Riesenmaschine

26.09.2009 | 09:22 | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Wählen nach Sprechblasen


Wabernde Wortwolken werden wichtiger (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Und noch ein kurzer, schneller Hinweis zur bevorstehenden Bundestagswahl: Natürlich verzichtet die Riesenmaschine wie schon 2005 darauf, ihren Lesern eine Wahlempfehlung an die Hand zu geben und überlässt dies anderen Medien mit einer weniger mündigen Klientel. Auf eine mögliche Entscheidungshilfe jenseits des deprimierend öden Wahl-O-Maten, der ja doch immer nur MLPD und BüSo ausspuckt, möchten wir aber an dieser Stelle doch noch rechtzeitig aufmerksam machen, weil sie nicht nur die Information über politische Programmatiken radikal rationalisiert, sondern der gesamten politischen Debatte einen Weg in die Zukunft weisen könnte.

Und zwar hat das ZDF mit dem WortWahl-Scanner (Achtung: Pop-up!) ein geschmeidiges Flash-Tool programmiert, dass die Aussagen der Partei- und Wahlprogramme, sowie der Debattenbeiträge der Kandidaten auf handliche Wortwolken komprimiert. Damit wird etwa auf einen Blick erfassbar, dass die Wahlprogramme von SPD, Grünen, und Linksparte quasi identisch sind und grosse Nähe zur FDP aufweisen, während einzig die CDU/CSU "Arbeit" nicht ins Zentrum ihrer im Wahlprogramm annoncierten Politik stellt. Um hingegen zu verstehen, warum der Begriff "Staat" im FDP-Programm mit 178 Erwähnungen (Worthäufigkeit: 1,67 Prozent) eine so zentrale Rolle spielt, kann man zusätzlich auf die den jeweiligen Begriffen hinterlegte "detaillierte Analyse" klicken. Und erfährt dort, dass der Staat in diesem Fall gar nicht unbedingt immer positiv konnotiert ist.

Das wirklich Verblüffende an dem Spielzeug ist jedoch, wie aus der Konstellation und Grösse der Begriffe ein subjektiv vollständiges und stimmiges Bild der jeweiligen Parteien und Akteure ersteht, und wie verzichtbar im Umkehrschluss das gesamte syntaktische und semantische Beiwerk nicht nur in Politikerreden und Parteiprogrammen erscheint. Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist. (Bzw.: Da begreift man mal, wie redundant Sprache wirklich ist.) Wenn in ein bis zwei Legislaturperioden eine neue Generation von Politikern und Spin-Doktoren erkannt und verstanden haben wird, dass das Reden in Tagclouds das einzig probate Mittel ist, um in der verschärften Aufmerksamkeitsökonomie noch wirksam um öffentliche Zustimmung zu werben, dann wird sich auf einen Schlag auch die Web-Jugend wieder für Politik begeistern können.


25.09.2009 | 04:21 | Anderswo | Fakten und Figuren | Listen | In eigener Sache

Jörg Schönenborn muss husten


Das ganze Spielfeld besteht aus 5 mal 5 Feldern, man darf ankreuzen,
wenn das Ereignis im Feld eintritt und wer eine Reihe voll hat, hat gewonnen. (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)


Jeder Versuch, 2009 noch einen alsneuverkaufenden Einstieg zum Thema Bullshit Bingo zu finden, ist vergebens. Der Dilbert-Strip zum Thema ist mittlerweile über 15 Jahre alt, sogar der den Dilbert-Strip nacherzählende IBM-Werbespot ist von 2007. Bullshit Bingo gehört längst zum Grundwortschatz der Bürofolklore und wird dereinst sicherlich in die New-Economy-Hall-of-Fame aufgenommen werden. Ungeachtet dessen wurde zur anstehenden Wahl jetzt eine naheliegende Subvariante von Michael Brake und den Gebrüdern Metz entwickelt: Das Wahlshitbingo basiert auf einer Sammlung von rund 400 Floskeln und Fakten und sorgt für eine nachweislich veränderte Fernsehrezeption. Öffentlich vorgeführt wird es am Sonntag ab 17.30 Uhr bei der Wahlparty im Frankfurter Kunstverein, wo es ausserdem noch weitere Gimmicks und Gäste zu sehen gibt. Man kann es sich aber auch einfach nur ausdrucken und zu Hause spielen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: "Hinten kackt die Ente"

