Riesenmaschine

09.02.2006 | 06:32 | Essen und Essenzielles | Vermutungen über die Welt

Die Wahrnehmung der Pforten


Niemand weiss, wie es weitergeht (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Das bestimmende Merkmal von Zivilisation ist ganz eindeutig die Tür. Denn Pforten sind es, die Mensch von Tier trennen, Ungläubige von Kreuzrittern, Wärme von Kälte, Unzucht von Zucht, überhaupt das Eine vom Anderen. Ohne die Tür wäre die Welt ein trostloser Einheitsbrei, ein grosses, formloses, ja, gar türenloses Etwas, in dem alles sperrangelweit offen steht. Es muss Grenzen geben, es muss Übergänge geben, Kontraste, Trennungen, und all dies funktioniert nur mit Hilfe der Tür. Einziges halbwegs brauchbares Konkurrenzprodukt auf dem Markt ist die Brücke, die allerdings im Gegensatz zur Tür oft von Selbstmördern missbraucht wird, und deren Einsatz daher moralisch zweifelhaft ist. Nein, eindeutig sind es Türen, die die Welt sauber zusammenhalten.

Einen wichtigen Schritt zur Dokumentation dieser Tatsache findet man aus nicht nachvollziehbaren Gründen nur nach langem Suchen. Ein angenehm geheimnisvolles Wesen namens Fluxus hat in aufopferungsvoller Selbstdisziplin Türen dokumentiert, mit Schwerpunkt auf ihrem Schwerpunkt, der Klinke, einen ganzen Tag, mehr als achtzig Türen. Es ist ein gewaltiger Berg von Türen, ein so grosser Haufen Türen, dass einem ungefähr bei Tür Nr. 38 vor lauter Türen allmählich klar wird, dass Türen in letzter Konsequenz vielleicht doch nicht ganz so wichtig sind.


08.02.2006 | 18:54 | Alles wird schlechter

Sag mir, wo die Würmer sind


Saisonales Symbolfoto (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Es gibt Vögel, die mag man und es gibt Vögel, die mag man mehr, und dann gibt es noch Tauben, aber die nicht zu mögen, ist mittlerweile folkloristischer Konsens von Leuten, die es lustig finden, Marcel Reich-Ranicki nachzumachen und ein Titanic-Abo zu haben. Spatzen findet man ganz gut, weil man sie als allererste Kulturfolger ja immer schon kennt. Sie gehören einfach zu uns wie die Stubenfliegen und die Milbendivisionen im Kopfkissen. Und auch wenn die Bibel die Spatzen miesmacht, indem sie behauptet, sie würden ohne väterliche Hilfe auf die Erde fallen, so kann man sie doch nicht NICHT mögen, weil der Unterschied zu ihnen ein einfach zu geringer ist: Sie und ihre Nester sind relativ ungepflegt, sie lärmen gern, wälzen sich im Staub, schlafen lang und essen genau das, was wir auch essen, also in erster Linie Körner und Abfälle. Selten dreht mal ein Mensch durch und exekutiert einen von ihnen, aber das steht nicht im Entferntesten in Relation zu seinem Hinrichtungsverhalten unter seinesgleichen. Nun haben die Spatzen aber ein echtes Problem, weil sie, auch hier wieder die Parallele zum Menschen, sich und ihre Nachkommen zu einseitig ernähren. Sie finden immer weniger tierisches Protein, oder sind sie einfach nur zu faul, um Insekten und Würmer zu suchen? Und dass Würmer aus dem Internet nicht unbedingt schädlich sein müssen, ist in ihre struppigen Behausungen bis jetzt wohl noch nicht vorgedrungen.

Tex Rubinowitz | Dauerhafter Link


08.02.2006 | 16:11 | Supertiere

Angriff der Makramee-Monster


Ganz junges Plüschtier (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)
Die Vorkommen seltsamer Plüschtiere wie auch seltsamer Handarbeiten häufen sich in letzter Zeit verdächtig. Der abgebildete Plüschfötus (gefunden bei sexblo.gs) wurde laut Hersteller/in für ein Embryologie-Seminar angefertigt, und wir prophezeien an dieser Stelle, dass es keine sechs Monate mehr dauern wird, bis ganz rotten.com in einer Handarbeitsvariante zu betrachten sein wird. Innerhalb eines Jahres sind Pornos mit gehäkelten Hauptdarstellern und das Texas Aufribbelmassaker zu erwarten. Im Sommer 2007 findet dann die eigentliche Stopfpilz- und Stricklieselinvasion aus dem All statt, die sich hier vorbereitet, aber wenn die Raumschiffe erst einmal am Himmel gestickt stehen und uns alle brennpetern, wird es zu spät sein! Zu spät!


