Riesenmaschine

08.04.2008 | 08:10 | Sachen kaufen | Zeichen und Wunder

Schlaraffenraum


Alles. Zu seiner Zeit. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Eiche massiv musste am Ende weichen, denn schwedisches Zeug in der Mitte der Strasse eroberte sämtliche Nischen und Freiräume. Nun holt der alte Möbelriese Hülsta zum Gegenschlag aus und donnert der jungen dynamischen Zielgruppe ein hochgebirgiges Trendmassiv in die Fresse. Für die gnadenlos authentische Ansprache nimmt man einfach das fettigst-vorstellbare Trendsurrogat, und lässt es von seinen Möbeln aufsaugen. Derart gewissenhaft geschmiert sollen die folierten Spanplatten schliesslich die Lebenswelt des jungen Erfolgsmenschen penetrieren. Der möchte seine Trendobjekte nicht auf schlechten Möbeln wähnen, während er der allabendlichen Männerrunde im ranzig konzipierten Rockschuppen beiwohnt. Nachher spielt er noch einen Gig mit seiner Indierock-Band und legt im Anschluss Hip-Hop-Platten auf – natürlich in Basketballstiefeln. Am frühen Morgen folgt das entspannte Nachhauserollern mit dem Skateboard. Zur Erfrischung werden sodann Erdnussbuttertoast, Pizza, Pepsi und Pokerchips gereicht.

Jan-Christoph Deinert | Dauerhafter Link | Kommentare (10)


06.04.2008 | 10:16 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Telescoputechture

Nicht vollends geklärt ist, wer zum ersten Mal ein Fernrohr zusammenschraubte und wann er das tat (und warum). Bekannt damit wurde jedenfalls im Jahr 1608 ein gewisser Hans Lipperhey, who claims to have a certain device by means of which all things at a very great distance can be seen as if they were nearby. Kaum wird jemand daran zweifeln, dass die Welt, wie wir sie kennen, anders aussähe, hätten wir sie nicht 400 Jahre lang mit grossen Rohren angestarrt. Die Sonne hat Flecken? Lachhaft. Saturn gar kein Lichtpunkt, sondern ein Gasriese? Albern. Und der Andromedanebel gar kein Nebel, sondern 100 Milliarden Sterne? 100 Milliarden! Holy shit. Das Teleskop hat das Universum verändert und uns in den Staub gestossen. (Ähnliches leistete nur der Dudelsack.)


Foto, Lizenz
Niemand verwundert es daher, dass Teleskope zu Wallfahrtsstätten wurden und ihre Erbauer dem Universum Demut entgegenbringen. Im Gegensatz zu den restlichen Gebäuden der Welt, die mit ihren Ecken und Kanten scharf in den Äther schneiden, sind Teleskopkuppeln kugelrund – genau wie Planeten, Sterne, Sternhaufen. Die energetisch günstigste Form, nach der jeder gasförmige Körper im Vakuum strebt, als Kuppel steht sie in hundertfacher Ausführung auf den heiligen Bergen.

Bis wir irgendwann lange genug in das Universum gestarrt hatten, um es verachten zu lernen. In ein paar Milliarden Jahren von der Sonne verschluckt. Noch etwas später mit dem Andromedanebel kollidiert. Und bereits in zehn hoch hundert Jahren sind alle Protonen zerfallen, alle Schwarzen Löcher verdampft, nichts bleibt übrig. Hell, schon in zehn Minuten könnte Eta Carinae explodieren und tausende Zivilisationen in den Tod reissen. Das Universum ist geistlos und voll mit jugendlichem Zerstörungswahn.

Deshalb geschieht es dem All nur recht, wenn wir ihm neuerdings zum Trotz eckige Kuppeln aufs Dach stellen. Sie nach japanischen Autos benennen. Und von James Bond veralbern lassen. Ecken, mach uns das erstmal nach.


04.04.2008 | 13:30 | Berlin | Alles wird besser

Stadtmöblierung XXXL


Kein Schafott, sondern FILS (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Angefangen hat es mit der aufdringlichen knallblauen Metro-Filiale auf der Brachfläche vor dem Ostbahnhof. Mit der fast fertigen O2 Arena (bei deren Anblick man sich fragt, was an der grossen Halle des Volkes von Albert Speer eigentlich so schlimm sein soll) ist das grossartige Panorama von der Warschauer Brücke auf Berlin nun empfindlich gestört. Einen zukünftigen Weltkulturerbestatus dieses Canaletto-Blickes kann sich Berlin also endgültig in die schlecht frisierten Haare schmieren. Da ist es auch schon egal, dass auf dem neuen Fahrstuhl von der Brücke hinab zur Tamara-Danz-Strasse eine gigantische elektronische Anzeigentafel aufgeschraubt wurde, die sichtbar von der Oberbaumbrücke bis zum Frankfurter Tor die Street reclaimt. Dennoch ist die Tafel zu begrüssen, es handelt sich nach Insiderinformation nämlich nicht um eine schnöde Werbefläche, sondern um eine Innovation, welche in der Senkrechten das anbietet, was für eilige Zeitgenossen in der Horizontalen schon längst Standard ist: Das welterste dynamische Fahrstuhlinformationsleitsystem (FILS). Künftig wird man also seine knappe Zeit noch effizienter einteilen können, wenn es in grossen Lettern heisst: "Nächster Fahrstuhl Richtung Warschauer Brücke in 20 Sek."

