26.11.2006 | 00:54 | Berlin | Anderswo
 (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Als in schwarzweisser Vorzeit das Röhrenradio krächzend verkündete: "Moderne erfunden!", jauchzten die Architekten laut auf. Es schien alles so einfach: Man würde ein einziges richtig gutes Haus entwerfen, diese Industrie, von der man neuerdings so viel hörte, würde das rund um den Globus reproduzieren, und man selbst würde den Rest seines Lebens mit dem Automobil im reichlich vorhandenen Abstandsgrün zwischen den Wohnblocks herumrasen. Natürlich kam alles ganz anders, die Moderne stiess sich an der Realität wund und banal, und unschöne Dinge wie Wolfsburg entstanden. Die Architekten sahen also davon ab, herumzurasen und designten eben weiter an Dingen herum, für die die Industrie alleine zu dumm war. Und weil es so viele von ihnen gab, entstand eine Masse an Gebautem, das weder herausragend noch abstossend war, und somit unbemerkt von Hochglanzmagazinen und Schmähungen im Graubild der Stadt herumstand.
Der Architekturkritiker Oliver Elser und der Fotograf Andreas Muhs haben sich seit 2002 auf der Website restmodern.de dieses diskreten Charmes des Durchschnitts angenommen und ihn mit bewusst uninszenierten Fotografien vor konsequent bewölkten Himmeln dokumentiert. Zu Beginn ausschliesslich auf Berlin fixiert, ohne dabei ausgetretenen Retro-Chic-Pfaden zu folgen, haben sie ihr Archiv (aktuelle Fotos sind auf flickr zu sehen) mittlerweile auf die Grauzonen von Hamburg und Frankfurt ausgedehnt. Trotz aller kühlen Distanz der Fotografien erkennt man die Freude, in vermeintlich tristen Rastern plötzlich eine überraschend individuelle Kunst am Bau zu entdecken, und den Willen, dies zumindest fotografisch zu sichern, bevor es verschwindet.
Eine Auswahl an Fotografien ist noch bis zum 11.12. in der Galerie Fenster61 in Berlin zu sehen. Für das geplante Buch fehlen noch ein paar Interessenten, die sich bitte schnell unter subscribe@restmodern.de melden sollten, denn wir wollen das Ding so bald wie möglich auf dem Riesenmaschine-Coffeetable liegen sehen.
Dieser Beitrag ist ein Update zu: Ostmoderne.com
25.11.2006 | 12:55 | Berlin | Alles wird schlechter | Fakten und Figuren
 Niemals vorher war soviel Kunst so überall, echt jetzt mal (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.)Die Gestaltung des öffentlichen Raumes ist eine strukturelle Sache der Macht und des Geldes, die bestimmenden Faktoren aufgehängt zwischen stadtentwickelnder Politik, Architektur und Kapital einerseits und Wirtschaftskommunikation und Kapital andererseits. Wenn man also der Stadt seinen Stempel aufdrücken möchte, muss man eine Verordnung erlassen, ein Haus bauen oder Werbung schalten – drei Gestaltungsmöglichkeiten, die nicht unbedingt im Alltagsinstrumentarium des Durchschnittshaushaltes im Übermass vorhanden sind. Die zahlreichen, aber eklektischer kaum sein könnenden Gegenbewegungen reichen von Graffitkünstlern über Eddingschmierer und Fensterkratzer bis hin zu ebenfalls vollkommen verschiedenen programmatisch-politischen Gestaltern wie Reclaim the Streets, Adbusters, Anonyme Architekten und vieles andere, was man im hervorragenden, internationalen Blog Wooster Collective verfolgen kann. Gemein war den weitaus meisten Privatgestaltern bisher ein verhältnismässig progressives Kunst- und Kulturverständnis; kein Wunder, wo die Form so neu ist, fällt es oft schwer, ältere Inhalte zu transportieren, wie gut sie auch sein mögen. Deshalb gibt es auch nur ein deutsches Proust-Blog, aber 34.368 gadgetorientierte.
So musste – wir haben es bereits einmal tränenreich bedauert – die Strassenkunstszene weitestgehend ohne bildungsbürgerliche Inhalte auskommen. Bis jetzt. In Berlin läuft jemand herum, der Cutouts, im Prinzip also ausgeschnittenes Papier, an Häuser anklebt, und das mit Motiven, längst werden Sie es erkannt haben, von Velasquez. Hier das berühmte Motiv des Prinzen Baltasar Carlos als Jäger von 1635/36, befindlich im Prado. Und derzeit auch als Streetart im Berliner Wrangelkiez. Aber wer macht eine so charmante Mischung von Hochkultur und grenzlegaler Umwidmung öffentlicher Flächen? Handelt es sich um eine Streetart-Offensive der FAZ-Jugend? Sind wir Zeugen eines nächtlichen Vandalismusfeldzugs maskierter Kunsthistoriker? Oder ist es am Ende doch nur Werbung für Grossformat-Farblaserdrucker mit einer Zielgruppe ab 60 Jahren?
