16.06.2006 | 17:25 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt
 So hatten sich die Yuppies die von ihnen selbst ins Rattern gebrachte Globalisierung nicht vorgestellt (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Die Fast-Essen-Kette Nordsee bastelt als Erweiterung ihrer beliebten Fischbrötchen Sushi. Eventuell hat das damit zu tun, dass Eigentümer Heiner Kamps mit Systembäckerei gross geworden ist, bei der straffe Waren- und Arbeitslogistik zum Erfolg führte. Im Fischbereich nun ist es schwierig, Gerichte zentral vorzubereiten und dann tiefgefroren zu transportieren – bei Sushi aber eben nicht. Um jetzt den Niedergang des Sushi als Speise der Besservertilgenden auszurufen, ist es geschätzte zehn Jahre zu spät. Auch Herrn Kamps sollte man mit Respekt begegnen, denn er hat nicht nur ein Unternehmen aufgebaut, eine Gewerkschafterin hat ihm vor einigen Jahren sogar bescheinigt, die fairsten Pachtverträge für seine Filialisten angeboten zu haben. Eventuell entgeht er deshalb sogar dem wegen der Erfindung des Schoko-Wuppis sicher geglaubten Höllenaufenthalt. Ausserdem essen wir den ganzen Tag Industriefrass und bisher hat das nur 3587 Menschen in Deutschland interessiert, was soll da an Industriesushi so schlimm sein? Woher rührt jetzt aber das Unwohlsein, das der mündige Passant angesichts der Nordsee-Sushi-Werbefahne empfindet? Nicht leicht zu erklären, denn auch der Seeteufel steckt im Detail, und das ist hier auch noch kulturübergreifend, deshalb muss ich etwas ausholen.
Globalisierung ist eigentlich eine gute Sache, und sie zu verdammen, weil die herrschende Konzernkaste damit Unfug anstellt, ist so, als würde man gegen das Feuer sein, weil damit Urwald verbrannt wird. Nein, der weltweite Austausch von Waren, Werten und Wissen ist notwendig und gut. Das gilt auch für Kulturgüter, denn Kultur ist Vermischung und Bereicherung und das Geschrei, Multikulti sei gescheitert, ist dumm und unerträglich, denn die Beispiele, die dafür beweisähnlich angebracht werden, handeln in den meisten Fällen von einem Milieu, wo alles Mögliche ist ausser Kultur; aber das völlig unüberraschende Scheitern des Nulltikulti ist nicht so leicht zu instrumentalisieren. Nordsee-Sushi krankt aber an etwas ganz Profanem. Die Addition aus deutschem Fischflair und anjapanisierter Esskultur wirkt so appetithemmend künstlich wie Kaffee-Senf-Schokolade. Manchmal ist das Ganze weniger als die Summe seiner Teile.
16.06.2006 | 11:35 | Alles wird besser | Fakten und Figuren
 "Contrary to the impression given by the picture (...) this research is not entirely carried out in the nude." (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Was wären wir ohne die Wissenschaft! Schon heute ist sie aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und jeden Tag kommen neue, aufsehenerregende Entdeckungen hinzu: Berge erscheinen uns steiler, wenn wir müde sind! Bzw. von oben betrachtet steiler, wenn wir Angst haben, von ihnen herunterzufallen und uns weh zu tun! Man kann auch aus Beton Boote bauen, die schwimmen! (Obwohl die Studenten in der Frage, warum das so ist, vielleicht noch ein bisschen forschen müssen, denn ihre Begründung ("verwendeter Beton leichter als Wasser"), wirkt im Angesicht ganz anderer, z.T. viel grösserer Schiffe aus Metall nicht wasserdicht.) Selbstmordattentaten wohnt "a certain irrationality" inne! Männer unterstellen schneller sexuelles Interesse als Frauen! Und wenn ein Mann und eine Frau zusammenziehen, ernährt sich der Mann ab jetzt gesünder, die Frau aber ungesünder als vorher! Fast Food macht gar dick! All das und noch viel mehr wurde gerade herausgefunden von fleissigen Wissenschaftlern, die dabei manchmal sogar vollständig bekleidet waren.
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Kleine Lochkunde
16.06.2006 | 02:16 | Vermutungen über die Welt
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Es gab eine Zeit, da hielt der Mensch seine Rationalität, die er fein von den bloss biologischen Trieben zu unterscheiden wusste, für eine Superkraft, die ihn heraushebe aus dem Gesocks, Gekriech und Geflieg in seine eigene kleine Gerechtigkeitsliga. Der abstrakte Gedanke, so dieser abstrakte Gedanke, komme nicht durch Gekröse und Sacksuppe in die Welt, sondern durch den Geist, und sei also ganz besonders dufte und werweiss sogar von höchster Stelle geplant. Mittlerweile freilich ist diese Ansicht unpopulär, und der menschliche Verstand im verbreitetsten Modell eine Ansammlung von Modulen, die mit ihrer biologischen Bedingtheit das Denkbare beschränken und den Geist an den Matsch ketten. Das ist natürlich dem Romantiker ein Dorn im Auge, und so wird jeder winzige Beleg einer Restwürde gierig kolportiert.
