05.08.2007 | 10:58 | Berlin | Alles wird besser
 Vorsicht, es wird von der Schusswaffe Gebrauch gemacht! (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Das neue grosse Wohn-Ding in Berlin sind derzeit die Townhouses. Dabei ist unter dem Begriff durchaus Platz für unterschiedliche Konzepte und Vorstellungen davon, wo die Reise der Stadt durch die Zeit hingehen soll. Während das noch von Baudirektor Stimmann durchgesetzte individualistische Ensemble am Friedrichswerder in Mitte das grossbürgerliche "Anything goes" der Kaiserzeit emuliert, wird in den Prenzlauer Gärten am Volkspark Friedrichshain das kleinstädtische Vorortidyll von – sagen wir: – Münster-Gievenbeck im neuen International Style der Gated Community aus einem Guss inszeniert. Obwohl längst nicht restlos verkauft, werden dort gerade die meisten Einheiten bezugsfertig gestellt. Schon parken Family-Vans und Mittelklasse-Limousinen in den Einfahrten, einzelne Balkone sind mit Vorgarten-Windspielen und bunten Glaskugeln dekoriert, Kinder in Bullerbü-Outfit und mit ebensolchen Namen spielen artig zwischen den Rabatten. Nur zwei seltsame Kuben aus massivem Beton an der Einfahrt befinden sich noch im Rohbaustadium und geben Rätsel auf: Werden hier demnächst zeremonielle Torwächter mit hoher Fellmütze und Bajonett patroullierend ihren Dienst versehen? Oder werden die Dinger doch noch mit Sandsäcken und Maschinengewehren zu veritabel wehrfähigen Wachtposten-Stellungen à la Gaza-Stadt hochgerüstet? Das hängt wohl auch davon ab, wie sich das soziale Klima im umliegenden Favela-Bezirk Prenzlauer Berg in der nächsten Zeit verschärft.
04.08.2007 | 20:02 | Anderswo | Zeichen und Wunder
 Im Spiegelkabinett von Kunst und Kommerz – Photo und Hinweis: Thomas Weyres (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Den Wanderer, der dieser Tage nach Kassel kommt, um seinen Kunstverstand auf der zwölften documenta mittels Molekularküche und Gazagiraffe zu schärfen und neu einzunorden, stürzt die Stadt unversehens in tiefste Verunsicherung, die umstandslos in Beziehungswahn umschlägt. "Halt!" denkt er sich etwa beim Bummel durch die Kasseler Fussgängerzone, "wirbt dieser modisch gekleidete Mann tatsächlich für die Jeans-Etage oder bin ich hier als Betrachter bereits Teil eines subtilen künstlerischen Eingriffs mit historischem Querverweis, bzw. Teil dessen mutwilliger Aktualisierung – und das womöglich an einer Stelle und auf eine Art und Weise, wo und wie ich es es am allerwenigsten erwarten würde?" Eine absolut berechtigte Frage.
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Vintage cooking
04.08.2007 | 14:14 | Berlin | Alles wird besser | Fakten und Figuren
 So sieht das Ende der Postmoderne aus (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Am Sonntag, den 29. Juli 2007 kam es in der Schankwirtschaft Prassnik zu einer Diskussion. "Was kommt eigentlich nach der Postmoderne, die ist ja inzwischen auch langweilig geworden", so lautete die zentrale Frage, die unter anderem behandelt wurde von Schriftsteller Wolfgang Herrndorf, dem Fachspezialisten Philipp Albers, dem Universalgelehrten Marek Hahn und Google per Handy. Moderne, so rief man sich ins Gedächtnis bzw. in den bestürzend kleinen Handycache, war geprägt von Gesellschaftsbildung, Industrialisierung und Erfindungen, die die sichtbare Welt dramatisch veränderten. Die Postmoderne dagegen, in den 1960ern beginnend, spielte sich hauptsächlich in den Köpfen ab und hatte deshalb eher ästhetische, soziale und lächerliche Komponenten, so die gestauchte Basisdefinition.