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25.11.2006 | 00:53 | Sachen kaufen | Essen und Essenzielles
 Wochenration (Aus historischen Rechteklärungsgründen ist hier kein Bild. Aber im 20 Jahre Riesenmaschine-PDF gibt es entweder ein Bild oder eine Bildbeschreibung.) Ein Kinderspiel ist es, Produktverherrlichungsbeiträge über Gadgets zu schreiben, die mit Design, USB, Solarstrom, Open Source, extrahellen LEDs und neuen, herrlichen Möglichkeiten zur Zeitverschwendung daherkommen. Schwieriger wird es schon, wenn man einem Tee huldigen will, einem hippiesk angehauchten und illustrierten Tee aus Boulder, Colorado noch dazu, den man nur im Ökoladen kaufen kann und dessen Hersteller auf seiner Website unter "Our Mission" erklärt, seine Tees seien sowohl "beautifully artistic" als auch "philosophically inspiring". Und trotzdem muss es gehen, denn "Bengal Spice" von Celestial Seasonings ist der beste Tee, der je erfunden wurde, ein Trinklebkuchen aus Zimt, Ingwer, Kardamom, Nelken, Pfeffer und Muskatnuss. Er süsst sich – eventuell durch die eingebaute Zichorie und/oder das Johannisbrot – selbst, enthält keine künstlichen Aromastoffe, wirbt nicht mit albernen Gesundheitsvorteilen und wird immer besser, je länger er gezogen hat. Ausserdem steckt er in viereckigen Teebeuteln ohne Inkompetenzdemonstrationselement aus Heftklammer, Faden und Etikett, das bei jedem nicht zwanghaft veranlagten Menschen sofort in der Kanne versinkt. Im Vergleich zu Bengal Spice sind alle anderen Tees auf dem Dachboden zusammengefegter Staub. Vielleicht verschickt man die kostenlosen Probepackungen aus guter weltverbessernder Gesinnung ja sogar bis nach Deutschland, denn das Riech- oder Schmeckinternet wird leider erst morgen erfunden. Die vermutlich mehrwöchige Wartezeit lässt sich mit dem Ausmalen der Bengal-Spice-Illustration überbrücken. Oder mit dem Zusammenfegen von Staub auf dem Dachboden.
24.11.2006 | 19:55 | Anderswo | Alles wird schlechter
 Infiziertes Hotelsofa in Kashgar VIP-Sofas im Bahnhof Urumqi mit infizierter Vase Sofas in der Softsleeperklasse mit nicht entführtem KindAlle tollen neuen Krankheitsinnovationen wie Vogelgrippe oder Sars kommen heutzutage aus China. Die allerneueste Seuche ist eine Abart der Elephantiasis, die bisher noch keine Menschen oder Tiere, sondern nur Möbel und hier besonders Sofas befällt. Massiv ist die neue Plage bisher in der chinesischen Provinz Xinjiang aufgetreten, wo fast alle Sofas in Hotelfoyers Elephantiasissymptome aufweisen. Einen Seuchenschwerpunkt bildet auch der neue Bahnhof von Urumqi. Hier wesen in gleich drei Wartesälen des Todes infizierte Riesensofas vor sich hin, wobei gilt, je höher die Warteklasse, desto infizierter das Möbel. Wie man sieht, hat das spielende Kind in Moment noch nichts von dem kranken Sofa zu befürchten; es wurde leider auch immer noch nicht entführt. Was allerdings morgen sein wird, weiss mal wieder keiner, aber vielleicht ist es das oder, eventuell noch infizierter, dieses.
24.11.2006 | 13:02 | Alles wird besser | Vermutungen über die Welt
 Foto: rusty.grass / LizenzIn der Fachpresse lesen wir gerade, dass endlich auch Frauen, nicht nur Männer, durch langanhaltendes Radfahren wissenschaftlich belegte Schäden in ihrer Genitalgefühlswelt davontragen, jedenfalls mehr als beim Laufen. Nur kurz jedoch währt die Freude über soviel Gerechtigkeit, obwohl in der Zusammenfassung der Arbeit die bemerkenswerte Zusatzinformation lauert, dass Radfahrerinnen im Vergleich zu Läuferinnen sexuell aktiver und facettenreicher in ihrer sexuellen Orientierung sind. Dies jedoch wundert kaum, wurden die Läuferinnen doch im Jahr 2003 in Internetforen rekrutiert, und das kennt man ja. Der eigentlich krude Gedanke drängt sich jedoch viel später auf: Warum hat die "International Police Mountainbike Association" schon auf ihrer Tagung 2003 von den brisanten Ergebnissen erfahren? Warum wurden die Ergebnisse also drei Jahre lang in Polizeischubladen geheimgehalten? Sind sie zu fahrradkritisch und würden daher die Machtverhältnisse im Land (Mann, Fahrrad, Polizistin, Frau) ordentlich durcheinandergebringen? Erscheinen sie jetzt, weil die Republikaner die Wahlen sowieso schon verloren haben? Oder weil man die solcherart genitalgeschädigten Frauen ohnehin nicht mehr wie früher gegen wertvolle Drogen in Afghanistan eintauschen kann, jetzt wo Drogen billig überall auf der Strasse liegen? Wissen wir natürlich auch nicht.
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IN DER RIESENMASCHINE
ORIENTIERUNG
SO GEHT'S:
- 600 GB Hard-Disc
- Bohnen mit Speck
- tropfnasses Fellbündel
- Marsfood
SO NICHT:
- offener Pneumothorax (saugt)
- Bauernfrühstück (Rotenburg!)
- Stanzabfälle im Müsli
- Schwarmdemenz
AUTOMATISCHE KULTURKRITIK
"Snowpiercer", Joon-ho Bong (2013)
Plus: 11, 79, 80, 89, 142, 147, 153 Minus: 93, 96, 97, 99, 102, 115, 182, 206 Gesamt: -1 Punkte
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