black" unterlegt (obwohl es in dem Fall wirklich nicht not getan hätte). Und irgendwie spielt das Kalkül wohl auch beim "Angry Whopper mit Angry Onions und Jalapenos" von Burger King mit hinein, zumal dieser anscheinend im TV oder zumindest auf Youtube mit einem SM-affizierten Werbeclip der klischiertesten Sorte beworben wird. Naheliegenderweise handelt es sich jedoch eher um die bereits von anderen Fast-Food-Herstellern (wenngleich nicht so konsequent) als Ausweg aus der Imagekrise angetretene Flucht nach vorn, das Unvernünftige, Ungesunde und Selbstzerstörerische des Produktes in etwas Erstrebenswertes zu verkehren, indem man es zu Mutprobe, Härtetest und Männlichkeitsbeweis stilisiert. Eine Volte mithin, die – und hier schliesst sich der semantische Zirkel – vor allem auf die testosteronverseuchte männliche Jugend, die sogenannten "angry young men", nachhaltig Eindruck macht. Ursprünglich stammen die zornigen Zwiebeln übrigens aus David Burkes Rezept für "Angry Onion Relish", wobei das "angry" für eine Schärfe steht, die durch Beigabe von Senföl erlangt wird.
02.10.2007 | 01:09 | Anderswo | Alles wird besser | Zeichen und Wunder
 links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Le Corbusier schlug 1925 im 'plan voisin' vor, die schmutzige, unhygienische, dunkle, veraltete und nicht autogerechte Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Hochhäuser zu bauen. Er dachte sich, dass so alle Menschen in Licht, Luft und Sonne funktional und gesund leben könnten und versprach sich (und allen anderen) davon eine bessere, lebenswertere und gerechtere Welt. Wie man heute noch sehen kann, ist Corbusier mit seinem Vorschlag kläglich gescheitert. Er war den Leuten wohl irgendwie zu technisch.
 links: Paris vorher / rechts: Paris nachher (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Ganz anders hingegen seine Majestät Maharadja Nader Raam. In "perfekter Beziehung zum Kosmischen", zum "unendlichen und unbegrenzten Feld des Bewusstseins" und "dem allem zugrunde liegenden gesamten Naturgesetz" kommt jetzt sein Vorschlag für den Neuaufbau von Paris nach Sthapatya-Veda, von dem er sich (und allen anderen) "Leben in Erleuchtung, vollkommener Gesundheit, Wohlstand, Unbesiegbarkeit und Frieden" verspricht: Seine neue, ideale Stadtplanung sieht vor, die Altstadt von Paris abzutragen und auf den Trümmern ein Raster von Strassen und nach der Sonne ausgerichtete Häuser zu bauen.
Na also. So gehts doch auch, Herr Corbusier!
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Salatsaucen mit Fischfond (Japan)
- Krause-Endkolben
- Ringo (Sanderstraße)
- schwaches, williges Fleisch
SO NICHT:
- Armbanduhr (überholt)
- Chaos-Forschung
- sich wie in Israel verhalten (in der Beziehung)
- Gammelfleisch
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Inception", Christopher Nolan (2010)
Plus: 1, 22, 24, 36, 66, 73, 80, 124 Minus: 1, 9, 102 Gesamt: 5 Punkte
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