Riesenmaschine

23.05.2008 | 23:28 | Anderswo | Alles wird besser | Was fehlt

Seebestaatung


Manchmal kommt die Hoffnung eben in hässlichem Gewand daher, oder hat das Internet etwa anfangs gut ausgesehen? (Quelle: seasteading.org) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Der weltweite Mangel an durchdachten und hochwertigen Ländern ist ein von allen Medien ausser der Riesenmaschine vernachlässigtes, ja, totgeschwiegenes Thema. Wie oft haben wir bessere Länder gefordert, Wege dorthin aufgezeigt, Kriterien entworfen und auf die Vor- und Nachteile vorhandener Länder wie Kanada, Island, Chile und diverser Mikronationen und Kondominate hingewiesen. Es hat anscheinend nichts genützt. Auch der angekündigte Aufkauf von Sealand durch Pirate Bay wirkt gescheitert. Aber das soll uns nicht daran hindern, weiterhin jeden neuen Versuch zur Behebung des Problems enthusiastisch zu begrüssen.

Zum Beispiel das Seasteading Institute, von dem wir via Wired erfahren. Vorsitzender Joe Lonsdale kündigt an, man habe vor, den alten Plan einer Länderneugründung zur Abwechslung "in a way that's not crazy" durchzuführen. Schwimmende neue Länder werden irgendwie in den Meeren verankert, und zwar so viele, dass für jeden das passende politische System dabei sein sollte. Patri Friedman, Co-Autor von Seasteading: A Practical Guide to Homesteading the High Seas, erklärt: "Regierungen sind ein Geschäft mit extrem hoher Zugangsschwelle. Man muss praktisch eine Wahl gewinnen oder eine erfolgreiche Revolution hinter sich bringen, um eine neue Regierung auszuprobieren. (...) Und der Lock-in-Effekt ist enorm. Die Leute beschweren sich über ihre Handyverträge, die zwei Jahre laufen, aber überlegen Sie mal, wie mühsam es ist, seine Staatsbürgerschaft zu wechseln." Wir sind also offenbar in guten Händen, die Gründer sind reiche Leute, was soll diesmal schiefgehen?


21.05.2008 | 02:18 | Berlin | Sachen kaufen | Zeichen und Wunder

Endlich: Kiosk-DNA komplett enschlüsselt!


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)

Die Welt da draussen ist eine Ansammlung von zahllosen Variationen des Immergleichen: Ob Wolken, Blätter, Berge, Zebras oder Schnee-, äh, -eulen – sie alle sehen sich irre ähnlich (also die Wolken untereinander, schon klar) und doch ist jedes Ding einzigartig. Das ist der Grundbauplan der Natur, sie hat es sich so ausgedacht, damit wir uns nicht langweilen. Oder weil die Copy+Paste-Funktion erst viel später erfunden wurde.

In der Stadt ist das nicht anders: Geschätzte 32 Millionen viergeschossige und stuckverkleidete Altbauten stehen z.B. in Berlin herum, auf den ersten Blick sehen alle gleich aus, und dennoch gibt es keine Doppelten. Jede Restaurantstuhlanordnung ist einmalig, genauso wie die soziale Zusammensetzung der Mietparteien eines Mehrfamilienhauses, die Abfolge von Läden auf einer Einkaufsstrasse oder die Automarkenmischung in einer Parkhausetage.

Eine Veranschaulichung dieses Prinzips gibt es jetzt als Legespiel, gestaltet von Max Mondon: Bei BerlinKiosk können über 300 gängige Kioskprodukte, umgesetzt im eboy-inspirierten Pixel-Art-Look, frei in einer Kioskschablone
angeordnet werden. Nebenbei bekommt man einen Eindruck von Platz- und Aufmerksamkeitsökonomie im urbanen Raum und versteht, warum Tetris eben doch eine Schlüsselqualifikation im modernen Arbeitsalltag darstellt, zumindest in gewissen Branchen.


19.05.2008 | 18:35 | Berlin | Supertiere | Fakten und Figuren

Ein durchschnittlich langweiliger Beitrag

Langeweile und Durchschnitt stehen in einer seltsamen Beziehung zueinander. Im Prinzip ist das Durchschnittliche natürlich das Langweilige, doch wie soll man sich dann das überdurchschnittlich Langweilige vorstellen? Ein grosses Rätsel, auf das niemand eine Antwort kennt, zumindest solange er zugunsten der schönen feuilletonistischen Paradoxie vergisst, dass im zweiten Fall ein anderer Durchschnitt als im ersten gemeint ist.

Zum Glück bringen die Berliner Unternehmer des StudiVZ-Konglomerats mit der Machete der Vernunft jetzt Licht und Klarheit in dieses Dickicht: In einer mehrere Millionen Dollar teuren, geheimen Studie haben sie in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut, der Bundeszentrale für politische Bildung und der Zeitschrift Playboy jahrelang Langweiligkeit und Durchschnittlichkeit erforscht. Die Ergebnisse nutzen sie nun, um ihre Line-Extension mit dem durchschnittlich langweiligen Namen meinVZ zu vermarkten: Interessierten wird der Screenshots einer meinVZ-Beispielseite angezeigt, deren Langweiligkeit empirisch so optimiert ist, dass sie durchschnittlicher, das heisst beispielhafter, nicht sein könnte.

