Riesenmaschine

03.03.2009 | 21:35 | Nachtleuchtendes

Google Maps Balkonangst


Blisters and pain auf den Ringen bei Einschlag der Hiroshima-Bombe in den Kölner Dom (Screenshot)
Albtraumängste lassen sich in drei Kategorien einteilen: Mikroängste, Mesoängste und Makroängste. Letztere tauchen in der Form von Riesenmonstern, grossflächigen Waffen, Kometeneinschlägen oder Nebeln des Grauens auf und gelten als die sophisticated angsts unter den Albtraumängsten. Wer noch nie rauchend auf dem Balkon stand und sich vorgestellt hat, wie am Horizont ein Atompilz auftaucht, um anschliessend zu überlegen, wer anzurufen sei und wie, angesichts von Windrichtung und Lage der Ausfallstrassen, zu fliehen wäre, hat wohl kein Herz.

Für das Multiangsttool Google Maps gibt es jetzt eine tolle Applikation, die einem bei den Balkonüberlegungen mit einer hilfreichen Übersichtskarte zur Seite steht: Ground Zero (via twitter.com/daniel_erk). Zur Auswahl stehen mehrere Atom- und Wasserstoffbomben sowie ein Asteroideneinschlag und jedes beliebige Ziel der Welt. Nach Klicken auf "Nuke it!" wird eine Karte mit verschieden eingefärbten Auswirkungszonen angezeigt, von "Sunburn like discomfort, skin redness" bis "Most people will die within 24 hours". Danach geht man zurück auf den Balkon mit einem Glas Burgunder, in dem Erdbeeren schwimmen, und wartet ab, ob irgendwann etwas passiert.


02.03.2009 | 15:35 | Essen und Essenzielles

Das Salz der Erde


Was hier fehlt, ist Umami (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Dass das Dax-gelistete Unternehmen K+S immer irgendwie unterhalb der Wahrnehmungsschwelle durchflutscht, hat womöglich auch etwas mit seinem völlig vergurkten und amorphen Markenauftritt zu tun. Der Name klingt so lieblos ausgedacht wie der einer Briefkastenfirma auf den Caymans: ungetröstet und trostlos. Das Logo sieht aus wie von den Stadtwerken oder einer Betriebskrankenkasse: als sei ihm niemand übers Haar gefahren. Und die Anzeigenmotive produzieren kognitive Dissonanzen viel schlimmer als das Wort "grün" geschrieben in roter Farbe. Die Auflösung der Text-Bild-Schere im vorliegenden Fall besteht übrigens darin, dass K+S "in Europa und Südamerika" Salzvorkommen abbaut. Mit ähnlich stringenter Herleitung hätte man doch zumindest und ebenso gut auch eine Abbildung vom Obersalzberg hineinpraktizieren können.


28.02.2009 | 14:27 | Berlin | Fakten und Figuren | Listen | Papierrascheln

Telefonbuch-SEO-Schnellkurs


Ein hoffnungsloser Fall
Search Engine Optimization im Internet ist ein ebenso komplexes wie langweiliges Tätigkeitsfeld, in dem man den ganzen Tag mit Webcrawlern, Sortieralgorithmen, Metatags und -descriptions, SERPS, Keywordphrasen, Title-Tags und vielen anderen Dingen jonglieren darf, um am Ende doch bloss von Google-Ergebnisseite 17 auf 16 aufzusteigen. Viel einfacher hingegen: Analoges SEO in, manch einer wird sich an sie erinnern, Telefonbüchern. Wichtig für alle, die noch nie etwas von diesem Internet gehört, aber gleichzeitig auch nicht das Geld für einen Platz in den Gelben Seiten haben, und deswegen versuchen müssen, im normalen Telefonbuch möglichst weit vorne zu stehen – vor allem in der Schlüsseldienstbranche ein bis heute bedeutendes Marketinginstrument. Hier muss man nämlich nur drei leicht zu merkende Regeln befolgen.

1. Mit zwei A beginnen ist okay, mit fünf A beginnen ist gut, aber mit sieben A beginnen ist noch besser. Der allererste Eintrag im aktuellen Berliner Telefonbuch ist deswegen auch der "A.A.A.A.A.A.A.Schlüsseldienst".

2. Repetition erhöht die Markenbekanntheit. Man kann auch mehrere Anschlüsse mit unterschiedlichen Durchwahlen unter dem gleichen Firmennamen melden. Daher ist der 2. bis 187. Eintrag ebenfalls "A.A.A.A.A.A.A.Schlüsseldienst". Aber auch der "A.A.A.a.A. Kaptan Schlüsseldienst", die "A.A!A ABSICHERUNG ALLER ART", der "A.A.A.K. Allgemeiner Aufschliessnotdienst" und der "*A.Aks49 Euro SCHLÜSSELDIENST" haben es verstanden.

3. Punkte sind Supertrumpf, das Leerzeichen und das kaufmännische Und sind ebenfalls immer für einen Stich gut. Man staunte nicht schlecht beim "AABBAACUS Schlüsseldienst" als man nur auf der achten Seite landete, abgeschlagen hinter der "A + H Industrieisolierung GmbH", dem "A B C Forderungsmanagement" und den "A.S.S. Transporten".

