Riesenmaschine

05.09.2006 | 09:14 | Vermutungen über die Welt

Das Märchen von der Farbe


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Die Bild-Zeitung ist mal wieder an allem schuld, naja, vielleicht auch nicht, aber sie könnte es zumindest sein. Doch von vorne: Wie bekannt sein dürfte, vertreibt die Bild seit geraumer Zeit in Form von Aktionsverkäufen ihre Volks.Produkte. Alles begann mit der Volks.Bibel, wenig später folgten Dinge wie der Volks.Laptop, das Volks.Fahrrad, die Volks.Kamera und das Volks.Sparen, wobei man sich kein bisschen daran störte, dass es "Volksprodukte" schon mal in einer ganz anderen Geschichte gegeben hatte. Nachdem dann alle naheliegenderen Volks.Produkte aufgebraucht waren, wurde begonnen, jeden erdenklichen Quatsch in die Volks.Produktlinie zu integrieren. So entstanden etwa die Volks.Matratze und die Volks.Zahnbürste, und wie zuvor war die Bild auch damit unglaublich erfolgreich.

Der vorerst letzte Streich war die Einführung der Volks.Farbe. Und obwohl der Verkaufszeitraum auf rund sechs Wochen beschränkt wurde, passierte das Unweigerliche: Das ganze Land war im Volks.Farben.Rausch, und während sich die Bild eine alpinaweisse Nase verdiente, ging der Markt darüber zu Grunde. Zahlreiche alteingesessene Farbenhersteller mussten Konkurs anmelden – zugleich verpinselten die Deutschen ihre gerade erstandene Farbe sofort nach dem Kauf, als gäbe es kein Morgen.

Bis die Aktion am 31. August planmässig endete. Nun setzte Katerstimmung ein: In ganz Deutschland gab es keinen Tropfen Farbe mehr und die verbliebenen Farbenhersteller bildeten flugs ein Oligopol, das tat, was ein Oligopol tun muss, nämlich die Preise völlig unbegründet ins Astronomische zu treiben. Und zwar nicht nur für Dispersionsfarbe, sondern gleich für alles, vom Textilfärbemittel bis zum Tuschkasten. Dass das Folgen haben sollte, zeigte sich schon bald, und am allerbaldesten da, wo der Puls der Zeit seit Jahrhunderten am lautesten schlägt, nämlich im Bereich der Street Art: Statt mit Sprayfarbe auf Wände mussten die Strassenkünstler nun mit Dreck auf Telefonseelsorgewerbeplakate malen (Bild oben). Wer hingegen doch noch Farbe hatte, tat gut daran, sparsam damit umzugehen (Bild unten). Und so ward eine neue Ära der Street Art angebrochen, die unter den Menschen noch für viel Freude sorgen sollte.


05.09.2006 | 02:26 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Japanisches Sachengerede 物語

Als Sichtbeleuchter 観光 in Japan hat man es schön. Man kann mit dem Selbstrollfahrzeug 自転車 oder dem unterirdischen Eisen 地下鉄 zum Einpflanzsachengarten 植物園 oder zum Bewegtsachengarten 動物園 fahren und dort Weissvögel 白鳥 und Berghunde 山犬 sehen, von denen man Wirklichkeitskopien 写真 anfertigt. Vielleicht gibt es sogar ein Wasserfamiliengebäude 水族館. Hinterher geht man Glückwunschverwaltung 寿司 mit Grosswurzel 大根 essen. Auch in der Kriegsführung haben die Japaner mit Fischdonner 魚雷 und Gottwind 神風 zumindest sprachlich Vorbildliches geleistet, und es war nicht nett von den Amerikanern, ihnen dafür das erste Elementarkinderausbruchsgeschoss 原子爆弾 auf den Kopf zu werfen.

Aber schliesslich ist unser Heimatland, das für Japaner übrigens so ähnlich wie Hundefloh 独 heisst, auch nicht schlecht mit hübschen Worten bestückt. Wir haben die Eisenbahn, den Tatzelwurm und den Bürgersteig, ja, sogar das Hurenkind, den Schusterjungen und den Schweizerdegen, weshalb die Japaner auch sehr gern mal zu uns kommen, um dort die Sichten zu beleuchten.


04.09.2006 | 16:56 | Alles wird besser | Alles wird schlechter

Das Leben, eine Gebrauchsanweisung


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Web 2.0 ist, so meinen manche, nutzloses Blabla, das niemand erklären kann. Andere behaupten, dass alle Web-2.0-Ideen Ergebnisse der Vereinigung (mindestens) zweier bereits bekannter Website-Konzepte sind. So ist videojug in etwa das, was dabei herauskäme, wenn Lifehacker mit youtube leidenschaftlichen Sex hätte und dabei das Aufpassen vergässe.

