Riesenmaschine

30.07.2006 | 03:12 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt

Normatives Fahrverhalten


Verboten ist geboten (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Noch hört man ihn, den herzhaften Klang röhrender Motoren, wenn die Jungs von nebenan mit ihren aufgebohrten Fahrzeugen mal wieder mit Tempo 120 durch die Zone 30 brettern. Ab nächstem Jahr könnte das vorbei sein, denn dann ist Schluss mit Alkohol am Steuer für Fahranfänger. Wenn schon, so sagt man, die Wertevermittlung in den Familien nicht mehr klappt, dann muss eben die Polizei nachhelfen. Parallel dazu müsse aber unbedingt auch das Schulwesen in Sachen Tugendförderung nachrüsten. So werden denn auch etliche neue Versuche gewagt, um mit den Kleinen über die "Grundlagen und Folgen des Handelns, einschliesslich von Sinn- und Wertfragen" ins Gespräch zu kommen. Aber Vorsicht ist geboten. Es könnte nämlich auch passieren, dass es demnächst dem Schutzmeister aus dem Autofenster entgegentönt: "Wenn es verboten ist, betrunken ein Kraftfahrzeug zu führen, und man dennoch betrunken eines führt, dann ist es auch geboten, den Amtmann über den Haufen zu fahren, Fahrerflucht zu begehen und Passanten zu erschiessen." Jetzt wird der Polizist entweder vorsichtig seine Dienstwaffe lockern, oder er ist gut informiert und weiss, dass der Delinquent an der Schule Normenlogik beigebracht bekam und ihm gerade ein astreines deontisches Paradoxon aufgetischt hat, genauer das Paradoxon der abgeleiteten Pflicht. Die Situation ist jetzt für den Wachtmeister aber nicht minder kritisch, denn bis dato gibt es keine zufriedenstellende Lösung dieser Paradoxien. Es müssen unweigerlich die Waffen der Argumentation sprechen.

Ruben Schneider | Dauerhafter Link | Kommentare (6)


29.07.2006 | 12:35 | Fakten und Figuren | Zeichen und Wunder

Haarige Eisen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zum Problem des Körpers, das die poststrukturalistisch inspirierte Geisteswissenschaft schlaflos hin und her wälzt (von Körpern von Gewicht bis hin zu Reizbaren Maschinen), gehört untrennbar auch das Problem der Haare. Die Körper bekommt die Disziplinar- oder meinetwegen Kontrollgesellschaft schon irgendwie in den Griff, spätestens bei den Haaren aber ist sie machtlos. Und auch der im Sinne der affirmativen Subversion positiv umcodierte Out-of-Bed-Look kann hier keine gesamtgesellschaftlich befriedigende Lösung sein. Was also tun mit den Haaren?

Mal die Kunst befragen: Simon Schubert füllt für die Saatchi Gallery eine Badewanne damit. Zuvor hat man dort die Putzfrau beiseite genommen und "gebrieft", damit nicht wieder das selbe passiert wie 1986 in Düsseldorf oder 2004 in London. Schon 1971 hatte bekanntermassen der Kopf- und Körperkünstler Timm Ulrichs einen "Künstlerhaarpinsel" aus Eigenhaar hergestellt. Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Sleek macht uns auf die holländische Künstlerin Chrystl Rijkeboer aufmerksam, die Haare zu ihrem Hauptwerkstoff erkoren hat. Und zwar strickt sie aus gesponnenem menschlichem Haar, das sie über Friseursalons bezieht, Pullis, Hasskappen und Ganzkörperumpuschelungen, bastelt aber auch andere haarige Objekte wie diesen Ohrenhaarsessel oder einen haarigen Ball mit Zähnen, der uns – wir wissen auch nicht genau, warum – an die Vagina Dentata denken liess. "Meine Arbeiten können auf zweifache Weise empfunden werden," sagt die Künstlerin, "entweder als gefällig, hübsch und unschuldig, oder als beunruhigend, abschreckend und schuldbeladen." Auch wir schwanken noch, und fühlen uns an eine Stelle aus Wolfgang Herrndorfs In Plüschgewittern erinnert:

Als Kind hatte ich mal die Idee, meine abgeschnittenen Fingernägel und überhaupt alles, was von meinem Körper abgemacht wurde, also Hornhaut, Schorf und Haare, in einem grossen Eimer unter meinem Bett zu sammeln und aufzubewahren. Ich dachte, dass es ein bedeutender Augenblick sein müsse, wenn das Gewicht dieser Dinge so gross würde, wie mein Eigengewicht. Dass ich wahrscheinlich sterben würde an diesem Tag.

Dass jetzt aber jemand die Probe aufs Exempel macht, auf die Idee kommt, ein derartige Objekt herzustellen und zur Kunst zu erklären – da sei die Kontrollgesellschaft vor.


