Riesenmaschine

06.11.2012 | 20:50 | Essen und Essenzielles

Gebackene Bälle


Screenshot von eattheball.com

Warum interessieren sich eigentlich immer weniger und fast keine jungen Leute mehr für Brot? Fragt die Firma Eat the Ball aus Salzburg auf ihrer Homepage, und gibt sich gleich selbst die Antwort, weil uns bisher die Problematik noch gar nicht so bewusst gewesen ist: "Weil Brot und Gebäck generisch, wenig spannend, uninteressant und gar nicht cool geworden sind bzw. so wenig unterschiedlich schmecken, dass sie beinahe nur mehr mit Füllung (Wurst, Fleisch, Käse, Marmelade, etc.) genossen werden können." Früher war es also cool und spannend, Brot nur so zu essen, ohne alles, das so genannte trocken Brot. Aber weil inzwischen aus lauter Verzweiflung pakistanische Cricketspieler schon mal an dem einen oder anderen Ball geknabbert haben, kam man wohl in den Backstuben Salzburgs auf die Idee, dass es zwar in erster Linie am wenig spannenden Geschmack liegen muss, aber wohl auch an der Form, dass Brot so uninteressant ist. Eventuell gibt es hier einen Zusammenhang mit dem sogenannten Globussyndrom, dem Kloss im Hals. Wer sich bisher nicht erklären konnte, warum es mit dem Schlucken hapert, wo man doch Brot bisher nur in Scheiben schnabulierte, mit dem Brotball erklärt sich das, was wir seit Pythagoras wissen sollten: dass unser hübscher, kleiner Erdball eben keine Scheibe ist.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link | Kommentare (1)


03.11.2012 | 19:01 | Alles wird schlechter | Essen und Essenzielles

Chinesische Getränkefolter

Der Getränkesektor liegt in Scherben, oder was auch immer entsteht, wenn man Plastikflaschen und Blechdosen in kleine Stücke reisst. Das beklagten wir schon vor gut zwei Jahren, und wenig hat sich seitdem getan. Das Near-Water-Segment ist immer noch in der Apfel-Himbeer-Dauerschleife. Auf dem Cola-Markt gilt es bereits als Innovation, wenn man Zucker durch Agavendicksaft ersetzt. Die Energydrinkfront beschränkt sich auf leichte Modifikationen in ihrer Tier-Ikonographie und verkauft weiterhin hart gesüssten Urin. Und das Fentiman's-Sortiment, für Insider schon immer eine Oase der Softdrink-Kreativität, wird nur noch in zweieinhalb Zeitungsläden im Südosten von Lancashire angeboten.


(Foto: Aleks Scholz)
In diesen argen Zeiten ist es schwer, weiter für den Getränkefortschritt zu kämpfen, und viele von uns haben inzwischen aufgegeben. Wer jetzt noch durchhält, der hat vermutlich einen Chinaladen in unmittelbarer Nähe. Exilchinesen werden überraschend zum letzten Bollwerk der Getränkerevolution. In dreckigen Kühlschränken, versteckt irgendwo im Keller von Bahnhöfen, gleich neben kaputten Geldautomaten, stehen die Softdrink-Ersatzdrogen, die uns durch die harten Tage helfen. Zum Beispiel der Pennywort Drink von Foco, ein "Erfrischungsgetränk mit Wassernabelgeschmack", gebraut offenbar aus Indischem Wassernabel (Centella Asiatica). Man sagt, es hilft gegen Lepra.

Indischer Wassernabel ist eine kleine, krautige Pflanze, die im Sumpf und im Dreck gedeiht, und der genau zu Sumpf und Dreck passende Geruch aus Verwesung schlägt einem entgegen, sobald man es geschafft hat, die äusserst gut gepanzerte Dose zu öffnen. Ein bisschen rechnet man mit aufsteigenden Fliegenschwärmen. Wie so oft bei Gemüsedrinks wird man ein bisschen von einer stumpfbraunen Farbe überrascht, die eher an Reaktorabwasser erinnert. Der eigentlicher Knaller kommt jedoch erst beim ersten Schluck, denn der Geschmack – süsslich, blass, vegetativ, nichtssagend, schmerzlos – hat absolut rein gar nichts mit dem Todesgeruch zu tun, ein grosses Wunder der Natur. Die internationalen Reviews des Wassernabellikörs sind positiv ausgedrückt gemischt; es sei vielleicht gerade so okay, das Zeug nicht zu trinken; man möchte es vielleicht nicht in grossen Mengen trinken, wenn überhaupt; es schmecke zwar wie Meerschweinchenheu, sei aber immerhin nicht so schlecht wie Marmite.

Aber das sind die Opfer, die wir bringen müssen. Eine Dose mit Reaktortonic oder Meerschweinchenextrakt sind immer noch deutlich mehr Innovation als die Firmen Coca Cola, Bionade GmbH und Wüteria Mineralquellen seit Beginn des Jahrtausends hingekriegt haben. Marmite wird übrigens aus Bierhefeabfällen hergestellt.

