Riesenmaschine

15.08.2006 | 14:16 | Berlin | Anderswo | Supertiere | Alles wird besser

Pet Architecture


Foto: World Photo Press/Atelier Bow Wow
In der Berliner Neuen Nationalgalerie ist zur Zeit anlässlich des noch immer laufenden Deutschlandjahrs in Japan die bereits an anderer Stelle erwähnte Ausstellung Berlin-Tokyo/ Tokyo-Berlin zu sehen. Neben viel zu vielen und etwas beliebig zusammengestellten Exponaten aus rund hundert Jahren gegenseitig beeinflusster Kulturgeschichte sowie einigem bonbonfarbigen Blendwerk finden sich auch ein paar sehr hübsche Ausstellungsstücke: Beispielsweise ein Film, in dem der Filmemacher einem gefangenen Tintenfisch Tokio zeigt und ihn mit dessen Bewohnern bekannt macht. Und natürlich das Pet Architecture Museum des Atelier Bow Wow, das diverse Beispiele für Pet Architecture aus dem Tokioter Alltag dokumentiert.

Pets, companion animals of the people, are usually small, humorous and charming. We find what we could call "Pet Architecture", architecture having pet like characteristics, existing in the most unexpected places within the Tokyo city limits, erklären die Bow-Wow-Leute ihre Namenswahl. Das funktioniert so: Wenn zwischen einem Gebäude und dem Bürgersteig noch 60 cm Platz sind, dann baut man seine Fahrradwerkstatt eben in den Massen 0,4 x sehr viele Meter. Hat man hingegen für sein Lagerhaus nur einen ähnlich proportionierten Streifen von Tokio, dann spezialisiert man sich halt auf entsprechendes Verkaufsgut, z.B. sehr lange Rohre. Auch die Behausungen der Obdachlosen in Japan sind im Pet Architecture Museum vertreten.

Und weil Tokio gross und vollgestellt ist, die Grundpreise hoch sind und die Bauaufsicht nachsichtig ist, gibt es schon längst genug dieser winzigen Bauwerke, um damit ein ganzes Buch zu füllen. Sammlungen von Pet Architecture in anderen Städten wurden ebenfalls begonnen, was sehr löblich ist und unbedingt nachgeahmt werden sollte – allerdings darf man die ganze Sache auf gar keinen Fall hiermit verwechseln.

Dieser Beitrag ist ein Update zu Deutsch-Japanische Luftwurzeln II und Furbyhaus.


15.08.2006 | 05:05 | Nachtleuchtendes | Fakten und Figuren

Ansichten aus dem Nonneninnen


Im Inneren der Nonnen wohnt ein Kind. Wer hätte das gedacht? (Foto: Drake LeLane)
Wie sieht es im Inneren einer Karmeliternonne aus? Für diejenigen unter uns, denen die Frage schon länger auf den vor Spannung zerkauten Nägeln brannte, hat eine Forschergruppe in Montreal jetzt Abhilfe geschaffen, und den Salat auch gleich bei Neuroscience Letters publiziert. Man hat dort Nonnen in enge, kühle Röhren geschoben, und ihnen dann mit Magnetfeldern den Kopf in Scheiben geschnitten, während sie sich mit Gott eins fühlten, ein Zustand, in den Karmeliterinnen sich offenbar in den schlimmsten Bredouillen mit klösterlicher Leichtigkeit zu versetzen verstehen. Vorhersehbarerweise führt das ganze zu Bildern von Nonnengehirnen mit ein paar farbigen Flecken drauf. Der Vorgang insgesamt gemahnt einerseits an Persinger, der ja bei seinen Experimenten religiöse Ekstasen nicht misst, sondern gleich selber auslöst, andererseits aber auch an die banale Erkenntnis, die einem Redakteur der Zeitschrift Science vor einer Weile unbemerkt durch die Korrekturfahnen wehte: dass nämlich ein Hirnscan beweise, dass eine bestimmte kognitive Fähigkeit im Gehirn verortet sei. So dekorativ sind diese Bilder vom bunten Grauen, dass man sich nicht vorstellen mag, es lasse sich mit ihnen nicht doch mehr beweisen, als dass auch bei Nonnens die Party eben im Kopfinnern steigt.