Nun aber, auf das Jahr genau elf Jahre nach der das Ende der Postmoderne einläutenden Sokal-Affäre, ist ein anderes Zeitalter über uns hereingebrochen und der Tropfen, der das Fass zum Überkochen brachte, ist nicht mehr als eine Schweizer Werbekampagne des Umweltherstellers WWF (Foto), in der ein scheinbar für andere stimmergreifendes Plakat darüber spricht, dass es nur ein Plakat sei. Der davorstehende Mensch, im Bewusstsein der Entstehungsweise eines Plakats, für das es allein aufgrund der Vielzahl der Beteiligten schon eine Unverschämtheit ist, wenn es "ich" sagt, abgesehen davon, dass es im Magritte'schen Sinne natürlich nichts sagt, muss erkennen, dass Zitat, Referenz und Ebenenbruch als Kulturtechniken ausgedient haben; die Postmoderne wird mit 47 frühverrentet.
Ein Sprung zurück: Während des Urknalls vor knapp 14 Milliarden Jahren entstand die Unbelebte Materie. Das Kambrium, keine 500 Millionen Jahre her, brachte uns die Kambrische Explosion, auch als Biologischer Urknall bezeichnet; es entstanden die heutigen Formen der belebten Materie. Es fehlt: der Urknall der belebten Unmaterie, ein geistiger Urknall, ein neues Kambrium im Kopf – eben das Neokambrium. Dieses sei hiermit ausgerufen, auch aus cargokultischen Gründen, also damit es endlich anfängt. Ein erstes Kennzeichen steht auch bereits fest: die gefühlte Realität, gleichzeitig Stärke und Schwäche der Postmoderne, wird abgeschafft. Man darf wieder unterscheiden zwischen Quatsch und kein Quatsch. Wie genau, das wird in den nächsten 500 Millionen Jahren zu klären sein.
03.08.2007 | 02:27 | Alles wird besser | Sachen kaufen
 Foto: koenkooi (Mit freundlicher Genehmigung) 1973, wir erinnern uns: ein tolles Jahr! Der Gründer der googligen Firma, Larry Page, wird geboren, die Raumstation Skylab in den Orbit geschossen, das World Trade Center eröffnet und Motorola-Manager Martin Cooper benutzt zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein sogenanntes Mobiltelefon, obwohl Grösse, Gewicht und Wert eher an eine Immobilie denken lassen. Nun gut, Larry Page ist nun doch böse, Skylab ab- und das WTC eingestürzt und die Usability von tragbaren Telefonen ist nur unwesentlich fortgeschritten. Zumindest das letzte Problem scheint jetzt endlich, 34 Jahre nach Erfindung, gelöst: Apple baut zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein Mobiltelefon, das man nicht sofort nach Inbetriebnahme kreischend an der nächsten Waschbetonwand zerschmettern möchte.
Wurde Zeit, ist aber eigentlich jetzt schon langweilig und die Wartezeit seit der Ankündigung lässt dem europäischen Impulskäufer zu viel Zeit zum Nachdenken: Ein schickes Telefon, aber mit eingelötetem Akku, gelockter SIM-Karte und modifiziertem, hermetisch versiegeltem Betriebssystem, das keine Software von Herstellern ausführt, die nicht Apple heissen und rundherum mit Patenten und proprietärem Popanz motivierten Programmierern alle denkbaren Steine in den Weg rollt. "Hey, das iPhone hat doch einen eingebauten Safari-Browser, ihr könnt das also voll gut mit HTML und Javascript und CSS und so programmieren!" lässt die Apple Developer Connection sinngemäss verlauten. Ha-ha.
Der Gegenentwurf, von seinem Schöpfer liebevoll auch "Anti-iPhone" genannt heisst eigentlich "Neo1973" und erinnert mit seinem Namen an Coopers erstes Mobiltelefonat. Gebaut wird es von einer taiwanesische Firma mit dem für deutsche Ohren etwas unglücklich klingenden Namen FIC. Deren Tochter OpenMoko betreut das gleichnamige OpenSource-Projekt, das sich um das Linux-basierte Betriebsystem des Telefons kümmert.
Wie jedem hippen Elektrogerät liegt dem Neo in der Advanced-Ausführung ein Gitarrenplektron bei, das hier jedoch zusammen mit dem massgeschneiderten Schraubenzieher "Neo Cracker" dem Öffnen und Zerlegen dient. Getreu dem Make-Motto "If you can't open it, you don't own it" beweist der Verkäufer hier ein gesundes Verständnis von Besitzverhältnissen. Dass es der Hersteller mit der Offenheit ernst meint, belegt auch die Auswahl der elektronischen Bauteile: Es wurden nur Komponenten verwendet, deren Dokumentation öffentlich zugänglich ist, um – ganz im Gegensatz zu Apple – Softwareentwicklern das Leben besonders leicht zu machen und der Zweckentfremdung bewusst Tür und Tor zu öffnen.