08.02.2006 | 12:36 | Anderswo | Vermutungen über die Welt

Unterschicht von oben

Spätestens seit Yann Arthus-Bertrand ist Hubschrauberfotografie eine eigene ästhetische Fotogattung. Doch während Arthus-Bertrand auf die Veränderung der Welt und ihrer Schönheit fokussiert ist, verfolgen andere einen eher dokumentativen Ansatz, zum Beispiel ein mexikanischer Hubschrauberpilot, der seinen Arbeitsalltag über Mexico City fotografisch festhält. Ein wenig unbedarft und vermutlich unabsichtlich taucht er dabei mitten die Missstände des grössten Stadtmolochs der Welt mit über 20 Millionen Einwohnern, wobei, wie man an manchen Slumfotografien sieht, Einwohner mit wohnen nicht viel zu tun hat. Ein auf dem Dachfirst stehender Selbstmörder ist ebenso auf den Fotos zu sehen wie ein riesiger Pulk von Fake-Taxis, also Taxis ohne Lizenz oder eine gigantische brennende Müllkippe samt Müllfischern.


Architekten-Hospitalismus (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)


Ziemlich viel mit Wohnen zu tun hat diese Fotografie (Link über BLDGblog und Archinect). Es handelt sich um ein riesiges Hausbauprojekt für Finanzschwächlinge und deren Familien. Der Hang des Amerikaners zum Einfamilienhaus ist ebenso berücksichtigt wie der Wunsch zum farbenfrohen Haus mit Vorgärtchen, weil viele Lateinamerikaner durch das ständige Telenovelasehen unfassbar spiessig geworden sind. Bunte Häuser für Arme, es ist ja nicht alles schlecht in diesen Schwellenländern, der 1,8ten bis 2,9ten Welt, wie sich aus meinem Vierzimmerstuckaltbau mit W-LAN und Putzfrau leicht behaupten lässt. Der kleine Preis, den die Bewohner dort bezahlen, ist eben die vollständige Aufgabe der Wohnindividualität und der Verlust eines Gutteils der Kinder im verirrfähigen Alter. Dafür klingeln regelmässig neue Menschen an der Tür, und wer von uns würde nicht sein Rosenholzparkett eintauschen gegen ein regelmässiges Sozialleben.


08.02.2006 | 04:05 | Alles wird schlechter | Was fehlt | Papierrascheln | Vermutungen über die Welt

Alles, was der Ball ist


Nie wieder witzig finden: Hauptsache Italien! (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)


Früher auf dem Pausenhof schrien die Kinder "Nachmacher, Nachmacher", wenn einer offensichtlich am Distinktionsgewinn eines anderen teilhaben wollte. Heute sind diese Nachmacher-Kinder von Beruf Werber und betiteln ihr Erfolgsprinzip mit einem schick klingenden Namen: Ambush Marketing. Klingt besser als Trittbrettfahrerei, meint aber genau das. Wer sich darunter nichts vorstellen kann, der schaue in den Briefkasten, in die Zeitungen, auf die Plakate und die Leuchtreklamen der Stadt. Am Sprung auf den Zug der Fussballeuphorie führt in diesem Jahr offenbar kein Weg vorbei. Neben dem an sich schon dämlichen Coca-Cola-Claim "It's your Heimspiel" wird auch anderer Schwachsinn dafür sorgen, dass die Werbewirtschaft boomt:
Der süddeutsche Discounter Lidl etwa umwirbt Jugendliche neuerdings mit der verführerischen Aussicht, Teil des "Lidl-Dreamteam 2006" zu werden, während der Baumarkt Obi die Fussballfans für ein WM-Special "Ooobi ist das schön" skandieren lässt. Spiegel Online hingegen fand offenbar Gefallen daran, von der "Roten Karte für vier WM-Stadien" zu fabulieren, als Sicherheitsmängel an den WM-Spielstätten bekannt wurden. Und im Neuen Deutschland wurde eine Oper über Hartz IV gar zum "Soundtrack zum sozialen Endspiel" – wie immer dieses ausgehen mag.

Demnächst, so darf man vermuten, wird Angela Merkel "den Ball weit vorlegen", wenn sie die Leitlinien ihrer Politik skizziert, werden linke Demonstranten "die Räume dichtmachen", wenn sie Naziaufmärsche vereiteln und ebenso wird von einem "traumhaften Doppelpass" die Rede sein, wenn die christdemokratische Union ihre Politik mit den Sozialdemokraten abstimmt. Man sollte die Medienschaffenden nicht zu hart angehen: Ja, im WM-Jahr muss man diese Chance einfach, eh, reinmachen.


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