Die langweiligste Frau der Welt, wir wissen es jetzt endlich genau, wohnt also in Berlin-Friedrichshain, spricht Deutsch und Englisch, sagt von sich selbst, sie sei "die Kreativität in Person" und ist Diplom-Grafikdesignerin. Sie interessiert sich für Kino, Schwimmen und Urlaub und hört Rock, Jazz und House, wobei sie auch Kino, Schwimmen und Urlaub hören könnte und sich für Rock, Jazz und House interessieren, weil es eh keinen Unterschied macht. Ihr Lieblingsbuch ist "Der Schatten des Windes", ihr Lieblingsfilm "Dirty Dancing" und ihre Lieblingspolitikrichtung "liberal". Ausserdem möchte sie andere wissen lassen, dass sie im Auto singt, Salsa tanzt, sich mit Web 2.0 beschäftigt und Niveau nur von unten aussieht wie Arroganz.

Wir hingegen können als Untersuchungsergebnis festhalten, dass Langeweile von unten aussieht wie Durchschnittlichkeit, von oben aber wie etwas ganz anderes, beispielsweise wie eine notwendige Bedingung begrifflicher Erkenntnis oder ein ausgestorbenes südamerikanisches Riesenfaultier.


16.05.2008 | 19:39 | Berlin | Papierrascheln | Effekte und Syndrome

Schliessmuskelmobbing


Blick in die Zukunft
Botschaften von Anderswahrnehmenden – der Volksmund nennt sie auch Irre, Paranoide, Schizzos –, die in der Absicht verfasst und veröffentlicht werden, die Menschheit über das wahre Wesen der Wirklichkeit aufzuklären, weisen oft eine Reihe von Ähnlichkeiten auf. Ein sich häufig wiederholender Topos ist die Strahlenwaffe, mit deren Hilfe der Anderswahrnehmende von im Geheimen agierenden Kräften (Nachbarn, Verwandten, Ärzten, Regierung, hässlichen Männern) manipuliert, terrorisiert oder auch langfristig vernichtet werden soll. Meist wird aber solch aufklärendes Bemühen, das heutzutage auch gern per Internet erfolgt, von den Standardwahrnehmenden ignoriert. Das aber ist ein grosses Versäumnis, denn bisweilen nehmen die Pamphlete der Anderswahrnehmenden nichts weniger als die Zukunft vorweg.

So skizziert eine anscheinend entschieden anderswahrnehmende Frau auf einem Plakat, das an einem Umspannkasten in der Marienburger Strasse in Berlin aushängt, nicht nur zukunftsweisende Technik ("induzierte Strahlung – ohne Gehäuse"), sondern betätigt sich auch als begnadete Sprachschöpferin. Das durch Strahlen induzierte "'Schliessmuskelmobbing' bei Stuhlgang des Opfers" wird, wir prophezeien es, sehr bald in unsere Alltagssprache Eingang finden ("Verdammt, Schliessmuskelmobbing. Wo ist das Klo?"). Wenn man dann auch noch die gehäuselose induzierte Schliessmuskelstrahlung erfindet, wird aus der Weltschliessmuskelverschwörung schnell Wirklichkeit und aus der heute noch Anderswahrnehmenden ruckzuck eine Standardwahrnehmende. Was aber wären dann wir?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Wunderwaffen: nichttödliche Waffen

Christian Y. Schmidt | Dauerhafter Link | Kommentare (11)


15.05.2008 | 12:48 | Sachen kaufen | Sachen anziehen

Eine Denkblase voll heisser Luft


Auf einem Klapprad sieht es gleich nochmal so doof aus.
Man hat es nicht leicht, wenn man auf moderne Weise doof aussehen will. Klassische Modezeitschriften helfen zwar, es fehlt ihnen aber in der Regel der letzte Tick Verfeinerung, die originelle Designvolte, die aus aus einem bloss missglückten Produkt einen echten Weggucker macht. Abhilfe verspricht der Nubrella ("The Ultimate Weather Protector"), den man sich trotz des Namens nicht aufs Brot schmieren, sondern auf die Schultern schrauben soll, und mit dem man definitiv bescheuerter aussieht als vor seiner Erfindung möglich. Leider ist der Nubrella aber möglicherweise auch zu was gut, was die ganze schöne Beklopptheitsdistinktion wieder zuschanden ritte, hätten die Erfinder nicht auch ein Modell mit undurchsichtiger Rückseite gemacht. Das kann man sich einfach falsch rum aufsetzen, und sieht dann trotz praktischen Regenschutzes komplett kopferweicht aus. Spätestens wenn man mangels Sicht in einen Tango reinrömert.


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