Aleks Scholz | Dauerhafter Link


02.11.2012 | 00:14 | Anderswo | Fakten und Figuren

Ach wie flüchtig, ach wie wichtig


"Vergänglichkeit", Dresden. Die ursprünglich das Denkmal krönende Seifenblase
wurde im 2. Weltkrieg zerstört. (Foto: Kathrin Passig)

So vieler wichtiger Dinge wird weltweit in Marmorstein und Eisen gedacht: Männer auf Pferden, sehr grosse Männer auf sehr grossen Pferden, Männer falschherum auf Pferden, Männer falschherum ohne Pferd, Robocop, Käsemilben, Wiarton Willie, Penisse, grössere Penisse, aber auch Daumen, Riesenstühle, Haifische, die in Hausdächern stecken, aufgespiesste Insekten, Ho Chi Minhs Hintern, Tiere, die im Krieg gedient haben, Carhenge, Büroklammern, Büroklammern, Gabeln, Gabeln. Aber zu selten gedenken wir einer der wichtigsten Angelegenheiten, der Vergänglichkeit. Vermutlich, weil wir zu selten an sie erinnert werden. Es sei denn, wir halten uns gerade in Dresden auf, wo ein dauerhaftes Spezialdenkmal die Vorüberkommenden mahnt: Bedenke, Mensch, dass du nicht aus Stein bist! Nicht dass du viel davon hättest, wenn du aus Stein wärst, schau mich an, früher oder später erwischt es uns alle, dich etwas früher als mich, du glibbriges Spektakel. Wer jetzt keinen Bausparvertrag hat, kauft sich keinen mehr.


28.10.2012 | 10:55 | Alles wird besser | Fakten und Figuren | Effekte und Syndrome

Hydrodynamisches Utopia

Die Sowjetunion konnte Bodeneffektfahrzeuge und sie konnte Grössenwahn. Die Kombination beider Fähigkeiten ergab das Kaspische Monster, das grösste Ekranoplan der Welt und bis heute eines der grössten und schwersten Dinge, die je kontrolliert die Erdoberfläche verliessen. Die Bilder und Videos vom KM sind dermassen ergreifend, dass sie weltweit mehrere Menschen dazu brachten, ihren Facebookstatus zu updaten. Das KM wirkt heute wie ein Anachronismus, ein Fehler in der Evolution, ein gigantisches Mysterium, interessant nur, weil es bizarr ist, ausgestorben, weil es nicht in die Welt passte, und damit in einer Kategorie mit den Dinosauriern, den antiken Steinkreisen und den überdimensionalen Brotschneidemaschinen der frühen Siebziger.


Pelikan demonstriert Bodeneffekt (Foto: H. Michael Miley, CC-BY-SA 2.0)
Wenn das Kaspische Monster reden könnte, würde es an dieser Stelle widersprechen. Es würde uns erklären, dass es wegen des sogenannten Bodeneffekts genauso schnell ist wie Flugzeuge, aber genauso viel transportieren kann wie Schiffe, das Beste aus zwei Welten. Die beste Tragfläche ist unendlich lang, sagt das Monster, und verwendet darum eine unendlich lange Randbedingung – die Erdoberfläche –, um die ineffizienten Wirbel am Ende der notgedrungen endlichen Tragfläche unter Kontrolle zu halten. Der Bodeneffekt ist einer der vielen schönen unbekannten hydrodynamischen Effekte (siehe auch Coanda-Effekt), die gewaltige Kräfte freisetzen können, Kräfte, die direkt aus dem unordentlichen Herzen der schönen, alten Physik kommen.

Klar ist auch, dass die uns bekannten Technologien nur einen winzigen Teil des möglichen Spektrums aller technischen Lösungen abdecken, ein Teil, an dessen Rand das Kaspische Monster herummanövriert. Ohne das Genie von Alexejew, die Launen von Chruschtschow und die Zentralgewalt des sowjetischen Regimes, das unbegrenzt Mittel in ein langfristiges Projekt mit unbekanntem Ausgang pumpen konnte, hätte es das Kaspische Ekranoplan nie gegeben. Welche hydrodynamischen Monster würden andere unwahrscheinliche Umstände hervorbringen? Wieso benutzen wir Autos und keine VTOL-Fahrzeuge? Wieviele Riesenmaschinen haben wir noch nicht gesehen? Leider kann das Kaspische Monster nicht reden.


25.10.2012 | 00:25 | Fakten und Figuren | Sachen kaufen | Listen

Die 478 Phasen der Zukunft


Statt Kalender (Foto: Kathrin Passig)
Lange war die Riesenmaschine unaufmerksam, ungezählte Neuerungen auf dem Spülmaschinentabsektor zogen unerforscht an uns vorüber. Die siebte Phase wurde im Jahr 2007 von Tex Rubinowitz untersucht, dessen hellsichtige Prognose "Jede Wette, dass nächstes Jahr (2008!) eine achte Phase dazu kommt" sich auch umgehend (2008!) bewahrheitete.

Laut Wikipedia handelt es sich bei den ersten sieben Phasen um 1. Geschirrreiniger, 2. Klarspüler, 3. Wasserenthärter, 4. Glasschutz, 5. Spülkraftverstärker, 6. Edelstahlglanz und 7. Power-Entkruster. Seit 2007 hinzugekommen sind "Silberschutz", "Niedrigtemperatursystem", "Maschinenschutz", "Geruchsneutralisierer" und der "Extra-Schnell-Trockeneffekt". Zwar beinhalten die 12-Phasen-Tabs von "ja!" "alle wichtigen Funktionen in nur einem Tab", aber aus den beiden Datenpunkten "7 Phasen im Jahr 2007" und "12 Phasen im Jahr 2012" lässt sich errechnen, dass Spülmaschinenforscher bis zum Jahr 2500 weitere 478 wichtige Funktionen entdecken werden. Zunächst natürlich die naheliegenden, "Funktionsverstärker", "Dosierkammer-Reinigung" und "In-der-Schachtel-Enthalten-Sein", später folgen "Spülmaschinenein-und-ausräumsystem", "holt die Kinder von der Schule ab" und "Anti-Migräne-Effekt", bis die Menschheit schliesslich in die Ära der Spülmaschinentab-Funktion "Neue Spülmaschinentab-Funktionen ausdenken" eintritt. In etwa 10100 Jahren werden Spülmaschinentabs alle im Universum vorhandenen Funktionen übernommen haben.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Die siebte Phase


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