Und wer sich darüber ärgert, dass das iPhone mangels GPS-Empfängers zu den Bildern aus der integrierten Kamera keine Geokoordinaten aufzeichnen kann, horche auf: Mit dem Neo geht das auch nicht! Aber aus dem anderen Grund: Eine blöde Kamera hat man gar nicht erst eingebaut, einen AGPS-Empfänger aber eben schon.
Das Beste aber: man kann es jetzt schon und ohne Vertragsabschluss kaufen. Allerdings erst mal nur in zwei Vorabversionen, die sich an Softwareentwickler ($300) und Hardwarehacker ($450 mit Neo Cracker und Elektronik-Schnickschnack) richten, damit dann im Oktober zum offiziellen Verkaufsstart schon ein paar Killerapplikationen von freien Programmierern fertig sind. Zum Beispiel ein Satellitenbild, das sich stets um die aktuellen GPS-Koordinaten zentriert und die Position aller Freunde mittels blinkender Punkte anzeigt. Friss Staub, Apple!
02.08.2007 | 11:02 | Effekte und Syndrome
 Hat auch öfter mal danebengelegen: Heraklit (Foto, Lizenz)Philosoph X, der alte Schlauberger, hat damals behauptet, die Welt bestünde ausschliesslich aus dem, was wir von ihr wahrnehmen, aus Effekten und Syndromen nämlich, und es wäre nichts dahinter. Dafür musste er viel Hiebe einstecken, vor allem von Platoniker Y in seiner demagogischen Abhandlung "Das Ganze hinter allem", aber nach jahrhundertelangen Abwägungen der vorliegenden Fakten kann heute wohl kaum noch abgestritten werden, dass X von Anfang an vollkommen recht hatte: Effekte und Syndrome, die phänomenologischen Erscheinungen nämlich, sind nicht nur das Beste an der Welt, sie sind die Welt, und wer mehr dahinter vermutet, Nagetiere etwa oder Ausserirdische, hat einfach nicht mehr alle Tassen im Schrank. Der Untersuchung der Oberfläche der Welt dient aus diesem Grund die neue Riesenmaschinen-Kategorie "Effekte und Syndrome".
Ein hochrelevantes, weil auf das Nichts dahinter verweisendes Phänomen ist der wohl allen bekannte Leidenfrost-Effekt. Nur damit wir alle auf demselben Stand sind: Wirft man einen Wassertropfen auf eine ausreichend heisse Herdplatte, so beendet der Tropfen nicht etwa sofort zischend seine flüssige Existenz, sondern überlebt bis zu eine Minute lang in herumirrender Form. Leidenfrost, ein unaufgeklärter Duisburger Sachexperte, interpretierte den Effekt als Folge der Vier-Elemente-Lehre von Empedokles, die seit der Erfindung der Atombombe als widerlegt gilt. Die Wahrheit hinter dem Effekt, bzw. das optimistische Nichts: Der Tropfen erreicht nie die Herdplatte, sondern schwebt auf einem verkochten Film und kann daher natürlich gar nicht verdampfen. Die Welt ist nämlich in keiner Weise mystisch oder gar religiös, sondern benimmt sich in Wahrheit wie David Copperfield.
Und damit geht der Spass gerade erst los. Denn zum einen kann man mit dem Leidenfrost-Effekt einen praktischen Brownschen Motor bauen, also gerichtete Bewegung nur durch Zufall erzeugen, eine wichtige Innovation, zum Beispiel falls man betrunken ist und nicht mehr nach Hause findet. Zum anderen jedoch erlaubt der Leidenfrost-Effekt, wie in diesem instruktivem PDF-Dokument erklärt wird, zahlreiche Kunststücke: Unter anderem kann man einfach so seine (vorher befeuchtete) Hand in kochendes Blei tauchen, und sie wird keinen Schaden nehmen. Alle Kinder sollten das ausprobieren und anschliessend gründlich über die Gesetze der Physik nachzudenken. Vielleicht begleitet von ein paar Wochen rituellem Fasten.
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- an der Leine zerren
- Am besten gleich zwei kaufen
- alles mit Nano
- Wacholderdiät
SO NICHT:
- Jahre warten
- dauernd Kernelprobleme
- Überschwemmungen anzetteln
- an der Leine wohnen
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Breakfast on Pluto", Neil Jordan (2005)
Plus: 60 Minus: 18, 41, 66, 77, 99, 102, 103, 104, 105 Gesamt: -8 Punkte
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