Paradigmenfalle, erfunden von Kathrin Passig (Foto: Kathrin Passig)Paradigmen sind so ähnlich wie Flöhe, die auf der norddeutschen Tiefebene balancieren: Sie fallen erst runter, wenn die Mongolen einfallen. Moment, das ergibt keinen Sinn. Zufällig ist der letzte Satz identisch mit der Reaktion nahezu aller Physiker, als sie davon lasen, dass der radioaktive Zerfall jetzt plötzlich periodisch schwanken und zudem davon abhängen soll, wieviele Neutrinos gerade von der Sonne kommen. An dieser Stelle soll egal sein, dass diese Erkenntnis unter anderem von einem Professor verbreitet wird, der in den 90ern noch UFOs gejagt hat, auch soll keine Rolle spielen, dass die Meldung vorwiegend über Pressemitteilung, Blogs und Twitter Verbreitung fand (Blogs! FEURIO! MORDIO!) und dass solche Meldungen natürlich wie frische Möhren auf die Kaninchen der Kreationisten wirken. Wichtig ist allein, dass sie das Paradigma erschüttert und auch sonst nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.
Einigermassen freundlich weist das Paradigma auf folgende Umstände hin: Radioaktiver Zerfall ist vollständig dem Zufall unterworfen; zu jedem Zeitpunkt gibt es eine festgelegte Wahrscheinlichkeit für den Zerfall, ob er wirklich stattfindet oder nicht, weiss kein Mensch. So ist es halt mit den Quanten, genauso wie mit Würfeln, sagt das Paradigma, wenn es anders wäre und die Sonne die Quanten beeinflusst, könnten wir den Laden erstmal dichtmachen. Wir müssten von vorne anfangen, die ganzen Lehrbücher neu schreiben, alle Vorlesungen überarbeiten, die Institute neu organisieren, neue Leute einstellen, neue Experimente bauen, alles anders anstreichen und am Ende den Hund rausbringen. Das wäre ungeheuerlich und ausserdem jede Menge Stress. Weswegen sich die meisten dagegen sträuben, und zwar zu Recht, die dubiosen paradigmengefährdenden Dinge auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Schliesslich ist es nicht von ungefähr ein Paradigma, und nicht nur eine Scheibe verschimmeltes Graubrot, die so einfach umfallen würde. Wie eine grosse Bleikugel hängt das Paradigma am Bein des Wissenschaftlers und hält ihn auf den Boden dessen, was wir für Tatsachen halten.
Eine Woche später dann weist David Crawford darauf hin, dass das mittelschwere Paradigma mit diesem sogenannten Urknall komplett falsch ist. Niemand zuckte auch nur mit den Achseln.
Erstaunliches Buch (Bild: Christian Y. Schmidt / Tiamat Verlag)Dieses Buch hat, wie man deutlich sieht, ein Kaninchen auf dem Cover, mithin fast ein Nagetier. Es stammt aus dem daoistischen Dong Yue Tempel im Osten Pekings, der dem Gott des heiligen Bergs Taishan gewidmet ist, der wiederum mit dem Unterweltgott Yama identisch sein soll. Das etwa ein Meter siebzig grosse Kaninchen steht in einer der siebzig Hallen, die sich um den Haupttempel gruppieren und in denen Szenen aus der chinesischen Hölle nachgestellt sind. Was das Kaninchen in der Hölle soll, ist nicht exakt herauszukriegen. Wahrscheinlich wird es der vom Herrn der Unterwelt ernannte Kaninchengott Tu Er Shen sein, der im daoistischen Götterkosmos die Liebesbeziehungen zwischen homosexuellen Männern verwaltet.
Und so spricht das soeben erschienene Buch bisher in erster Linie schwule daoistische thanatophile Kaninchenanbeter an, die es auch ohne weitere Aufforderung kaufen. Da diese Gruppe allerdings zu klein ist, um nur die Druckkosten wieder einzuspielen, muss das Buch für andere Käuferschichten ganz platt und deutlich beworben werden. Also: Zum ersten Mal tot wurde auch speziell für Riesenmaschinenleser geschrieben. Es handelt nämlich nur von extrem wichtigen Innovationen, und zwar im Leben des Riesenmaschinenautors Christian Y. Schmidt: Der ersten Ratlosigkeit, dem ersten Sex, der ersten Droge, der ersten Tracht Prügel, der ersten Reue und dem ersten Aufenthalt in der echten Hölle. Das Buch ist ganz gut und darf in keiner Innovationsfreakbibliothek fehlen. Ergo: Kaufen Sie's!