Und wie das so mit Babys ist: Videojug ist klein und kann nicht viel (Beta). Aber immerhin – es schwitzt Potenzial aus all seinen niedlichen kleinen Quietscheporen. Schon jetzt kann es uns zeigen, wie man ein Sandwich macht, eine Weisswurst verspeist oder Inspiration erlangt. Nicht auszudenken, was erst passiert, wenn es uns noch viel nützlichere Dinge und Sachen anschaulich erklärt.

Sie mag ja immer schlechter werden, diese Welt. Aber komplizierter, nein, komplizierter wird sie wirklich nicht.


04.09.2006 | 11:35 | Anderswo | Zeichen und Wunder

Präzision und Alltag


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Wer liebt Österreich nicht? Wer ist nicht beglückt, wieder und wieder, wenn er den Wiener Akzent hören darf; entwickelte nicht sogar ein morscher Baumstumpf subkutane Sexyness, spräche er nur in diesem wunderschönen Singsang, bei der das leicht Jammernde mit dem Charmant-Grossspurigen ein Amalgam der Verbalerotik bildet? Und ist es nicht so, dass in Berlin in Szenelokalen die Antwort der Kellnerin auf eine dümmlich anmutende Frage lautet "Hä?", in Hamburg "Bitte?" mit einem hinten hochgezogenen "-te" der gespielten Arroganz, man in München gar vollkommen ignoriert wird, während in Wien sich die Kellnerin zum Fragenden hinabbeugt, die Frage auf Wienerisch und leicht abgewandelt in einer Weise wiederholt, dass einem schlagartig die Antwort klar wird und man im internationalen Vergleich der Situation praktisch ungedemütigt entkommen ist? Vielleicht.

Ganz gewiss aber ist im geschäftlichen Alltag in Österreich eine Grundpräzision vorhanden, die vorbildlich ist. Schliesslich erleichtert die Genauigkeit bis ins allerletzte Detail das tägliche Leben und Streben. Aus diesem Grund gibt es in Österreich eine ausgesprochene Fülle von über 160 verschiedenen Ehrenzeichen und Medaillen, vom Verdienstkreuz für besondere Leistungen oder hervorragende Verdienste auf dem Gebiete des Feuerwehr- und Rettungswesens in Gold des Landes Steiermark über den Radetzky-Orden der Militärklasse Grossstern bis zum Bundesheerdienstzeichen 1., 2. und 3. Klasse. Man huldigt der präzisen Benennung, hervorragende Verdienste im Feuerwehrwesen der Steiermark wollen eben exakt so sprachlich gewürdigt werden. Der Triumph der Eindeutigkeit findet im nebenstehenden Verkehrsschild nicht nur seinen Eingang ins werktätige Volk, sondern auch einen Höhepunkt. Das Schild ist ungeheuer präzise und wird es wohl auch immer bleiben, denn es ist selbstaktualisierend, weil es trickreich auf die Ferienreiseverordnung verweist. Soviel Genauigkeit beeindruckt den Österreichreisenden und hilft, dass das Land nicht in Chaos und Anarchie versinkt. Es macht eben einen grossen, dringend festzuhaltenden Unterschied, ob ein über 3,5 Tonnen schwerer Ziel- und Quellverkehr aus Gutenbrunn kommt oder aus Krems. Ausser es ist ein Milchtransport.


04.09.2006 | 01:18 | Supertiere | Vermutungen über die Welt

Mutmassungen über die Weppelzihne


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Mit dem Nasobem hat die Weppelzihne gemeinsam, dass beide noch nicht im Brehm stehen, noch nicht im Meyer und auch im Brockhaus nicht. Nicht einmal die Wikipedia kennt die Weppelzihne, und da es ein trauriges Los für ein Tier ist, nur posthum als Veloursmantelbesatz bekannt zu werden, widmen wir uns heute zum ersten und letzten Mal der Weppelzihne. Es handelt sich vermutlich (Fellqualität!) um ein aquatisch lebendes Tier, ein Nagetier oder eine Marderart. Die Weppelzihne weppelt den ganzen Tag aus ihrem Bau heraus und wieder hinein. Sie ernährt sich auf ausserordentlich mühsame Art, wird kaum älter als zwei Jahre, und für einen Mantelbesatz braucht man einige hundert Stück, die sich dank ihrer Neigung zum Herumweppeln mit einem simplen Marmeladenglas im Laufe eines einzigen Nachmittags einfangen lassen. Weppelzihnenpelz ist also nicht nur Mord, sondern Mord an besonders hilflosen und doofen Tieren, aber das stört ja bei den Robbenbabys auch kaum jemanden. Die Evolution gelobt, es beim nächsten Mal besser zu machen, und der Veloursmantelkäufer hüllt sich mitleidlos in die letzten Weppelzihnen der Welt. Adieu, Weppelzihne, du wirst es nie in den Brockhaus schaffen.


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Gesamt: 6 Punkte


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