Riesenmaschine

18.06.2008 | 08:59 | Anderswo | Alles wird schlechter

Nazivergleiche in die Steinzeit gebombt


Bunker (Foto, Lizenz)
Hitlervergleiche sind ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Kultur, nicht nur, weil sie Kohärenz von Vergangenheit und Gegenwart herstellen, sondern auch wegen ihrer inhärenten Unschlagbarkeit. Wer sich so ähnlich verhält wie Hitler, hat verloren, nicht nur den Weltkrieg, sondern auch seinen Ariernachweis oder so. Der Hitlervergleich, das einäugige unter den blinden Totschlagargumenten.

Aus Amerika jedoch kommt heute Kunde von einem Debakel in der neuzeitlichen rhetorischen Nutzung des Nazidebakels. Jemele Hill, kurzatmige Kolumnistin des Sportgiganten ESPN, kommentiert am Samstag die Finalserie der NBA mit folgender Sentenz: Rooting for the Celtics is like saying Hitler was a victim. It's like hoping Gorbachev would get to the blinking red button before Reagan. Ein Hitler- und ein Gorbatschowscherz in einem einzigen Satz! Grossartiges Beispiel abwegiger Sprachentartung.

Dann aber der Untergang. ESPN entschuldigt sich am Montag für den absolutely unacceptable comparison und entfernt die Statements. Was soll bitte daran inakzeptabel sein, eine altgediente rhetorische Figur in neuem Gewande zu verwenden, vermutlich historisch zum ersten Mal im Zusammenhang mit Basketballfans? Dumm, ja, aber inakzeptabel? Was soll's, Hill jedenfalls ist vorerst beurlaubt, um über ihre Worte nachzudenken.

Aber jetzt der eigentliche Skandal. Was folgt, ist die zensierte Fassung der Kolumne: Rooting for the Celtics is like supporting inflation, unemployment and locusts. It's like praying for Eva Mendes to get married and for Brad Pitt to be disfigured. So ja nun nicht, ESPN. Wer Hitlervergleiche durch Brad-Pitt-Vergleiche ersetzt, klebt auch Micky-Mouse-Sticker auf die Goldedition von "Mein Kampf". Celtics trotzdem 131:92.


08.05.2008 | 18:57 | Berlin | Alles wird schlechter | Vermutungen über die Welt

Peak W-LAN


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Viel ist derzeit zu lesen über den Aufstieg Neuköllns zum neuen Berliner Ausgehbezirk. Doch wer einen Blick hinter die schillernde Fassade aus Kleinstgalerien, Kulturprojekten und der neuen Ausgehmeile Weserstrasse wagt, muss feststellen, dass selbst Nordneukölln zu grossen Teilen noch auf dem Stand von vor zehn bis fünfzehn Jahren ist. Die Infrastruktur konnte mit dem schnellen Wandel einfach nicht mithalten und so wird beispielsweise vom Bezirksamt das WLAN nur für wenige Stunden am Tag angeschaltet, wie ein Aushang an der Kantina von Hugo in der Friedelstrasse zeigt.

Mitte- oder Kreuzbergbewohner werden nun schmunzeln – weil sie die Tragweite des Problems noch nicht erfasst haben! Denn auch WLAN ist nicht unendlich vorhanden, auch wenn der sorglose Umgang mit der Ressource (Hallo, Estland!) das nicht unbedingt erwarten lässt. Seriöse Studien gehen sogar davon aus, dass die Menschheit schon heute mehr als die Hälfte des Welt-WLAN-Aufkommens verbraucht hat. Und wenn erst mal jeder der über 300.000 Neuköllner ein eigenes Notebook besitzt, drohen spätestens 2020 Mondpreise und Verteilungskriege.


26.04.2008 | 13:27 | Anderswo | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Du willst keine Schokolade


Die schlechteste Schokolade der Welt (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Natürlich ist es sinnvoll, Hotelgästen überteuerte Getränke, Webtarife oder Medienangebote anzubieten, um dann mit Pfennigprodukten wie Schokolade auf dem Kopfkissen und Duschgel Fürsorglichkeit darzustellen. Die reisenden Schergen nehmen das schliesslich meist schulterzuckend als Service der Hotels hin. So fühlt man sich wenigstens nicht wie ein Tourist – nur jene sind gern in Hotels. Perfide wird es erst, wenn sich der an der Rezeption verteilte WLAN-Zugang (siehe Bild) als Attrappe herausstellt und man für einen flüchtigen Moment Konnektivität auch die Minibar leertrinken könnte.