Neuester Anlass zur Freude ist die Meldung zweier Sprachforscher aus den chilenischen Anden, wo die einheimischen Aymara die Zukunft hinten und die Vergangenheit vorne verorten. Das äussert sich sowohl in der Wortwahl als auch in ihren Gesten, und ist natürlich ein hübsches Kuriosum, das auch zu schönen Folgefragen einlädt. "Ist dann Sehen dasselbe wie sich Erinnern und die Welt ein externes visuelles Gedächtnis?", "Fahren Aymara dann also lieber rückwärts im Zug?" und "Kommt es bei den Aymara also drauf an, was vorne rauskommt?" sind nur drei davon. Wer die Meldung aber wie ihre Autoren als Nachweis verstehen möchte, dass der Geist über der Materie stehe, weil "bei derselben Neuroanatomie und Neurotransmittern wir hier eine Grundvorstellung haben, die komplett anders ist", macht im Verständnis der ganzen Kopfchose einen gewaltigen Schritt nach vorn. Also zurück.
15.06.2006 | 18:45 | Anderswo | Fakten und Figuren | Sachen anziehen
Nichts liegt der Riesenmaschine ferner, als den thailändischen König Bhumibol (ganz: Rama IX. Bhumibol Adulyadej der Grosse) zu beleidigen. Dafür ist der Mann, der – wie vielfach berichtet – in der letzten Woche sein sechzigstes Thronjubiläum feierte und damit das mit weitem Abstand am längsten amtierende Staatsoberhaupt der Welt ist, einfach zu grossartig: Er kann nicht nur lang anhaltend ein ganzes Volk regieren, sondern malt, bildhauert und fotografiert noch obendrein, obgleich er – davon wird eher selten berichtet – bereits in frühen Jahren, bei einem Autounfall am Genfer See, ein Auge verlor. Auch verschiedene Segelboote hat der erfolgreiche Segler – Goldmedaille bei den Südostasienspielen 1967 – persönlich entworfen. Bhumibol gilt zudem als grosser Regenmacher, der, als in Thailand mal eine grosse Dürre herrschte, prompt eine nichtgiftige Chemikalie erfand, sie in Wolken applizieren liess und diese damit zum Regnen zwang. Und er ist nicht zuletzt ein grosser Komponist. 43 Musikstücke hat er im Laufe seines Leben komponiert, darunter etliche schöne Jazz-Titel, die er auch auf dem Saxophon, der Klarinette, der Trompete, dem Klavier und der Gitarre – alle diese Instrumente beherrscht der Superkönig nämlich – selbst spielte, u.a. mit Jazz-Giganten wie Benny Goodman, Lionel Hampton, Stan Getz und Jack Teagarden, was man sich auch hier anhören kann.
Wie gesagt, nichts liegt uns ferner, als diesen wirklich wunderbaren Alleskönner zu beleidigen, zumal wir ansonsten auch unseren nächsten Phuket-Urlaub vergessen könnten. Auf Majestätsbeleidigung stehen in Thailand nämlich bis zu fünfzehn Jahre Gefängnis, und Ausländer, die etwas Unbedachtes über den König sagen, werden schnell zu unerwünschten Personen erklärt. Allerdings können wir nicht umhin, obiges Foto wiederzugeben, das wir in der Financial Times vom 9. Juni fanden, und zwar in einer ganzseitigen Anzeige der "Government Savings Bank, Thailand", die anlässlich des Thronjubiläums geschaltet war. Weshalb wir uns gezwungen sehen? Nun, Majestät, äh, Ihr, ähem ... Nur so viel: Sitzt Ihr Schneider respektive königlicher Gewanddesigner eigentlich schon?
15.06.2006 | 15:51 | Alles wird schlechter
 Foto: Markus RechlinDie grosse Geigenvirtuosin Anne Sophie Mutter hat einmal gemeint, Musik sei kein Kaugummi-Fach, die Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Neue Musik am Leininger-Gymnasium Grünstadt Silke Egeler Wittmann hält dagegen, sie behauptet, dass man sehr wohl mit dem Kaugummi Musik machen und sogar dazu tanzen könne. Und schon 1949 bewies Friedel Hensch mit ihrem Schlager "Mein Kaugummi", dass man ihm durchaus auch eine musikalische Note abgewinnen kann, und das zu einer Zeit, als Kaugummi (in Deutschland zumindest) noch in den Kinderschuhen steckten. Auch in einem WamS-Artikel über die "musikalische Versteppung in Familien und Kindergärten" stellt der Autor ebenfalls fest, dass Musik zum Kaugummifach verkommen ist, und "dass Singen nach 1945 als faschistoid verteufelt wurde." Vor 45 war vermutlich Gummikauen faschistoid. Aber was ist eigentlich ein Kaugummifach? Bei Google gibt es nur 14 Einträge, jemand verkauft bei Ebay gebrauchte Kaugummischachteln mit teilweise leeren Kaugummifächern, in Putlitz-Berge wurde eine rote Plastikuhr mit Kaugummifach gefunden (Nähe Eiskafe Borchert), und in einem Audi-Forum gibt jemand Tipps, wie man das Kaugummifach im Wagen ausbaut. Wo landen eigentlich all die ausgekauten Gummis? Natürlich auch bei Ebay, im April konnte man dort einen riesigen Haufen kaufen. Und jetzt ist festgestellt worden, dass ausgerechnet im adretten Zürich die grösste Vielfalt von Kaugummi auf dem Pflaster zu finden ist. Ganz Zürich ein einziges Kaugummifach?
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Abtragungs- und Anlandungstätigkeit
- rätoromanische Küche
- Saunadorf
- Vergnügensmaximierung
SO NICHT:
- Hasenleim
- Platzanweiser-Architektur
- Wipperfürther in Mitte
- mittelgrosse Saunastadt
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"The Cabin in the Woods", Drew Goddard (2011)
Plus: 3, 8, 37, 41, 49, 64, 66, 79, 80, 94, 97, 138, 151 doppelt Minus: 118, 137, 198 Gesamt: 11 Punkte
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