11.11.2006 | 19:05 | Fakten und Figuren
Als die Krankheiten noch etwas bedeuteten, konnte man eben bei Halsweh die Zumutungen der Neuzeit nicht mehr schlucken, und wer Fusspilz hatte, dem zehrte der Zweifel die Fundamente seines Daseins auf. Heute sind Krankheiten nur noch Krankheiten, aber vielleicht haben ja wenigstens unsere Fehlleistungen noch einen Sinn?
In Oxford wurde gerade der Zusammenhang zwischen versehentlich ungespeicherten Daten und anderen Fehlleistungen erforscht (via Improbable Research). Wer in den letzten zweieinhalb Jahren seine Dissertation eingebüsst hat, weil er zu speichern vergass, dessen allgemeine Unfallhäufigkeit ist also nicht erhöht, auch Linkshänder leben in dieser Hinsicht nicht riskanter als andere Menschen. Wohl aber gibt es einen Zusammenhang zwischen Schusseligkeit ("Werfen Sie oft die Streichholzschachtel weg und behalten das abgebrannte Streichholz?") und Datenverlust. Wer sich in dieser Beschreibung wiedererkennt, aktiviert daher am besten überall die "Auto-Speichern alle 5 Minuten"-Option und vermeidet den Umgang mit Handgranaten.
11.11.2006 | 06:55 | Anderswo | Alles wird besser | Sachen kaufen | Vermutungen über die Welt
 Von vorne Auf dem Dach DrinnenWie man vielleicht weiss, ist der kleine, bizarre Inselstaat Singapur ein Land der Shopping Malls. Auf 4,4 Millionen Einwohner kommen mehr als 150 grosse Einkaufszentren, also auf ca. 30.000 Bewohner eines. Seit dem 7. Oktober kann der Singapurer in einer weiteren Mall Sachen kaufen. VivoCity ist mit gut 335.000 qm Verkaufsfläche momentan das grösste Einkaufsding der Insel, und jetzt schon das erfolgreichste. Nach einer Woche wurden knapp eine Millionen Besucher gezählt, inzwischen dürfte sich also jeder Singapurer das Trumm einmal angekuckt haben.
Gebaut hat die "Lifestyle Mall" der japanische Architekt Toyo Ito, der sein Bauen auch irgendwie auf Gilles Deleuze bezieht. Aber VivoCity – der Name soll sich von vivacity = Lebhaftigkeit oder Lebendigkeit herleiten – erinnert doch wohl eher an anthroposophische bzw. organische Architektur im Geiste Rudi Steiners, was recht lustig ist, weil eine Shopping Mall wohl so unanthroposophisch ist wie höchstens noch Heroin spritzen. Aber Herr Ito vermeidet (oder kaschiert) brav rechte Winkel, aussen und innen dominieren ovale, geschwungene Linien und Formen. Auf dem Dach steht Wasser in flachen, natürlich geformten Teichen, daneben gibt es ein Amphitheater; ein Open-Air-Kinderspielplatz findet sich im zweiten Stock. Zur organischen Inszenierung passen auch die gewählten Signature-Farben – ein Lindgrün und ein Hellblau wie aus dem Weleda-Katalog – und programmatische Sätze auf der VivoCity Homepage: "The VivoCity identity is inspired by a sense of natural energy and flow. Its organic and dynamic nature expresses the stimulating experience, reflects the energy in the name and complements the architectural vision."
Interessant an der neuen Waldorf-Mall ist gewiss auch, dass ihr Bauherr und Betreiber die Mapletree Investments Pte. Ltd. ist. Diese ist nun eine hundertprozentige Tochter von Temasek Holdings, welche wiederum dem Singapurer Finanzministerium gehört. Das heisst, VivoCity ist, wie viele andere Firmen in Singapur, ein Staatsbetrieb. Kann es also sein, dass die Waldorf-Mall ein Zeichen dafür ist, dass das kleine Land, dessen Regierung seit der Unabhängigkeit irgendwie zwischen Hardcore-Kapitalismus und Softcore-Sozialismus lavierte, jetzt anthroposophisch wird? Wird es demnächst auf Singapore Airlines-Flügen statt der gewohnten Sicherheitsturnübungen Eurythmiekurse geben? Und werden Singapurs Manager, Investmentbanker und Immobilienmakler zukünftig jeden Morgen gemeinsam auf dem Raffles Place singen, nasenflöten, malen und plastizieren? Möglich wär's. Auf jeden Fall in Singapur.