Weniger prominent, aber im Vergleich zum Berliner Telefonbuch 2005/2006 deutlich häufiger zu sehen: Der Versuch, möglichst weit hinten zu landen. Hierbei setzen nur Anfänger auf Zzzzyy-Kombinationen – denn die letzten Seiten im Telefonbuch gehören traditionell der Abteilung "0 bis 9" (und nicht der neuen Rubrik "@", die Firma "@A.S.Absicherungs- & Schlüsselnotdienst" kann sich also wieder umbenennen). Aus unerfindlichen Gründen wird von SEO-Experten dabei nur die Null genutzt, herausragend hier der "0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0, 0,0,0,0,0,0,0,0,0,0,0! – ! 24 h Schlüsseldienst e. K.", der "! ! ! ! 0-0h Schlüssel, Schlüsseldienst" und der "00.00 – 24 h Schlüsseldienst Andreas Krause". Danach kommen noch diverse 1-2-3-Firmen und dann vor allem normale Einträge, bevor das Buch mit "98 8 KISS FM" schliesst. Merke: Hier ist noch Potential für Quereinsteiger gegeben.


27.02.2009 | 09:17 | Sachen kaufen | Effekte und Syndrome

Prachtscharten


Bei Extra gibt's lila Dinger (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Ein Vorbehalt gegen Freuds Traumdeutung ist, dass jeder Gegenstand, der nicht für eine Vagina steht, ein Phallus ist, oder eben ein Nazivergleich. Arno Schmidt hat das anhand von Karl May demonstriert, den Mann aus der "sexischen" Schweiz, den es zu den "Indi-anern" zog, und der immer einen Mitreisenden hatte, dessen "Po-sze'n" ihn bei Regenfall mit "regem Phall" bei Laune hielten. Mit 12 hat jeder schon einmal eine Phase erlebt, in der die Sprache zu entgleiten drohte und jedes Wort versaute Hintergedanken provozierte, am meisten das scheinbar neutrale "Ding", das man nicht mehr ungestraft aussprechen konnte. Die Surrealisten nannten diesen Geisteszustand "kritische Paranoia", kontrollierten Einsatz von Bedeutungswahn, und nutzten ihn für ihre Arbeit. Wer darunter leidet, kommt bei Extra nicht ohne rot zu werden an den bis zu 70 cm grossen Prachtscharten vorbei, die es sogar inklusive Stecketikett gibt, als hätte man dieses Argument bei so einem verlockenden Angebot noch gebraucht.


25.02.2009 | 23:44 | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Dekommodifizierte Commodities


Original, Foto von hamuchen/Lizenz

Fälschung I, Foto: Julia Wellner von hier

Fälschung II, Foto via designspotter.com (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
"Commodities" nennt man Waren, die im Zuge des technischen Fortschritts und der Industrialisierung zu standardisierten Massengütern geworden sind. Jeder Markenartikel fürchtet sich davor, zur Commodity herabzusinken, ist mit dem Generisch-werden doch automatisch eine geringe Markenrelevanz und ein entsprechend geringes Preispremium verbunden. Zu spüren bekamen das nach der Liberalisierung des Strommarktes die neuen Anbieter, denen es trotz immensen Werbedrucks nicht gelang, Konsumenten davon zu überzeugen, dass Strom gelb ist oder nach den eigenen Vorstellungen gemixt werden sollte. Aber auch die gegenläufige Bewegung ist möglich, und auch hierfür ist Strom ein gutes Beispiel. Seit die Menschen sich ernsthaft über ihren kompromittierenden CO2-Fussabdruck sorgen, ist Strom auf einmal wieder vom Low- zum High-Involvement-Produkt avanciert, und es werden Stromwechselparties veranstaltet, um Ökostromanbieter zu promoten.

"Decommodified Commodities" nennt man beim Gottlieb Duttweiler Institut die Strategie, Produkte mittels Veredelung und "Mood-Management" der Gewöhnlichkeit zu entreissen, und sieht grosses Zukunftspotential. Für den Foodsektor etwa verheisst die jüngste Ausgabe des GDI_Impuls die Heraufkunft von "Grand-Cru Äpfel und Jahrgangskartoffeln." Schon vor einigen Jahren hatte die Riesenmaschine die symbolische Überformung des "Billig goes teuer" als "dekadentes Understatement" am Beispiel von Vasen, Porzellan und Geschirr dingfest gemacht. Bei den Einrichtungsgegenständen war und ist die einzige echte Commodity neben Umzugs- und Bananenkisten die Europalette, die uns selbst als Bettersatz jahrzehntelang gute Dienste geleistet hat. Nachdem Andrea Mehlhoses und Martin Wellners vom Kölner Designbüro Fremdkörper mit ihrer Europalette aus Nussbaumholz (Prototyp) bereits 2002 für einiges Aufsehen sorgten, hat jetzt der Tscheche Jakub Berdych seinen Palettentisch aus weissem Marmor für das Label QUBUS vorgestellt (Preis auf Anfrage). So weit, so erwartbar. Bei der Gelegenheit möchten wir alle Leser anhalten, uns ihre privaten Trüffel- bzw. Coltanvorräte günstig zu überlassen. Wir haben da so eine Idee für ein Landmark- bzw. Leuchtturmprojekt...


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Minus: 1
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