Schlager Densford | Dauerhafter Link


24.09.2009 | 11:11 | Vermutungen über die Welt | Effekte und Syndrome

Freiheit aushalten


Das Regime der Freiheit zu Gast an der Staatsoper in Berlin (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Für eine erweiterte Interpretation des Regierens bzw. der Regierungskunst, die auf den Mikrostrukturen der Macht aufbaut, hat Michel Foucault in seinen Vorlesungen Ende der 1970er am Collège de France den Begriff Gouvernmentalität geprägt. Gemeint sind damit weniger physische und institutionelle Machtmittel, sondern die psychische Kondition – buchstäblich: die Mentalität –, die das Regieren zur Angelegenheit der Regierten macht. Wie das allgemeine Einverstandensein so ist auch die Forderung nach Selbstregierung in Eigenregie heute triviale Realität einer gleichermassen deregulierten und permissiven Gesellschaft. Das Paradoxon des antiautoritären Kinderladens ("Tante, müssen wir heute wieder machen, was wir wollen?") ist uns so sehr zur zweiten Natur geworden, dass es uns selten bewusst wird. Dabei bezieht sich der Zwang zur Freiheit keineswegs nur auf das Erwerbssubjekt, sondern zuvorderst natürlich auf den als mündig und autonom vorgestellten Konsumenten. Dass der Kunde König sei, ist eine Binse. Dass der vermeintliche Souverän aber selbst keineswegs souverän ist, sondern seinerseits in multiple Zwänge verstrickt, die foucaultsche Pointe bei der Angelegenheit. Uns auf offener Strasse in kondensierter Form und unsubtilen Lettern die Zweischneidigkeit und Abgründigkeit des Imperativs zum Selbstregime im entfalteten Konsumkapitalismus vor Augen zu führen – das hinwiederum ist der kollaterale Verdienst einer neuen Bionade-Aussenwerbung, die an sich einfach nur auf die kommende Wahlen eincashen wollte.


19.09.2009 | 20:54 | Alles wird besser | Sachen anziehen

Der Einäugige unter den Brillen


(Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Avast! Heute ist schon wieder International Talk Like a Pirate Day! Und damit einjähriger Geburtstag der Google Pirate Edition. Wer den ITLAPD nicht nur verbal, sondern auch fashiontechnisch angemessen feiern will, dem sei die zeitgemässe Adaption der Augenklappe empfohlen: Die Fuck-3D-Brille vom in der Riesenmaschine allseits geschätzten Medienkünstler Aram Bartholl (via Nerdcore, hier als Bausatz-PDF zum Download). Nicht nur ein würdiger Nachfolger von Bartholls First Person Shooter-Brille – sondern zugleich ein wichtiges Statement im täglichen Kampf gegen die 3Disierung unserer Umwelt. Savvy?

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Piraten-Statusmeldung


18.09.2009 | 10:15 | Berlin | Anderswo | In eigener Sache

Ein Buch wie ein Atomtest


Der Autor bei einer Levitenlesung während der Kulturrevolution, ca. 1972 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)

Nachdem Christian Y. Schmidt im letzten Sommer mit seinem Reisebuch Allein unter 1,3 Milliarden – Eine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu überraschend auf der Spiegel-Bestsellerliste landete, erscheint in diesem Herbst pünktlich zur Chinabuchmesse in Frankfurt sein zweites China-Buch: Bliefe von dlüben. Der China Crash-Kurs erklärt in einfachen Worten, weshalb in China dreissig Tage im Jahr Krieg herrscht, warum die Pandas ausgerottet werden müssen oder wieso die meisten Chinesen sich in einer Stadt nicht orientieren können. Ausserdem erfährt man fast alles über chinesische Pop-, Rock- und Punkmusik, über Raub-DVDs, die Sprache Chinglish, Huntingtons Stadtplan, das chinesische Raumfahrtprogramm, Wachskaulquappen, den Fluch der Saiga-Antilope oder das chinesische Internet. Wer das Buch liest, hat am Ende ein komplettes China-Abitur in der Tasche, das es ihm erlaubt, demnächst zusammen mit den Chinesen diesen Planeten zu übernehmen und das Weltall vielleicht auch.

Um dieses ziemlich unentbehrliche Kompendium zu präsentieren, kommt Schmidt, der ansonsten als Senior Consultant der Zentralen Intelligenz Agentur in Peking wohnt, im Herbst zu einer mittelgrossen Tournee nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Die Tour beginnt am Sonntag, den 20. September, um 20 Uhr im Monarch in Berlin-Kreuzberg, und führt bis November durch insgesamt zwanzig verschiedene Städte. Dabei wird nicht nur vorgelesen, sondern es werden wohl auch wirre China-Fotos an die Wand geworfen und chinesische Krachmusik gespielt. Kommt alle zu den Lesungen, bevor es am Ende andere tun!


... 28 29 30 31 32 [33] 34 35 36 37 38 ...

*  IN DER RIESENMASCHINE


*  ORIENTIERUNG



Werbung
Werbung Ratgeber

*  SO GEHT'S:

- Wahndelikt

- Obstkerne sammeln (souverän)

- Karaoke-Hacker

- Dekra-Check für Gebrauchte

*  SO NICHT:

- Die Schweiz wird Weltmeister (im Daumenlutschen)

- Hasenpfeffer am Ärmel

- Physiknobelpreis einfach aufessen

- untauglicher Versuch


*  AUTOMATISCHE KULTURKRITIK

"The Last Days of Emma Blank", Alex van Warmerdam (2009)

Plus: 15, 21, 34, 35, 42, 46, 48, 63
Minus: 1, 63, 80, 132
Gesamt: 4 Punkte


*  KATEGORIEN


*  ARCHIV