Christoph Albers | Dauerhafter Link | Kommentare (7)


03.04.2008 | 17:30 | Alles wird besser | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt

Wird Kleenex das neue Rolex?


Auf dem Nachtischchen noch besser als Allgäuer Rindsleder: Riesenmaschinekleenex (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

Die Reissäcke von heute (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Gerade erreicht uns der Newsletter von trendwatching.com und teilt uns mit, dass die Statussymbolforschung eindeutig aufzeige, wie die Entwicklung im Statussymbolgeschäft weg vom klassischen, über den Preis gesteuerten Statussymbol hin zu etwas gehe, was mit "Status Stories" beschrieben wird. Kurz: nicht mehr die Geschichte, die ein Massenprodukt kraft seiner Erscheinung und seines Marketing zu erzählen vermag ("Geld"), sondern eine möglichst individuelle Geschichte hinter dem Produkt (und das Wissen darum) soll dieses mit Bedeutung und Exklusivität aufladen. Das klingt erst mal glaubhaft und erinnert entfernt auch an den Manufactumkatalog. Dort wird die Wertigkeit der Produkte ja auch mit kleinen Geschichten unterstrichen und dem Käufer so ein Instrument in die Hand gegeben, mit diskret eingestreuten Bemerkungen einen zusätzlichen Distinkionsgewinnn zu erzielen ("Ach, dieses Allgäuer Grubenleder, das mit traditionellen Methoden von Hand und mit viel Zeit gegerbt wird, braucht schon etwas mehr Pflege als die heutigen Industrieleder").

Trendwatching.com beweist seine These allerdings anhand folgender Produkte: Mykleenextissue bietet für bescheidene 4.99$ (ca.1€) individuell gestaltete Kleenexboxen "to celebrate a special occasion". Im Netgranny Sockenshop ("Wähle Deine Granny") können in Schweizer Altersheimen individuell angefertigte Wollsocken bestellt werden. In Japan wiederum können Reissäcke mit dem Bild eines Neugeborenen bedruckt und mit dem exakten Kindsgewicht in Reis gefüllt werden, sodass man beim Umfallen rätseln kann: War das jetzt Kind oder Sack? Und wir wollen diesem Reigen noch die Seite Youbars beisteuern, die nach Mass gefertigte Schokoriegel anbietet.

Allesamt sind das schöne Produkte, die fehlten und die zu loben sind. Wenn wir uns Wollsocke, Kleenex, Reissack und Schokoriegel aber konkret im Einsatz als Statussymbole vorzustellen versuchen, denken wir, dass sich die Firma Rolex nicht allzu warm wird anziehen müssen.


03.04.2008 | 00:22 | Effekte und Syndrome

100 Megahertz Inszenierung


Ein DB-Fernverkehr-Fahrkartenautomat während des Zusammenbruchs der Inszenierung. Man kann selbst den Fotografen erkennen. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
"Der ganze Apparat der Selbstinszenierung ist natürlich umständlich; er bricht manchmal zusammen und enthüllt dann seine einzelnen Bestandteile ..." Mit diesen Worten zitiert Benjamin von Stuckrad-Barre den Soziologen Erving Goffman, am Anfang seines Fotoromans "Deutsches Theater". Ein Zitat, das einem des öfteren einfallen sollte, denn es beschreibt eine Erfahrung, die einen freudigen Ausdruck in müde Gesichter zaubert. Es handelt sich bei diesem Zusammenbruch des Inszenierungsapparates vermutlich um eine derart existenzielle Erfahrung, dass selbst noch ihr Widerschein im Kleinen und Kleinsten in hochemotionale Erregungszustände versetzen kann.

Fällt zum Beispiel eines der Systeme hinter den vielen, vielen Bildschirmen aus, die uns tagtäglich umgeben, lässt sich erkennen, dass auch kein noch so grosser Weltkonzern über andere Betriebssysteme verfügt als wir, im Innern also aus dem gleichen Holz geschnitzt ist. Lustig wandert dann statt des Unternehmenslogos die Windows-Fehlermeldung über die aufgestellten Flatscreens. Während manche an diesen Ausfallerscheinungen interessenlos vorübergehen (weil sie ja auch wenig verraten, was wir nicht eh gewusst hätten), bleibt der Sensible andachtsvoll davor stehen und sagt: "Schau mal! Auch nur Windows hier." Manchmal enthüllt der Zusammenbruch aber auch mehr, zum Beispiel wo eigentlich all die Rechner ein neues Zuhause gefunden haben, die wir spätestens zum Jahrtausendwechsel auf den Müll geworfen hatten.


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"Bienvenue chez les Ch'tis", Dany Boon (2008)

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