29.07.2006 | 02:24 | Alles wird besser

Sumozart


Suma, a 45-year-old elephant and long-time resident of the Zagreb Zoo, was bereaved and inconsolable
Musik ist für so allerhand zu gebrauchen. Nachbarn ärgern, Aufzüge verpesten, Filme versauen, Reise nach Jerusalem, die Welt ist ein Open-Air Festival mit eitel Blasmusik. Man könnte sich seit einigen Jahren Musik sogar unterwegs anhören, wenn endlich mal jemand Kopfhörer dafür erfände. Und neuerdings erleichtert Musik auch Elefantentröstern ihre harte, deprimierende Arbeit, seit nämlich Elefantendame Suma durch Mozart über den Verlust ihres Elefantengatten hinweggetröstet wurde. Und von weniger Jobgejammer der Elefantentröster profitieren wir ja alle. Danke, Musik.


28.07.2006 | 19:53 | Alles wird besser

Goldberg Variationen


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Kollege Lobo wies unlängst schon auf die Gefahren der Ungeficktheit hin. Umso mehr sollte man diejenigen loben, die sich in Zeiten grosser Ungeficktheit anderen Dingen zuwenden und dabei all diejenigen Lügen strafen, die nach jedem Schulmassaker danach schreien, noch mehr Videospiele verbieten zu lassen. Dabei gibt es Beispiele, an denen man sehen kann, wie sich Ungeficktheit und die daraus resultierenden Nebenwirkungen (Mundtrockenheit; verstärkter Wunsch, alle Mitmenschen niederzuballern) mithilfe von Game MODs in viel unschädlichere und unterhaltsame Bahnen lenken lassen können. So kann man zur Zeit auf allerlei Seiten sehr schöne, auf Half Life 2 basierende Rube Goldberg Animationen sehen, die in manchen Ländern noch in mühseliger Handarbeit hergestellt werden. Auf solche Ideen wären die meisten Vielficker nie gekommen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Pitagora Suichi


28.07.2006 | 09:52 | Vermutungen über die Welt

Achsel des Guten


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Zum Schönheitsideal jeder Epoche gehört eine besonders fetischisierte Region des weiblichen Körpers, die – entblösst oder auch nicht – entsprechende Beachtung erfährt. Im Rokoko war es das korsettgefasste Dekolleté, also der Busen im ursprünglichen Wortsinne. Im keuschen Kaiserreich dagegen nackte Fesseln und Handgelenke. Die Wade und das sukzessive freigelegte Knie beherrschten auch die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, während die zweite über weite Strecken von den klassischen Pin-up-Attributen Brust und Po dominiert wurde. Erst zur Jahrtausendwende geriet mit sinkender Taillenlinie der Bauch, respektive der Bauchnabel, in den Fokus und wurde zum neuen Sexsymbol, wobei je nach Schichtzugehörigkeit auch sein natürliches Gegenstück, der freigelegte Steiss mit Tattoo- und Tangalinienverzierung in Betracht kam.

Diese Zeiten sind nun, da spätestens ab dieser Wintersaison die Jeans wieder auf Hüfte getragen werden, endgültig vorbei, und es darf spekuliert werden, welches vernachlässigte Körperteil wohl als nächstes das migrierende Begehren und die verstärkte Aufmerksamkeit der Schönheitsindustrie auf sich ziehen wird. Die Füsse schienen aussichtsreiche Kandidaten; nicht nur erfreuen sie sich einer grossen männlichen Fangemeinde, in den USA wird ihnen bereits verstärkt mit Schönheits-OPs zu Leibe gerückt. Verwegene Zeitgenossen wetteten, unter der Massgabe, dass nach 30 Jahren sexueller Befreiung doch einmal Nägel mit Köpfen gemacht werden müssen, auf Vagina oder gar Anus, wofür es mit dem anal bleaching bereits erste Anzeichen gab, die sich jedoch alsbald als Hoax rausstellten. Mit der Achsel könnte jetzt – ginge es nach Nivea – eine Aussenseiterkandidatin das Rennen machen, die bei Licht besehen gar nicht so abwegig und längst schon an der Reihe gewesen wäre. Natürlich dürfen es nicht die unrasierten Achselhöhlen sein, mit denen Patti Smith bereits 1978 auf dem Cover von Easter tout USA choquierte und die allenfalls Furry-Fetischisten anlocken, sondern die rasierten und Perldeo-behandelten "unwiderstehlich schönen Achseln". Gut möglich, dass sich damit nicht nur ein neuer Markt für Kosmetikprodukte und Schönheitschirurgie auftut, sondern ebenso ganz neue Sexpraktiken popularisiert werden.


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