10.11.2006 | 19:05 | Fakten und Figuren
 Nicht immer reicht ein Bauklotz-Test aus. (Foto: Holger Zscheyge)Nehmen wir an, Sie wurden am Gehirn operiert. Gerade sind Sie aus dem Koma erwacht. Ihnen steht nun das Spiessrutenlaufen neuropsychologischer Tests bevor, schliesslich will man herausfinden, ob das Sägen, Schneiden und Schaben Ihre Gedächtnis-, Ihre Denk- oder vielleicht Ihre Ich-Funktion in Mitleidenschaft gezogen hat. Ein Neuropsychologe, sagen wir Stephen G. Waxman von der Yale-Universität, tritt also an Ihr Bett und bittet Sie, den Namen des Präsidenten zu nennen, in Siebenerschritten von hundert zurückzuzählen und zu erklären, was ein Auto mit einem Boot verbindet. Auch in Ihrem lädierten Zustand kriegen Sie das mühelos hin. Aber jetzt fordert Dr. Waxman Sie auf, eine kleine Geschichte zu interpretieren: die Königsdisziplin für jedes frisch operierte Gehirn. Die Geschichte, die Waxman in seinem Standardwerk Clinical Neuroanatomy empfiehlt (gesehen bei Joan Didion), geht so: Vor etwa dreihundert Jahren, bei der Krönung eines Papstes, wurde ein kleiner Junge ausgewählt, um die Rolle eines Engels zu spielen. Damit seine Erscheinung möglichst prächtig wäre, wurde der Junge von Kopf bis Fuss in eine Goldfolie gehüllt. Der kleine Junge wurde krank, und obwohl man alles Menschenmögliche für seine Genesung tat, ausser die fatale Goldfolie zu entfernen, starb er innerhalb von wenigen Stunden. Wie bitte? Können Sie DAS interpretieren? Geht es um das schlechte Karma des Katholizismus? Darum, dass nicht alles, was Gold ist, glänzt? Oder halten Sie Stephen G. Waxman jetzt schlicht für verrückt?
10.11.2006 | 12:33 | Anderswo | Sachen anziehen
Während mittlerweile fast jeder Südkoreaner mit einem deutschem Fantasietext auf seinem T-Shirt herumläuft, wurde vor kurzem in einer Seouler Boutique das erste T-Shirt mit Aufdruck in einer kompletten Fantasiesprache entdeckt.
Erste Vermutungen gehen dahin, dass es sich um eine Kombination der Erbsensprache mit der Löffelsprache handelt, wonach die Überschrift frei übersetzt hiesse "Go isn't easy", was auf die sprachlichen Gehversuche des Autors sicherlich zutrifft. Ungeklärt bleibt weiterhin, ob auch bei diesem Shirt schon wieder das Goethe-Institut dahintersteckt. Das hiesse dann wohl, dass es sich hier um ausgewanderte Wörter handelt.
10.11.2006 | 01:49 | Anderswo | Alles wird besser
 Wollen nur spielen: Amerikaner und die Natur (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Der Amerikaner, ein von Natur aus sorgloses Gemüt, baut seine Häuser auf Erdbebenspalten, in Überschwemmungsgebiete und Tornadozonen, als gäbe es kein Morgen. Er leugnet nicht die Vergänglichkeit alles Irdischen wie die Europäer mit ihren lächerlichen, jahrtausendealten Steinbauten ("Kolosseum", "Stonehenge", "Alpen"), sondern leistet ihr willig Vorschub, indem er zum Bauen Material benutzt, das man in Deutschland nur im Scherzartikelladen kaufen kann. Auch wenn mal in einem Jahr etwas mehr kaputtgespielt wird als sonst, verzagt er nicht gleich, sondern entwirft ein tolles Gegenmittel: den Hurriquake (gesehen bei Cool Hunting). Mit diesem Spezialnagel kann man die lustigen Baumaterialien jetzt etwas fester miteinander verbinden, so dass es bei der nächsten Katastrophe sicher zwei Minuten länger dauert, bis alles in Trümmern liegt. Die Natur zittert schon! Vom Amerikaner können wir alle noch lernen.
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- Zirbelstube
- ABC-Waffeln
- Bewusstsein erweitert
- Knallharte Bratwurstaction
SO NICHT:
- Kickers-Schuhe
- Platz 57 beim Schwanzvergleich
- Schweigespirale als Verhütungsmittel (wirksam, aber unschön)
- Selbst ausgeleiert
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"The Troll Hunter", André Øvredal (2010)
Plus: 8, 17, 21, 25, 80, 114, 138, 142 Minus: 161, 179 Gesamt: 6 Punkte
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