Riesenmaschine

19.08.2009 | 01:52 | Alles wird besser | Zeichen und Wunder

Embracing Blight


Fassade von Honest Ed's in Toronto, cirka 2020 (Originalfoto von Greencolander, 2008) (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Wie bei allen philosophischen Supertrends waren die Anfänge von Embracing Blight scheinbar irrelevant und pathologisch. Kathrin Passig musste sich von Teenagern auf offener Strasse "erfolglose Kolumnistin" rufen lassen, als sie im Jahr 2004 damit anfing, kaputte Wäscheständer zu fotografieren. Aleks Scholz wurde von US-Sicherheitsbehörden als "geisteskrank, aber harmlos" eingestuft, nachdem er 2001 das Konzept Airport Hiking entwickelt hatte. Und Moritz Metz schliesslich, der Erfinder von Europep, verlor gar seine Ehrenmitgliedschaft im Mensaverein, als seine seltsamen Neigungen für unschöne Autoaufkleber bekannt wurden.

Embracing Blight, die Umarmung der hässlichen Auswüchse des Alltäglichen, entstand hierzulande aus inkonkreten und zufälligen Ansätzen. Was die drei Riesenmaschinenautoren in diesen harten Jahren nicht wussten: Wie so oft in der Evolution der Dinge entwickelt sich zur selben Zeit in Kanada eine analoge Daseinsform von Embracing Blight: Not Fooling Anybody und sein Schwesterprojekt Cloney Times dokumentieren in beispielloser Genauigkeit und beinahe gewalttätiger Energieverschwendung die hässlichen Fassaden von Fastfood- und sonstigen Läden. Insbesondere geht es hier um die Verwandlung der Fassaden, entweder durch Löschen und Ersetzen, oder aber, im Falle von Cloney Times, durch Kopieren und Einfügen. Unvollkommenheit und Veränderung sind die Leitmotive sowohl dieser Chronik als auch der Gegenwart.

Gleichzeitig liefert Liz Clayton, Schöpferin von Not Fooling Anybody, das originale Manifest der jungen Bewegung und begreift dabei als Erste den Gesamttrend: Embrace blight! We have no other hope. Und somit bricht eine neue Zeit an – die einzige Zeit, die wir noch haben. Es gelten nur zwei Grundregeln: 1) Empirische Präzision. 2) Ästhetische Gleichgültigkeit. In der indirekten Nachfolge von Post-Nihilismus, Post-Antirealismus, Post-Post-Moderne und natürlich Post-Apokalypse schält sich "Embracing Blight", die neue Form der Wirklichkeitsbetrachtung, aus ihrer brüchigen Eischale und betrachtet aufmerksam und gelangweilt die verschandelte Welt.


15.08.2009 | 21:50 | Listen | Zeichen und Wunder

Panamakanalspasstag

Anlässlich der Panamakanal-Erstdurchquerung am 15. August 1914 wurde dieser Tag zum Welttag des Panamakanals ernannt. Ein Feiertag nicht nur für die Seefahrt, sondern auch für Freunde von fünf- oder mehrsilbigen Wörter die nur auf einem einzigen Vokal basieren. Wie Minibikini. Oder Ottomotormonopol. Oder Uluruumrundung. Oder Geleewettessen. Brennelemente. Rokokomottoshow. Kennenlernfete. Iltisminipli. Wallhallanachhall. Schenkelbesenfresse. Mississippischiff. Papaya-Ananas-Schawarma. Brennnesselteerezepte. Lederpflegeexperte. Fetteckenmenetekel. Ubuntuunfug. Madagaskarspassbad. Teekesseltester. Sesselelement. Katamaranbasar. Messerwerferneffe. Erdbeersektwette. Analapparat. Bonobokompott. Ebereschensterben. Mastdarmtransplantat. Totorokomplott. Alaskaaal. Oder Abstraktkatarakttraktat. Kaputt, danach geht nix mehr.


13.08.2009 | 11:49 | Alles wird besser | Sachen kaufen

Fliegen saugen

Die Restgestalt wird von den Saugkräften zurückgenommen, so schrieb im Jahr 2001 prophetisch der Levitationsforscher Wilfried Hacheney in das Szenemagazin Matrix 3000*. Krass: Das stimmt wirklich. Nur fünf Jahre nach Hacheneys Prognose gelang japanischen Spitzenkräften ein Durchbruch in der Anwendung der elektronischen Saugkräfte zur Ohrreinigung. Kein Einzelfall. Die Saugforschung, bis zum Jahrtausendwechsel noch weit im Hintertreffen, sah sich im Aufwind und auf Augenhöhe mit den Konkurrenzsparten Bohren, Schlagen und Zupacken.