14.08.2006 | 16:56 | Fakten und Figuren

Paralektronoia


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Den Hamburger Musiker Felix Kubin, der sich selbst als "harte Zelle" bezeichnet und bereits als Dreizehnjähriger Bühnentriumphe einfuhr wie der brave Landmann andernorts die Runkelrüben, treiben neben seiner alltäglichen Beschäftigung mit Klangerzeugung auch immer wieder Fragen um wie: "Können wir mit Zahnfüllungen Stimmen empfangen? Ist die Sinusschwingung ein akustisches Gespenst des menschlichen Unterbewusstseins? Handeln Menschen nach Frequenzen?" Für den WDR hat er Erfinder und Musiker versammelt, um der "Paralektronoia" auf die Spur zu kommen. Mit systematischer Feldforschung und radiophonen Experimenten erkunden sie die Auswirkungen unsichtbarer Schwingungen auf die Psyche. "Paralektronoia" hebt die Grenzen zwischen Sender und Empfänger auf. Mit Alvin Lucier, Carl Michael von Hausswolff, Asmus Tietchens, Lionel Marchetti, Matthias Breitenbach, Traugott Buhre, Gloria Brillowska, Charlotte Crome, Ditterich von Euler-Donnersperg u.a. Sendetermine: 15. August, Dienstag, 23 Uhr auf WDR Eins Live und 2. Oktober, Montag 23:05 auf WDR 3. Hören Sie auf Ihre inneren Stimmen. Ihr Radio hört mit. Das Programm wird gestreamt, kann also über Internet, auf Sirius und über die Plombe im Backenzahn empfangen werden.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


14.08.2006 | 10:51 | Alles wird schlechter

Google also doch keine ganz so gute Firma*


googeln, googeln, googeln, googlen (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Der Independent gilt als einigermassen okaye Zeitung, deshalb kann man auch eine bei Reddit gefundene Meldung glauben: Google lässt seine Rechtsabteilung Briefe an verschiedene Medien schicken, dass die Verwendung von 'to google' als Verb ein Verstoss gegen die Markenrechte sei. Eine interessante sprachfaschistoide Sichtweise, die sprachfaschistoider kaum sein könnte von diesen Kulturfaschisten. Abgesehen davon wird man, wenn Google seine derzeitige Geschäftsentwicklung vorantreibt, also alles zu vermarkten, was irgendwie mit irgendwas anderem zu tun hat, in arge Formulierungsschwierigkeiten kommen. An dieser Stelle sei der verehrungswürdige Satz eingepflegt, den Slashdot-Nutzer EnsilZah im Januar diesen Jahres von sich gab: "In a few years you'll be driving your google to the google to buy some google for your google." Immerhin: Google nur als Substantiv verwendet. Vorbildlich.

*auf Bitten von Holm Friebe geändert.


14.08.2006 | 01:18 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen kaufen

Tod ohne Himmel


Puttin' the "fun" back in "funeral"
Eine klare Vorstellung davon, was im Todesfall mit unseren sterblichen Überresten geschehen soll, gibt es nicht. Allerdings arbeiten hier die Fachleute, anders als beim Thema der Unsterblichen Seele, laufend an neuen Optionen und Verbesserungen. Die Rolle eines Katalysators für Innovationsprozesse im Bestattungsgewerbe scheint dabei Nordrhein-Westfalen einzunehmen, in dessen Grenzen einem das bundesweit breiteste Angebot für die Zeit nach dem Lebensabend offeriert wird. Wer z.B. während der Fussball-WM zu sterben gedachte, konnte sich dank eines Düsseldorfer Bestattungsunternehmens in einer Fussball-Urne zur letzten Ruhe betten lassen. Auch so genannte Streuwiesen gab es in NRW schon lange, bevor man anderenorts auch nur davon zu träumen wagte, nach einer feurigen, vielleicht sogar mit Filmzitaten gespickten Rede, Grossvaters Asche den verhassten drittgradigen Verwandten ins Gesicht zu schleudern.

Vor kurzem schliesslich eröffnete in Düsseldorf der erste Indoor-Friedhof Deutschlands – mit tiefer Decke statt hohem blauen Himmel. Die offizielle Erklärung, im entsprechenden Stadtteil gäbe es keinen konventionellen Friedhof, wohl aber genug leer stehende Kellerräume, mit deren Nutzung man dem Outsourcen von Leichen in andere Bezirke ein Ende setzen könne, scheint vorgeschoben: Denn Tote sind eigentlich vom Aussterben bedroht! Unzählige Plätze auf Friedhöfen stehen frei und die Wirtschaft leidet. Welche Möglichkeit hätte man also, die überflüssige, leere und somit Kosten verursachende Friedhofsfläche lukrativ zu nutzen? Die Zahl der Toten aktiv zu erhöhen wäre unter ethischen Gesichtspunkten nur schwer legitimierbar, und eine Nutzung durch Dienstleistungsunternehmen oder Ähnliches würde die Totenruhe stören. Vermutlich also genau deshalb jetzt alles indoor, mit schalldämmender Doppelverglasung und dicken Wänden. Die Toten nach drinnen in selige Ruhe und auf die Friedhofswiesen dann... hoffentlich keine Wohnräume. Denn Wohnen auf Friedhöfen, das hat sich nicht bewährt.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Urnenwahl

Christian F. Brückner | Dauerhafter Link | Kommentare (3)


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