Aber was hätte man 2008 schon von dieser archaischen Bauform erwarten können? Wir haben schon längst gelernt, USB-Sticks in all ihren Darreichungsformen zu ignorieren. Essbare USB-Stick-Attrappen klingeln gerade Sturm in unserem Alltag, wahrscheinlich ein letzter Aufschrei des Konzeptes handlicher Datenspeicher, bevor es wie die Internet-Verbindung im allgegenwärtigen Taschentelefon aufgehen wird und aus unserer Wahrnehmung verschwindet.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Not so hot spots


04.03.2008 | 08:19 | Anderswo | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Farbe: egal


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Klosteine, Windelkontrastflüssigkeiten, Kaninchenpisse, und jetzt auch noch Bier, blaues Bier. Natürlich aus dem farbenfrohen Japan, dem Land der grünen Gurkencola. Sie behaupten, die Farbe rühre von Eisschollen, aber wer soll das glauben? Deshalb haben sie noch ein paar Algen reingeworfen, in ihr Gebräu. Farbwechsel: Aus der Not eines riesigen Milchsees zwackt man bekanntlich seit einem Jahr Bilk, das bizarre Milchbier ab (warum zum Bier statt Salzmandeln nicht auch mal einen Keks reichen?). Nicht, dass die Japaner jetzt auch noch anfangen, Bier mit Zigaretten zu mischen – das haben wir schon gemacht. Saufen und rauchen in einem. Anzunehmen ist, dass Scherzkekse dieses Bier bereits statt im gewohnten Willibecher im Aschenbecher verlangt haben. Das kann man sich also auch sparen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Milch und Bier rat ich dir

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


19.01.2008 | 20:50 | Alles wird schlechter | Papierrascheln

O Progress, Where Art Thou?


Nur in Fusion mit Heckenschere zu öffnen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Geschichte der Einweg- und Aufreissverpackung ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Während der Fortschritt auf dem Feld der Nassrasierer und Spülmaschinentabs stoisch gleichförmig wie auf Gleisen abzuschnurren scheint nach dem Motto "mehr ist mehr", eine Bifurkationslinie nicht in Sicht, ist ihr Weg ein steiniger und von vielen Rückschlägen gekennzeichnet.

Eigentlich, wenn wir ehrlich sind, muss davon gesprochen werden, dass die Rückschritte überwiegen. So stellte sich seinerzeit beim Einkauf von Kurzwaren im Kolonialwarenladen mit den praktischen Papiertüten die Problematik nicht einmal. Dann kam die Sichtverpackung mit Papprückwand, an der man sich regelmässig den Daumen verstauchte, wenn man an die neue Zahnbürste wollte. Den historischen Tiefpunkt auf diesem Gebiet markierte neben eingeschweissten CD-Hüllen bislang die Doppelblister-Verpackung, wie sie gern bei asiatischer Billigelektronik zum Einsatz kommt, der sich im Grunde nur mittels Sprengtechnik zuleibe rücken lässt. An der Milchverpackung wiederum liesse sich nachvollziehen, wie ein linearer Weg vom Plastikbeutel und Monobloc mit eingezeichneter Schneidelinie über die unzuverlässige Perforation mit Überschwemmungsgarantie, den Tetrapak mit schwappanfälliger Origami-Technik bis zum praktischen und funktionalen Schraubverschluss führt.

Warum nun gerade und ausgerechnet bei den Wechselklingen des Gillette Fusion, die ihrerseits mit ihren fünf plus einer Klinge den vorgezeichneten Wachstumspfad innovativ interpretieren, dieser herbe Schlag ins Kontor? In Anlehnung an die Doppelblister ist die Verpackung rundum hermetisch versiegelt, fast möchte man sagen: abgeriegelt, keine Aufreisslasche nirgends. Dafür als Reminiszenz an die Milchtüte die vertraute und längst vergessene Schnittlinie mit Scherensymbol und dem paternalistischen Vermerk "Hier aufschneiden" an beliebiger Stelle. Angesichts der skulptural modellierten Verpackung wäre jede andere Schnittebene, die nicht den Inhalt komplett zerstört, ähnlich ungeeignet gewesen. Das Aufschneiden selbst, für das eine Nagelschere nicht ausreicht, vielmehr schweres Gerät erforderlich ist, erweist sich dementsprechend als Akt höheren Berserkertums und erinnert an das Zersägen gefrorener Rinderhälften mit der Flex oder den Abriss einer Scheune mit der Nagelschere Kettensäge, so sperrig und spelzig stellt sich die Verpackung dabei an. Selbst bei der anschliessenden völlig reibungs- und widerstandsfreien Rasur haftet diese unangenehme Erfahrung noch im Gehirn und macht schlechte Laune. Den Fortschritt auf diesem Sektor hatten wir uns irgendwie anders vorgestellt.


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