Georg Lichtenberg: "Dass die wichtigsten Dinge durch Röhren getan werden. Beweise erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schiessgewehr, ja was ist der Mensch anders als ein verworrenes Bündel Röhren?" (Hier wurde ein Foto aus Rechtegründen entfernt, jetzt muss man halt selber nach "fly goodbye" googeln.)
Im Jahr 2005 bringt der Erfinder des Kaninchensaugers die Aufbruchsstimmung treffend auf den Punkt: Full Suction! Und schon vier Jahre später schliesslich entwickelt die Schweizer Firma Crazy Stuff in einem weiteren epochalen Durchbruch ihr Fliegensauggerät fly-goodbye, mit dem sie die widerlichen 80er Jahre endlich auch für die Fliegenbeseitigungsbranche beendet. Das erstaunliche Ding wird vom Hersteller etwas hilflos mit einer Pistole verglichen: "(Das Gerät) schiesst sozusagen rückwärts." Ein klarer Anachronismus in herrlich saugdominierten Zeiten. Wie lange wird es wohl noch dauern, bis man Schusswaffen konsequent und vorbildlich als Rückwärtssauger beschreibt? Die Zukunft des Saugens hat gerade erst begonnen.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Snapy


04.08.2009 | 01:37 | Berlin | Supertiere | Fakten und Figuren

Berlino, intergalaktischer Herrscher über Chaos und Vernichtung


Grosse Enttäuschung löste Berlino bei den Organisatoren der Olympischen Spielen 2012 aus, wo man das sehr teure und bisher geheim gehaltene Maskottchen "Londono" jetzt nicht mehr gebrauchen kann. (Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
In wenigen Tagen beginnt die Leichtathletik-WM in Berlin und das Interessanteste daran ist mal wieder das Maskottchen: Berlino, der Bär, ist 2,30 Meter gross und ein wenig tollpatschig. Seine Lieblingsfilme sind die Bärenbrüder und Pu, der Bär, seine Leibspeisen Currywurst und Gummibärchen, seine Lieblingsschulfächer Sport und Bärisch und sein Lieblingsgetränk ist Kakao – weitere Infos über Berlino gibt es hier.

Maskottchenhistorisch wird Berlino als prägender Vertreter der "Neuen neuen Sachlichkeit" bzw. der "Neuen Langweiligkeit" in die Geschichte eingehen. Nicht nur, dass der Move, in Berlin ausgerechnet einen Bären an den Start zu bringen, nicht wirklich kreativ ist – mit seiner 70er-Jahre-Sportkleidung und dem schnörkellos-konservativen Design ist Berlino zudem gestalterisch irgendwo zwischen Trimmy und dem Rolf-Kauka-Stil (vor allem natürlich Kaukas Bussi Bär) angesiedelt. Getoppt wird das Aussehen aber noch durch den Namen: "Berlino", angeblich das Ergebnis eines Namenfindungsbewerbs mit 2000 Einreichungen aus 18 Ländern, ist wohl als Kontrapunkt zum bedeutungsüberfrachteten WM-2006-Löwennamen "Goleo VI." gedacht.

Doch hinter der Fassade massiver Schlichtheit versteckt sich beim zweiten Hinsehen doch noch eine subtile Doppelbödigkeit, eine sehr sehr dezent gehaltene popkulturelle Referenz: Die Erweiterung eines zweisilbigen Wortes durch den Endlaut -o zu einem dreisilbigen Namen steht nämlich in der grossen Tradition der Marvel- und DC-Erzschurken Magneto (X-Men), Bizarro (Superman) und Eclipso (Diverse). Wir dürfen also gespannt sein, auf welch teuflische Weise Berlino das internationale Grossereignis Leichtathletik-WM als Bühne für seine sinistren Weltversklavungspläne nutzen wird.

Dieser Beitrag ist ein Update zu: Er ist nicht allein


01.08.2009 | 09:48 | Anderswo | Alles wird besser

Ein Tag im Finanzamt


(Dieses Bild wurde vorsichtshalber entfernt und taucht wieder auf, sobald sich die Autorin oder der Autor um die Klärung der Bildrechte gekümmert hat.)
Füllgrabe standen die Schweissperlen auf der Stirn, aber gleich würde er es ihm zeigen. Keine zwei Monate waren vergangen, seitdem Niewöhner ihn in der vorletzten Sitzung des Arbeitskreises "Nutzeroptimierte Fassadengestaltung am Neubau Finanzamt Samuel-Beckett-Anlage 3-7" unangekündigt hatte auflaufen lassen. "Wenn ich Sie alle kurz nach draussen bitten dürfte", hatte er gesagt, und alle, stellvertretender Amtsleiter, Abteilungsleiter, Gleichstellungsbeauftragte, Personalrat, und Füllgrabe selbst in seiner Eigenschaft als Schwerbehindertenbeauftragter, waren ihm vor die Türe gefolgt, dorthin, wo die neue Briefeinwurfanlage projektiert war. Niewöhner hatte sich in einen von der Prothesenausgabestelle des benachbarten Sozialamtes eigens für diesen Anlass herbeigeschafften Rollstuhl geschwungen und demonstriert, wie sein Einfall, den normierten Standard-Briefeinwurfschlitz auf eine Höhe von 80 cm zu senken, es problemlos ermöglichte, ohne einen separaten Einwurfschlitz für Rollstuhlfahrer auszukommen. Das anerkennende Schulterklopfen des Etatverantwortlichen Vordemvenne für Niewöhner und der fast schon höhnische Blick in die Richtung, in der Füllgrabe sich etwas abseits postiert hatte, hatten sich tief bei ihm eingebrannt.

Die ersten Tropfen begannen bereits, an Füllgrabes Nase herunterzulaufen, als unter TOP 17 die "abschliessende Beschlussfassung zur Gestaltung der zentralen Briefeinwurfanlage" aufgerufen wurde. Er meldete sich sofort, kam auch als Erster auf die Redeliste und hob an: "Sie haben bei ihrer Planung die Belange der contergangeschädigten Rollstuhlfahrer vollkommen unterschlagen!"


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