Nicht mehr ganz so taufrisch ist die Idee, Riesenmaschinenautoren ihre eigenen Bücher in der Riesenmaschine selbst bepreisen zu lassen. Darum ist es auch nicht mehr ganz so peinlich. Sollten Sie mich allerdings eines Tages dabei erwischen, wie ich Leserbriefe an Tageszeitungen verfasse: siehe hier: 1. Absatz, 9. Zeile!
Wie oft hat man nicht schon behauptet, die Zukunft sei da. Zum Beispiel 1620, 1875, 1911, 1975 und 1992. Und den absurden Claim von 2005 natürlich. Aber kann es wirklich eine Zukunft geben, in der man sich seine Schnürsenkel selbst zubinden muss? Eine Frage, die Blake Bevin aus dem nebelverhangenen San Francisco in jahrelangen Bemühungen erhängt und gevierteilt hat, und zwar mit den Power Laces 2.0, den ersten Schuhen mit selbstzubindenden Schnürsenkeln, auf der gesamten Welt. Endlich. Wir sind keine Schnürsenkelzubinder mehr. Jetzt werden uns die Aliens nicht mehr auslachen.
(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)Man muss es so sagen: die gelungensten Exponate von Adrienne Göhlers gestern eröffneter und insgesamt sehenswerter Ausstellung Zur Nachahmung empfohlen in den Weddinger Uferhallen sind eindeutig und mit grossem Abstand die aus einem Schrottauto destillierten Fahrräder von Folke Köbberling & Martin Kaltwasser. Nicht, dass man sich nicht über die von Superflex durchgeführte und dokumentierte Flutung einer McDonald's-Filiale amüsierte, mit Gewinn über Adib Frickes Phrasenfragmente meditieren könnte oder eine spontane Symbiose mit Antal Lakners Pflanzenhaut eingehen möchte – aber mit diesen Dingern will man einfach sofort durch ein Schwellenland oder einen Problembezirk seiner Wahl cruisen und dabei bescheuerte Hüte tragen. In Kleinserie gehen, bitte!
Brille auf und los. (Foto: jimf0390 / Lizenz)Mit einer Sonderbeilage und einer beigelegten 3D-Brille beglückte die Berliner Zeitung heute ihre Leser. Auf dem Titel wurde das Ganze bedeutsam angekündigt: "Beamen wie auf dem Raumschiff Enterprise – das klappt noch nicht. Aber Bilder in einer neuen Dimension zu erleben, das schon. 3-D heisst das Zauberwort der multimedialen Zeit. Ihre Berliner Zeitung führt sie in einer Beilage auf 24 Seiten durch diese faszinierende Welt. Brille auf und los."
Nun konnte man die Brille nicht direkt "auf" setzen, weil sie keine Bügel hatte, aber macht ja nichts: Wir begrüssen natürlich trotzdem, dass jetzt, 147 Jahre nach der Entwicklung des Anaglyphenverfahrens, auch die Printzeitungswelt in den 50er Jahren im multimedialen Zeitalter angekommen ist (auch wenn wir bisher eher "Cyberspace", "Augmented Reality", "Hypertextualität", "Smartphone-Technologie" oder vielleicht noch "Diaporama", "Geruchskino" oder "Force Feedback" für dessen "Zauberworte" hielten). Toll auch, dass nebenbei noch eine neue Dimension entdeckt wurde – das kommt nicht so oft vor – und tatsächlich die gesamte Beilage in 3D gedruckt wurde, sogar die 12,5 – viel mehr als sonst! – Anzeigenseiten. Und in Farbe.
An dieser Stelle sei noch auf die bevorstehenden 4D-Wochen der Riesenmaschine hingewiesen. Eine von unseren professionellen Mitarbeitern sorgfältig redaktionell betreute Artikelserie beschäftigt sich umfassend mit 4D-Journalismus und unsere Anzeigenabteilung hält interessante Specials für den Aktionszeitraum bereit. Nutzen Sie jetzt den Frühbucher-Bonus!