Riesenmaschine

06.10.2009 | 11:05 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Dark side of the Brand


Wellness-Werbung für die Testosteron-Zielgruppe (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In seinem Buch "Microtrends" weist Mark J. Penn auf die verkannte Zielgruppe der "Neglected Dads" hin, vulgo: der ganz normalen Familienväter, die aus ihrem angestammten Terrain der stupiden und gesundheitsschädlichen Freizeitaktivitäten herausgedrängt wurden, um Platz zu schaffen für die neuen aufgeklärten, körper- und umweltbewussten LOHAS-Zielgruppen. Insbesondere die Fast-Food-Industrie habe laut Penn hier im Zuge ihrer Saulus-Paulus-Neuerfindung das adipöse Kind mit dem Bade ausgeschüttet, indem sie ihre gesamten Marketing-Aktivitäten ausschliesslich auf Frauen und Mütter abgestellt hat, damit diese nicht mehr vor der Einfahrt zum Drive-in die Handbremse ziehen.

Jedoch zeigen sich erste Anzeichen einer Rückbesinnung. Während McDonald's noch immer ganz auf helles Fleisch, Pflücksalate und Latte macchiato setzt, spielt Burger King schon seit einiger Zeit wieder aggressiv die Machismo-Karte. Mit den derzeit laufenden "Angry Weeks" und den Specials "Angry Whopper", "Angry Onions" und "Angry Chicken" adressiert der ewige Zweite im Burger-Segment nun sogar explizit die Low-Prestige-Zielgruppe der zornigen jungen Männer, die es scharf und fettig brauchen und nicht nur mit ihren Ernährungsgewohnheiten gesellschaftlich anecken.

Vielleicht schlummert hinter dieser Rehabilitation der testosteronstrotzenden Unvernunft und Asozialität aber sogar mehr als ein kluger Marketing-Schachzug. Vielleicht bricht sich hier schleichend das Bewusstsein Bahn, dass Marken, die nur mit positiven Werten hausieren und ausschliesslich auf der Sonnenseite des Lebens siedeln, den Kontakt zur Realität verloren haben und nicht mehr mit den Lebensumständen ihrer krisengebeutelten Klientel im sich verschärfenden atomistischen Bürgerkrieg korrespondieren.

Heile Markenwelten, die bislang noch immer als "aspirational" galten, verlieren an Relevanz. An ihre Stelle tritt ein neues Markenkonzept, das bewusst und offensiv auch die Schattenseiten und Abgründe im Konsumkapitalismus thematisiert – mithin etwas, das die Wiener Kollegen von Ubermorgen.com schon seit gut einer Dekade als Shock Marketing propagieren. Wir stellen uns jedenfalls schon jetzt freudig ein auf die "Depressive Pepsi", den "iPod Schizo" und die "Debilen-Tarife" von Debitel.


03.10.2009 | 19:12 | Berlin | Sachen anziehen | In eigener Sache

Materie für Selbstabholer


Zur Kasse gehen (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die Umverteilung von Materie ist eine der Hauptbeschäftigungen des Universums und seines Handlangers, der Riesenmaschine. Deshalb müssen überschüssige Riesenmaschine-Shirts (überwiegend gebraucht), bisher unveröffentlichte Riesenmaschine-Kapuzensweatshirts (neu) und 9to5-Festival-T-Shirts (auch neu) das Haus der Frohen Zukunft verlassen. Sie werden an Selbstabholer gratis abgegeben. Bei den Riesenmaschine-Shirts bitte nicht an unseren Angaben zum Verkauftheitsstatus orientieren, die stimmen nur bedingt. Bei den 9to5-Shirts handelt es sich um die Motive Arm aber WLAN, "Ich nenne es Arbeit", Ich bin nicht prekär, ich bin nur scheisse angezogen sowie einige Exemplare von "Lauf nach Hause, kleiner Hund" (teils sogar in pink). Was innerhalb einer Woche nicht abgeholt wird, kommt zur Kleiderspende und ist danach nur noch in ausgewählten Thrift Stores Nordamerikas erhältlich. Bitten um Verschickung verhallen ungehört in den Weiten des Universums.


03.10.2009 | 03:45 | Anderswo | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles | Zeichen und Wunder

T-Shirts zu verschenken


Please enjoy what you get. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Die in letzter Zeit hin und wieder diskutierte Frage, ob es überhaupt einen freien Willen gebe, ist unzweifelhaft von einer gewissen kommerziellen Bedeutung, aber letztlich sind die Ergebnisse des ganzen Herumwollens doch einförmig und uninteressant. Schon länger erkannt haben das die Anbieter von Sneak Previews und Überraschungsangriffen aus dem Hinterhalt, jetzt hört man auch aus Japan von neuen Lösungsansätzen: Im Ogori Café (via Hacker News) bekommt jeder Kunde das, was sein Vorgänger bestellt und bezahlt hat: "Please enjoy what you get, even if you hate it." Hacker-News-Kommentator bemmu steuert ein Ogori Google bei ("You get what the person before you was searching for."). Wir wünschen uns für die Zukunft Ogori Taxi und Ogori Krankenhausaufenthalt, bekommen aber vermutlich wieder nur Weltfrieden und bessere Instantnudelsuppen, oder was halt in irgendeinem anderen Blog vor zwei Minuten gewünscht wurde.


27.09.2009 | 17:29 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Are we crazy? Maybe!

Als dieses Jahr Billy Mays an einer seltsamen Drogenmischung starb und Vince Offer verhaftet wurde, nachdem er von einer Prostituierten in die Zunge gebissen wurde, wurde es still in der Welt des Infomercials. Keine andere Branche, vielleicht abgesehen von Profi-Golf, Buzkashi* und Kochen, hängt so stark von ihren Superstars ab. Nostalgisch sassen die Aficionados vor den Geräten und spielten die Vince-Klassiker ShamWow und SlapChop auf Endlosschleife. Niemand sprach ein Wort. In Gedanken stritt man sich abermals darüber, ob ShamWow wirklich eine billige Imitation von Mays' Zorbeez ist oder umgekehrt. "You know the Germans always make good stuff", sagten die Diehard-Fans zu sich selbst, während sie melancholisch ihren Schäferhund abtrockneten. Erneut wurden in langen Abenden die alten Vince vs. Billy Argumente durchgezogen, bei billigem Bier, das nach Reinigungsmittel schmeckte. Vince, der zu sagen scheint: Hey, ich bin ein reisserischer Scharlatan, aber das macht nichts, denn mein Produkt ist super. Und Billy, der extrem laut, aber als freundlicher Kumpel seine Lappen unters Volk bringt – mit dem Hauptargument, dass er einer von uns ist, Kokain hin oder her. Es waren wie gesagt traurige Monate.

Die Rettung und Wiederbelegung des klassischen Verkaufsvideos kam schliesslich vor wenigen Tagen ausgerechnet von Canadian Celebrity Steve Nash, überraschenderweise im richtigen Leben nicht mal Scharlatan, sondern Point Guard, genaugenomen der zweitbeste der letzten Dekade, und ausserdem der bescheidenste Mensch der Welt. Nashs vollendete Konflation aus Hyper-Schtick ("like you just wanna bust out"), billigster Computergrafik, 80er-Jahre Farbverläufen, Musik von der ZDF-Hitparade und vorbildlicher Produktverarschung folgt der Vince-Logik, die Verkaufslüge nicht redundant, sondern retorsiv ("I don't know, it sells itself") anzubringen, was auch immer das jetzt genau heissen mag.

* Eine afghanische Art Polo, anstatt eines Balles verwendet man eine tote Ziege.


26.09.2009 | 09:22 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Wählen nach Sprechblasen


Wabernde Wortwolken werden wichtiger (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Und noch ein kurzer, schneller Hinweis zur bevorstehenden Bundestagswahl: Natürlich verzichtet die Riesenmaschine wie schon 2005 darauf, ihren Lesern eine Wahlempfehlung an die Hand zu geben und überlässt dies anderen Medien mit einer weniger mündigen Klientel. Auf eine mögliche Entscheidungshilfe jenseits des deprimierend öden Wahl-O-Maten, der ja doch immer nur MLPD und BüSo ausspuckt, möchten wir aber an dieser Stelle doch noch rechtzeitig aufmerksam machen, weil sie nicht nur die Information über politische Programmatiken radikal rationalisiert, sondern der gesamten politischen Debatte einen Weg in die Zukunft weisen könnte.

Und zwar hat das ZDF mit dem WortWahl-Scanner (Achtung: Pop-up!) ein geschmeidiges Flash-Tool programmiert, dass die Aussagen der Partei- und Wahlprogramme, sowie der Debattenbeiträge der Kandidaten auf handliche Wortwolken komprimiert. Damit wird etwa auf einen Blick erfassbar, dass die Wahlprogramme von SPD, Grünen, und Linksparte quasi identisch sind und grosse Nähe zur FDP aufweisen, während einzig die CDU/CSU "Arbeit" nicht ins Zentrum ihrer im Wahlprogramm annoncierten Politik stellt. Um hingegen zu verstehen, warum der Begriff "Staat" im FDP-Programm mit 178 Erwähnungen (Worthäufigkeit: 1,67 Prozent) eine so zentrale Rolle spielt, kann man zusätzlich auf die den jeweiligen Begriffen hinterlegte "detaillierte Analyse" klicken. Und erfährt dort, dass der Staat in diesem Fall gar nicht unbedingt immer positiv konnotiert ist.

Das wirklich Verblüffende an dem Spielzeug ist jedoch, wie aus der Konstellation und Grösse der Begriffe ein subjektiv vollständiges und stimmiges Bild der jeweiligen Parteien und Akteure ersteht, und wie verzichtbar im Umkehrschluss das gesamte syntaktische und semantische Beiwerk nicht nur in Politikerreden und Parteiprogrammen erscheint. Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist. (Bzw.: Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist.) Wenn in ein bis zwei Legislaturperioden eine neue Generation von Politikern und Spin-Doktoren erkannt und verstanden haben wird, dass das Reden in Tagclouds das einzig probate Mittel ist, um in der verschärften Aufmerksamkeitsökonomie noch wirksam um öffentliche Zustimmung zu werben, dann wird sich auf einen Schlag auch die Web-Jugend wieder für Politik begeistern können.


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"The Green Inferno", Eli Roth (2013)

Plus: 1, 52, 69, 80, 101, 117, 138, 142
Minus: 9, 13, 197
Gesamt: 5 Punkte


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